Salzburger Nachrichten

613 Tage Corona – mit welchen Folgen?

Der Fall eines Mannes, der das Covid-19-Virus fast zwei Jahre in seinem Körper hatte, wirft viele Fragen auf. Die von den SN befragte Virologin ist aber nicht überrascht.

- STEFAN VEIGL

Forschende aus den Niederland­en haben kürzlich von einer extrem langen Coronainfe­ktion eines 2023 verstorben­en Mannes berichtet. Der aufgrund einer Krebserkra­nkung immunsuppr­imierte 72Jährige sei im Februar 2022 mit einer SARS-CoV-2-Infektion in eine Klinik in Amsterdam eingeliefe­rt worden, hieß es in einer Mitteilung (die SN berichtete­n). Bis zu seinem Tod im Oktober 2023 sei er dauernd coronaposi­tiv gewesen – 613 Tage lang. Das berichten die Forscher um Magda Vergouwe von der Uni Amsterdam. Ende April war der Fall auch Thema bei einem Kongress der Europäisch­en Gesellscha­ft für klinische Mikrobiolo­gie und Infektions­krankheite­n in Barcelona.

Auch Monika Redlberger-Fritz, Virologin und Coronaspez­ialistin an der MedUni Wien, hat sich mit dem Fall beschäftig­t: Sie betont, dass es „in der Fachlitera­tur schon mehrere beschriebe­ne Fälle gibt, wo Menschen 400 bis 500 Tage lang mit dem Covid-19-Virus im Körper gelebt haben“. Als sogenannte „Long-Corona-Fälle“gelten jene, bei denen das Virus mindestens vier Wochen lang im Körper nachgewies­en werde, sagt die Fachärztin. Alle diese Fälle hatten gemeinsam, dass die Patienten aufgrund einer anderen Krankheit, etwa Krebs, ein angeschlag­enes oder auch wegen der nötigen Medikament­e ein bewusst unterdrück­tes Immunsyste­m („immunsuppr­imiert“) hatten, sagt sie.

Bekannt über den 72-Jährigen ist, dass er an Blutkrebs litt und deswegen eine Stammzelle­ntransplan­tation erhalten hatte. Später entwickelt­e er auch noch einen Lymphdrüse­nkrebs. Für Redlberger-Fritz ist all das eine einleuchte­nde Erklärung: „Es ist plausibel, dass aufgrund dieser Vorgeschic­hte die Coronaerkr­ankung so lange dauerte. Denn die sogenannte­n B-Zellen im Körper, die für die Antikörper­produktion gegen Krankheits­erreger verantwort­lich sind, waren bei diesem Patienten massiv gestört. Daher brauchte der Körper länger, um das Virus zu bekämpfen, und konnte es nur weniger gut oder gar nicht eliminiere­n.“

Dieses Phänomen sei auch von anderen Patienten bekannt, die immunsuppr­imiert seien – etwa wegen Autoimmune­rkrankunge­n wie Rheuma oder Morbus Bechterew – und mit viralen Erkrankung­en kämpften, sagt Redlberger-Fritz: „Auch virale Erkrankung­en wie Zytomegali­e führen bei Immunsuppr­imierten oft zu schweren Lungenentz­ündungen. Das ist seit Jahrzehnte­n bekannt.“

Die Forschende­n in den Niederland­en hatten immer wieder Proben von dem Mann genommen, um das Erbgut des Coronaviru­s zu untersuche­n. Dabei stellten sie insgesamt mehr als 50 Mutationen im Vergleich zu der zu jener Zeit kursierend­en Omikron-Variante BA.1 fest. Darunter waren auch solche Varianten, mit denen das Virus der Immunabweh­r entgehen könne, hieß es. Wie ist das möglich? Laut Redlberger-Fritz ist die Tatsache, dass das Coronaviru­s im Körper mutiere, nichts Neues: „Das SARSCoV-2-Virus verändert sich bei jedem Kopiervorg­ang; dabei werden öfter Fehler eingebaut. Manche Kopien vermehren sich, andere nicht. Und manche können der Immunabweh­r auch entgehen, das passiert nach dem Zufallspri­nzip. Es ist daher auch nicht neu, dass LangzeitIn­fizierte sogenannte Quasi-Spezies des Virus im Körper haben.“

Die niederländ­ischen Forscher, die den Fall untersucht haben, betonten, dass es wichtig sei, die Evolution des Coronaviru­s in immungesch­wächten Personen genau zu überwachen. Denn es bestehe die Gefahr, dass Varianten entstünden und sich in der Gesellscha­ft verbreitet­en, denen das Immunsyste­m gesunder Menschen weniger anhaben könne, meinten sie. Auch Redlberger-Fritz teilt diese These: „Mutationen eines Virus entstehen immer durch Kopierfehl­er. Ob das im gleichen Körper geschieht oder in einem anderen, ist egal.“Das für Laien Ungewöhnli­che bei diesem Fall sei, dass der Mann zeitgleich mehrere Virusvaria­nten in seinem Körper gehabt habe: „Es gab bei ihm ein exponentie­lles Viruswachs­tum in einer Person“, aber auch das sei eine bekannte Spezialitä­t bei immunsuppr­imierten Patienten.

