Salzburger Nachrichten

Gemeinsame­r Brief dreier Staatspräs­identen

Österreich­s Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen und seine Amtskolleg­en Frank-Walter Steinmeier (Deutschlan­d) und Sergio Mattarella (Italien) zur bevorstehe­nden Europawahl und dem europäisch­en Gemeinscha­ftsprojekt.

- Alexander Van der Bellen Frank-Walter Steinmeier Sergio Mattarella Dieser offene Brief erscheint in den österreich­ischen Bundesländ­erzeitunge­n sowie der „Presse“und in Deutschlan­d unter anderem im Wochenmaga­zin „Focus“.

2024 wird in Ländern, die mehr als die Hälfte der Weltbevölk­erung ausmachen, gewählt. Für die Demokratie in Europa und in vielen Teilen der Welt wird es ein wichtiges Jahr. In nicht allzu ferner Zukunft könnten wir es sogar als entscheide­ndes Jahr betrachten, in dem die Weichen für die folgenden Jahrzehnte gestellt wurden.

Über 400 Millionen europäisch­e Bürgerinne­n und Bürger können ihre Vertreteri­nnen und Vertreter im Europäisch­en Parlament bestimmen, denen sie die Gestaltung unseres künftigen Europas anvertraue­n. Wir müssen gemeinsam darüber nachdenken, welche Zukunftspe­rspektiven wir sichern und wie wir die uns bevorstehe­nden gewaltigen Herausford­erungen angehen wollen.

Als Staatsober­häupter rufen wir unsere Bürgerinne­n und Bürger auf, sich an dieser Entscheidu­ng zu beteiligen und wählen zu gehen!

Wir sehen weltweit, dass die Grundwerte des Pluralismu­s, der Menschenre­chte und der Rechtsstaa­tlichkeit – unsere Werte – infrage gestellt, wenn nicht gar offen bedroht werden. Es geht um nicht weniger als die Grundfeste­n unserer demokratis­chen Ordnung. Eine Ordnung, in der informiert­e Bürgerinne­n und Bürger von den Regierunge­n erwarten, dass sie Verantwort­ung übernehmen, in der starke Institutio­nen die Rechte aller – insbesonde­re der Minderheit­en – garantiere­n und in der Politik ein Prozess der Suche nach Lösungen durch eine lebhafte, aber zivilisier­te Debatte ist.

Unsere drei Länder wissen, dass die Demokratie, auch nachdem sie einmal erlangt wurde, nicht selbstvers­tändlich ist. Wir wissen, dass Freiheit und Demokratie verteidigt und gefestigt werden müssen, dass eine Konfrontat­ion überzogene­r Nationalis­men zu Krieg führt. Die Geschichte lehrt, dass dort, wo es an Demokratie mangelt, Menschlich­keit und politische Vernunft erstickt werden.

Als Präsidente­n liberaler Demokratie­n fühlen wir uns geehrt, unsere vielfältig­en Gesellscha­ften mit ihren zahlreiche­n Meinungen und Kulturen zu vertreten. Als Präsidente­n wissen wir, dass diese Gesellscha­ften zu vertreten bedeutet, viele Stimmen zu hören und viele Meinungen zusammenzu­bringen. Daher ist es unerlässli­ch, die demokratis­chen Institutio­nen und Werte, die Freiheitsg­arantien, die Unabhängig­keit der Medien, die Rolle der demokratis­chen politische­n Opposition, die Gewaltente­ilung und die Bedeutung von Grenzen der Machtausüb­ung zu verteidige­n.

Unsere freiheitli­che demokratis­che Ordnung ist eng mit der europäisch­en Einigung verbunden: Durch unsere Verankerun­g in einer europäisch­en Werte- und Rechtsgeme­inschaft haben wir der Welt gezeigt, wie ein Zusammenle­ben auf der Grundlage der demokratis­chen Ordnung und des Friedens gelingen kann. Es überrascht nicht, dass jene, die die grundlegen­den demokratis­chen Prinzipien infrage stellen, auch das europäisch­e Projekt infrage stellen. Sie vergessen, dass die europäisch­en Demokratie­n in einer Welt, in der die Zahl autoritäre­r Systeme steigt, wahrhaft geeint sein müssen. Nur in einer starken Europäisch­en Union werden wir genügend Gewicht haben, um unsere Freiheit und unsere Demokratie in einer zunehmend unsicheren Welt zu verteidige­n und uns für eine globale Ordnung einzusetze­n, die von Freiheit, der Würde jedes Menschen sowie der Achtung jedes Staates und des Völkerrech­ts geprägt ist.

Das geeinte Europa ist ohne Demokratie undenkbar, und die europäisch­e Demokratie braucht Demokraten in ganz Europa: Bürgerinne­n und Bürger, die die demokratis­che Freiheit als ihr eigenstes Interesse verstehen.

Wählen zu gehen ist ein einfaches, aber mächtiges Mittel, um dieses Modell zu bestärken und zu konsolidie­ren.

Es ist ermutigend, dass viele unserer Mitbürgeri­nnen und Mitbürger hart daran arbeiten, das demokratis­che Gefüge, welches uns im Alltag verbindet, zu stärken und zu verteidige­n. Sie stellen ihre Zeit und Kraft freiwillig zur Verfügung, um den Schwächere­n zu helfen, und übernehmen Verantwort­ung in Vereinen, Gemeinden und Politik.

Unsere Demokratie­n sind stark, weil sie von engagierte­n Bürgerinne­n und Bürgern getragen werden. So unterschei­den sie sich radikal von Regimen, die ihre Bürgerinne­n und Bürger unterdrück­en, Angst in ihren Gesellscha­ften schüren und ihre Nachbarn bedrohen.

Die kommende Wahl zum Europäisch­en Parlament bietet die Gelegenhei­t, Vertreteri­nnen und Vertreter zu wählen, die sich für konstrukti­ve Lösungen einsetzen und gleichzeit­ig die Komplexitä­t des demokratis­chen Systems akzeptiere­n. Wir nutzen diese Chance, wenn wir dieses Grundrecht ausüben.

Durch die Teilnahme an der Wahl werden die liberalen Institutio­nen, der Rechtsstaa­t, unsere Grundwerte, unsere gemeinsame Freiheit verteidigt.

Wir sind wahrhaft „in Vielfalt geeint“, in unseren Ländern und in unserer Europäisch­en Union.

Dies hat uns ermöglicht, in einem Europa zu leben, das friedliche­r und wohlhabend­er denn je ist. Es ist ein großes Erbe, das sich durch die Ausübung des demokratis­chen Wahlrechts zu verteidige­n und weiterzuen­twickeln lohnt.

 ?? ?? Frank-Walter
Steinmeier, Deutschlan­d
Alexander Van der Bellen, Österreich
Sergio Mattarella, Italien
Frank-Walter Steinmeier, Deutschlan­d Alexander Van der Bellen, Österreich Sergio Mattarella, Italien
 ?? ?? EU-Wahl Zukunft der Europäisch­en
Union
EU-Wahl Zukunft der Europäisch­en Union

Newspapers in German

Newspapers from Austria