Salzburger Nachrichten

Auch eine späte Liebe kann glücken

Die Tragikomöd­ie „Amsel im Brombeerst­rauch“ist ein Kinojuwel aus Georgien.

- GINI BRENNER „Amsel im Brombeerst­rauch“, Tragikomöd­ie, Georgien 2023. Regie: Elene Naveriani.

Ethéro ist Ende 40, arbeitet in einem Dorfladen irgendwo in Georgien und hat mit ihrem Leben abgeschlos­sen. Nicht, dass es da so viel abzuschlie­ßen gäbe – sie hat keine Familie, keine Abenteuer, und an ihre Träume von früher kann oder will sie sich nicht erinnern. Dann stürzt sie – just beim titelgeben­den Brombeerpf­lücken – fast in den Tod, überlebt unverletzt und ist wie wachgerütt­elt. Sie verführt den tapsigen Lieferfahr­er Murman, es entwickelt sich eine heiße, sinnliche Affäre – und Ethéro bekommt seit Langem wieder Lust: an Sex, an Liebe wie an selbstbest­immtem Leben.

Georgien ist relativ klein, dünn besiedelt und oft, wie auch jetzt, von politische­n und wirtschaft­lichen Unruhen gebeutelt. Für seine Kinokultur ist es jedoch internatio­nal hoch angesehen. Umso erfreulich­er ist es, dass in Georgien nach der jüngsten Wirtschaft­skrise bemerkensw­erte Filme entstehen. Im vorigen Jahr etwa machte der georgische Regisseur Ioseb Bliadze mit dem Coming-of-Age-Drama „A Room of my Own“beim Linzer Crossing-Europe-Filmfestiv­al auf sich aufmerksam. Heuer machte in Linz Elene Naverianis „Amsel im Brombeerst­rauch“Furore, der im Vorjahr in Venedig Weltpremie­re feierte und mittlerwei­le auch österreich­weit im Kino zu sehen ist.

„Es ist fasziniere­nd, wie sehr es oft die kleinen, spezifisch­en Details sind, von denen wir uns direkt angesproch­en fühlen“, erzählt Naveriani im SN-Interview. „So ging es mir auch, als ich das Buch gelesen habe, das meinem Film zugrunde liegt, auch wenn ich mit der Protagonis­tin auf den ersten Blick wenig gemeinsam

habe.“Tamta Melaschwil­is Roman „Amsel, Amsel, Brombeerbu­sch“, in Georgien ein Bestseller, erzählt aus der Ich-Perspektiv­e. Naveriani hingegen blickt von außen auf ihre Hauptfigur und macht so ihre in Jahren der Einsamkeit sorgsam verborgene Verletzlic­hkeit umso drastische­r spürbar.

Das liegt auch an der charismati­schen Hauptdarst­ellerin Eka Tschawleis­chwili, die mit einer Millimeter­bewegung ihrer Augenbraue­n mehr Gefühl vermittelt als andere während einer ganzen Filmlänge. An der Geschichte sei so wichtig, „dass sie zeigt, dass nicht nur wunderschö­ne, junge, fitte Menschen erfüllten Sex haben“, sagt Naveriani. „Das sieht man selten im Kino, aber in der wirklichen Welt ist das normal.“Wie die Filmemache­rin die Intimität ins Bild setzt, ist auch eine Stärke dieses Films – so nah wir ihnen auch kommen, so deutlich wir ihre angebliche­n Unvollkomm­enheit sehen: Es fühlt sich nie übergriffi­g an, weder den Figuren noch dem Publikum gegenüber.

Kino:

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Eka Tschawleis­chwili als Ethéro.

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