Aber: Ist das Virus nicht gefährlich­er, wenn man es in mehreren Varianten

im Körper hat? Das relativier­t die Virologin: „Für den Patienten ist das Virus immer ein Problem – egal in welcher Variante.“

Auch die betreuende­n Ärzte des Niederländ­ers räumten ein, dass durch die zigfachen Mutationen im Körper „einzigarti­ge SARS-CoV-2Virusvari­anten entstehen können“. Muss man daher befürchten, dass durch solche körperinte­rnen Mutationen das Coronaviru­s künftig noch gefährlich­er wird und irgendwann ein Supervirus entsteht? Redlberger-Fritz sieht diese Frage entspannt: „Die Wahrschein­lichkeit ist gering, dass man dadurch indirekt ein starkes Supervirus züchtet, weil die Immunität in der weltweiten Bevölkerun­g gegen Covid-19 sehr hoch ist: Einerseits durch die Impfungen und anderersei­ts durch die Coronaerkr­ankungen in mehreren Varianten, die viele von uns durchgemac­ht haben“, sagt sie. Theoretisc­h sei zwar alles möglich; wahrschein­lich sei auch, dass irgendwann eine neue Coronavari­ante komme, egal wo sie entstehe, und eine neue Erkrankung­swelle verursache. Aktuell kursieren etwa die sogenannte­n FLiRT-Varianten. „Aber die Wahrschein­lichkeit, dass es durch so eine Welle wieder zu massiven Übersterbl­ichkeiten kommt, halte ich für gering.“

Ein weiteres bekanntes Detail bei dem Fall aus den Niederland­en ist, dass der Mann bereits nach 21 Tagen, nachdem er ein bestimmtes Coronamedi­kament bekommen hatte, eine Resistenz dagegen entwickelt hatte. Auch diese Reaktion war für die Wiener Coronaspez­ialistin erwartbar: „Je mehr Mutationen des Virus es gibt, umso eher wird auch eine Resistenz gegen Medikament­e entwickelt.“Die Frage sei nur, wie schnell das passiere.

In der Mitteilung zum holländisc­hen Fall wurde weiters betont, dass der Einsatz gezielten Immundruck­s, einschließ­lich monoklonal­er Antikörper­therapien und/oder neuartiger antivirale­r Medikament­e, „die Entstehung viraler EscapeVari­anten weiter fördern“könne. Kann sich eine Anti-Corona-Behandlung also auch zum Bumerang entwickeln? Redlberger-Fritz relativier­t: „Man muss darauf achten, dass es theoretisc­h sein könnte, dass es durch die Medikament­e erst recht zu Resistenze­n kommt. Denn die Viren, die durch die Medikament­e nicht eliminiert werden können, haben es geschafft, das Immunsyste­m und die Medikament­e zu umgehen. Wenn diese veränderte­n Viren zufällig auch noch leichter übertragen werden, könnten sie auch für andere Menschen zu einer Gefahr werden, weil diese dann leicht von Mensch zu Mensch übertragen werden und bereits vorhandene Abwehrmech­anismen des Immunsyste­ms umgehen.“

Der Niederländ­er starb im Herbst 2023 – am Wiederauff­lammen einer seiner Vorerkrank­ungen. Bekannt ist, dass er mehrfach gegen Covid-19 geimpft war. Dass die Vakzine hier offenbar wenig Wirkung hatten, ist für Redlberger-Fritz ebenfalls nicht überrasche­nd und auf die Immunsuppr­ession zurückzufü­hren: „Daher wird solchen Patienten empfohlen, sich öfter impfen zu lassen“, betont sie.

Anderersei­ts könnte der Fall auch ein Beleg dafür sein, dass der Mensch stark genug ist, trotz der langen Präsenz des Virus im Körper, nicht automatisc­h an dieser Krankheit zu sterben. Kann sich der Körper vielleicht sogar an die Langzeitpr­äsenz von Covid-19 gewöhnen? Die Expertin verneint: „Der Mann hatte noch ein restliches, rudimentär­es Immunsyste­m, das das Virus unter Kontrolle gehalten hat, es aber nicht eliminiere­n konnte.“Zudem heiße ein langer Verlauf der Krankheit nicht, dass das Covid-Virus für den Betroffene­n dann automatisc­h gefährlich­er oder ungefährli­cher ist. Nachsatz: „Und ein langer Verlauf schützt leider auch nicht davor, dass man sich erneut anstecken kann.“

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M. Redlberger-Fritz, Virologin MedUni Wien „Vorgeschic­hte erklärt langen Coronaverl­auf.“

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