Mit der Lüge lebt es sich leichter als Familie
Niemand weiß, woher sie stammt, nun sitzt sie in einem Korb auf dem Dachboden der Familie Ekdal: die Wildente. Immer wieder fallen im Laufe des Abends einzelne Federn vom Himmel herab. Holzbretter, durch die sich nur erahnen lässt, was sich dahinter verbirgt, trennen den Dachboden vom Rest des Geschehens. In Henrik Ibsens „Die Wildente“im Studio des Schauspielhauses Salzburg spinnt sich ein Familiendrama, das vor allem an einem leidet: Platznot.
Zunächst scheint das Wiedersehen zweier Schulfreunde geglückt. Doch Gregers ist überzeugt, dass das Familienleben seines Freundes Hjalmar auf einem Lügenkonstrukt aufgebaut ist. Als er ihm eröffnet, dass Hjalmars Frau Gina eine Affäre mit Gregers Vater Werle hatte – und Hjalmar vermutlich gar nicht der Vater der 14-jährigen Hedwig ist –, bricht für diesen eine Welt zusammen. Er verstößt das Kind, das am Ende das Kostbarste opfert, das es besitzt: nicht die Wildente, sondern sein eigenes Leben.
Irmgard Lübke inszeniert Ibsens Drama aus 1884 nüchtern und in zeitlosem Gewand. Im Gegensatz zu politischen und gesellschaftskritischen Dramen wie „Ein Volksfeind“oder „Hedda Gabler“wirkt es zunächst aus der Zeit gefallen, heute „Die Wildente“aufzuführen, in der es überwiegend um bürgerliche Moralvorstellungen aus dem 19. Jahrhundert geht. Doch das über weite Strecken feine Spiel des Ensembles unterhält – und wird hauptsächlich durch bewährte Stützen des Hauses wie Theo Helm und Antony Connor als Schulfreunde Gregers und Hjalmar getragen.
Humorvoll ist die Darbietung Marcus Marottes als Großvater Ekdal, der zum Jagen auf den Dachboden geht. Julia Schmalbrock versucht sich an einer modernen Interpretation der Gina, die die Geschäfte des Hauses führt. Und Johanna Klaushofer spielt eine kindlich gebliebene 14-Jährige. Jens Ole Schmieder gibt einen zynischen Doktor Relling, der Gregers ein „Rechtschaffenheitsfieber“attestiert und den Plot treffend zusammenfasst: „Nehmen Sie einem Durchschnittsmenschen seine Lebenslüge, dann nehmen Sie ihm auch das Glück.“
Das Stück nimmt im zweiten Teil erst richtig an Fahrt auf. Man hat sich dagegen entschieden, ein intensives, radikal gekürztes Kammerspiel zu inszenieren, sondern bleibt nah am Originaltext. Schade nur, dass die Inszenierung mit der kleinen Bühne im Studio auskommen muss. Mehr Raum für ein ausgefeiltes Bühnenkonzept und ein sattes Spiel wäre einem abendfüllenden Klassiker durchaus zugestanden. So endete die Premiere am Dienstag nach etwas mehr als zwei Stunden mit freundlichem Applaus für eine solide Ensembleleistung.
Tolle Ensembleleistung auf kleiner Bühne
Schauspiel: „Die Wildente“, Schauspielhaus Salzburg, bis 22. Juni.