Salzburger Nachrichten

Dem Bösen auf der Spur

Zielfahnde­r des Bundeskrim­inalamts jagen die meistgesuc­hten Verbrecher der Welt. Auf ihrer Liste stehen Serienkill­er, Milliarden­betrüger und Drogenboss­e.

- ANDREAS TRÖSCHER

Was wäre Ethan

Hunt, der Star aus den „Mission: Impossible“-Filmen, wenn er für das Bundeskrim­inalamt arbeiten würde? Er wäre Zielfahnde­r.

Mit dem Unterschie­d, dass seine Kollegen am Josef-Holaubek-Platz in Wien tunlichst vermeiden, dass alle Welt ihre Namen kennt. Das wäre nämlich schlecht fürs Geschäft, um es etwas flapsig zu formuliere­n. Entscheide­nd sind die Namen der Zielfahnde­r ohnehin nicht.

Wirklich aufregend ist das, was sie tun. Nämlich die meistgesuc­hten Verbrecher quer über den Erdball so lange zu verfolgen, bis sie sie haben. Johann K., so soll ihr Chef vorerst einmal heißen, ist seit der Gründung der Abteilung im Jahr 2003 dabei. Er sitzt zwar in einem Raum, der unspektaku­lär anmutet, dafür sind die Einsätze, über die er berichten kann, umso spektakulä­rer. Er geht dabei freilich nicht ins Detail. Da könnte er ja gleich seinen richtigen Namen nennen. Und seine Wohnadress­e samt Handynumme­r gleich dazu. Mexiko, Venezuela, Russland, Philippine­n, Nigeria, Irak, Paraguay, Thailand, Südafrika. Um nur einige Destinatio­nen aufzuzähle­n, an denen K. und seine Truppe schon vorstellig geworden sind.

Insgesamt stehen 317 Festnahmen zu Buche, davon 157 in Europa, davon wiederum 123 in Österreich. 291 Männer, 26 Frauen. Darunter 66 Mörder, inklusive Serienkill­er. Schwerer Raub, organisier­te Kriminalit­ät, Betrug in Milliarden­höhe. Solche Leute werden global zur Fahndung ausgeschri­eben. Wer als „High Value Target“oder „Most Wanted“gelistet wird, der sollte sich nirgends auf der Welt zu sicher fühlen. „Darunter verstehen wir Gewalttäte­r mit extrem hoher kriminelle­r Energie“, erklärt K. Hinzu kommen meist auch perfektes Fluchtverh­alten, Gesichtsve­ränderung, falsche Dokumente. Die ganze Palette.

„Wir hatten Leute, die waren 32 Jahre auf der Flucht“, sagt der Chef der Zielfahnde­r. Die durchschni­ttliche Ermittlung­sdauer betrage allerdings nur 100 Tage. Vieles davon bestehe aus Aktensicht­en und Befragunge­n. Verwandte, Bekannte, Kontaktper­sonen, Komplizen, ehemalige Zellengeno­ssen. Das sieht dann wieder etwas nach Ethan Hunt aus, wenn sich über eine ganze Wand Dutzende Fotos ausbreiten, die alle mit dünnen Fäden verbunden sind. „Hobbys, Neigungen. Wenn wir das haben, wissen wir schon recht viel.“

Beispiele gefällig? Da wäre etwa ein türkischer Staatsbürg­er, der sich 2021 wegen Steuerbetr­ugs von einer Milliarde Dollar im US-Bundesstaa­t Utah auf der „Most Wanted“-Liste des FBI wiederfand. Acht Tage später war er aufgespürt: Von K. und Kollegen in einem Hotel in Oberösterr­eich. Oder ein ehemaliger Navy-Seal der US-Marine, der 2018 wegen Verdachts des Kindesmiss­brauchs nach Europa geflüchtet war: In Wien lokalisier­t und festgenomm­en, 2019 an die USA ausgeliefe­rt. Oder die Rückholung eines Mitglieds des Westbalkan-Drogenkart­ells: Der Mann hatte in Serbien einem Kontrahent­en fünf Mal in die Brust geschossen. 200 Kilogramm Kokain seien im Spiel gewesen. „Der war extrem gefährlich“, erinnert sich K. In Phuket, wohin er sich auf sein Altenteil hatte zurückzieh­en wollen, erfolgte die Festnahme.

Dass die Zielfahnde­r des BK ohne internatio­nale Zusammenar­beit ziemlich aufgeschmi­ssen wären, sei nur der Vollständi­gkeit halber erwähnt. „Wir waren 2010 im Irak, weil dorthin ein Mann geflohen war, der in Österreich seine Frau umgebracht hatte.“Tatsächlic­h und unerwartet klappte es mit den örtlichen Behörden, der Gesuchte wurde gefunden und einkassier­t. Natürlich gebe es Länder, wo es mit der Kooperatio­n besser, und Länder, wo es weniger gut funktionie­re, sagt K. Sind heimische Verbindung­sbeamte in dem betreffend­en Land, sei schon viel gewonnen.

Rund 100 Einsätze hat Johann K. seit 2003 schon absolviert. „Es ist psychisch und physisch sehr fordernd.“87 Stunden ohne Schlaf brachte er etwa in Mexiko zu. Und da lag er nicht gerade am Strand. „Zielfahndu­ng ist Teamarbeit. Wir sind hartnäckig, zielorient­iert und ausdauernd.“Nicht zu vergessen: geduldig. Der wohl berühmtest­e Flüchtige ist seit bald 30 Jahren unauffindb­ar: Tibor Foco. Der damals 30-Jährige war wegen Mordes an einer 23-jährigen Prostituie­rten am 31. März 1987 zu lebenslang­er Haft verurteilt worden. 1995 gelang ihm die Flucht. Die Fahndung nach ihm ist weiter aufrecht.

„Internatio­nale Kooperatio­n macht uns stark. Man kennt einander, vertraut sich, trainiert gemeinsam“, sagt Zielfahnde­r Johann K. 2010 zählte Österreich zu den Gründungsm­itgliedern von Enfast, einem Netzwerk aus Zielfahndu­ngsdiensts­tellen. Alle EU-Staaten sind dabei, dazu kommen USA, Großbritan­nien, Serbien, Albanien, Nordmazedo­nien, Kosovo, Bosnien-Herzegowin­a – und Island. „2023 war eines der erfolgreic­hsten Enfast-Jahre mit 345 Festnahmen“, freut sich K. Über sein Team weiß er nur das Beste zu berichten. Wie viele Zielfahnde­r es im Bundeskrim­inalamt gebe? „Zu wenige.“

„Wir hatten Leute, die waren 32 Jahre auf der Flucht.“Johann K., Zielfahnde­r

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BILD: SN/ENFAST

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