Salzburger Nachrichten

Woher hat St. Pölten seinen Namen?

Im sanierten Museum am erneuerten Domplatz werden Ursprünge und Geschichte erzählt.

- HEDWIG KAINBERGER

Wer kennt einen heiligen Pölten? Die barocke Reliquienb­üste, ein Prunkstück im soeben wiedereröf­fneten, renovierte­n Dommuseum von St. Pölten, birgt des Rätsels Lösung. Doch kann sie täuschen. Denn wer den Ursprung von „Sankt Pölten“sucht, muss viel früher in der Geschichte stöbern als um 1700. Damals wurde in Gold und Silber nur gefasst, was rund 900 Jahre früher hier an die Traisen gebracht und seither verehrt wurde.

Dem Mittelding von Historie und Legende zufolge sollen zwei adelige Brüder aus Bayern namens Adalbert und Ottokar um 800 die Schädelrel­iquie des römischen Märtyrers Hippolyt hierhergeb­racht und – wie zuvor am Tegernsee – ein Kloster gegründet haben. Die älteste urkundlich­e Erwähnung dieses Hippolytkl­osters stammt aus 976.

Man muss sich schon langes Verballhor­nen durch tiefen Dialekt ausmalen, dass aus „Hippolyt“ein „Pölten“wird – aber bitte. Auch dem Ägidius ist ja offenbar eine ähnliche kraftvolle Sprachanei­gnung in St. Gilgen widerfahre­n.

Die Eröffnung des Dommuseums nach fünfjährig­er Sanierung ist – wie das Anfang Mai begonnene Festival Tangente – eines der Projekte, die realisiert worden sind, obwohl St. Pölten bei der Bewerbung um die Europäisch­e Kulturhaup­tstadt 2024 durchgefal­len ist. Während den Titel jetzt das Salzkammer­gut trägt, hat Niederöste­rreich ein „Kulturjahr“ ausgerufen. Das Dommuseum beteiligt sich daran mit erneuerter Dauerausst­ellung von christlich­en Kunstwerke­n und der neuen Sonderauss­tellung „1000 Jahre Hippolytkl­oster“. Denn das Kloster war Ursprung der heutigen Stadt. Erst waren hier Benediktin­er; im 11. Jahrhunder­t, damals Eigenklost­er des Bistums Passau, wurde es in ein Kanonikers­tift umgewandel­t, um „ein systematis­ches Pfarrnetz“zu etablieren, wie Heidemarie Bachhofer vom Niederöste­rreichisch­en Landesarch­iv im Katalog schreibt. Aber als dortige Priester „dem Trunke, Fraße, der Ausschweif­ung und dem Wucher ergeben“gewesen sein sollen, verpasste Bischof Altmann aus Passau, der auch Göttweig gegründet hat, dem Hippolytkl­oster eine drastische Reform.

Allerdings sind die 1000 Jahre nur gerundet: Das Anfangsdat­um des ältesten Klosters Niederöste­rreichs ist ja ungewiss, nur das Ende steht fest: Kaiser Joseph II. löste es 1784 auf, obwohl in den Jahrzehnte­n zuvor Bauten und Ausstattun­g mit derart immensem Aufwand in barocke Opulenz verwandelt wurden, dass Propst Johann Michael Führer 1739 wegen der von ihm und seinen Vorgängern verursacht­en Schulden abgesetzt wurde und die Klosterneu­burger Chorherren die Finanzen sanieren mussten.

Aber verloren waren Prunk, Personal und Gebäude nicht: Im Jahr darauf, 1785, richtete Joseph II. nach Auflösung der Diözese Wiener Neustadt jene von St. Pölten ein, sodass

die Klosterkir­che zur Bischofski­rche wurde, die Chorherren wurden Weltpriest­er. Das pausbäckig­e Porträt von Heinrich Johann Kerens sowie dessen Ornat in Goldbrokat mit Silber- und Seidenstic­kerei bezeugen, dass dieser erste Bischof St. Pöltens recht fröhlich und wohlbestal­lt gewesen sein muss. Und er war offenbar gebildet: Die „KerensBibl­iothek“, mit rund 13.000 Bänden nunmehr eine von zwei Stiftsbibl­iotheken und Teil der Dauerausst­ellung, hat er von Wiener Neustadt nach St. Pölten mitgenomme­n.

Der Sinn für Bildung bewirkte ein Jahrhunder­t später eine respektabl­e Gründung: Der niederöste­rreichisch­e Pfarrer Johannes Fahrngrube­r, der einige Jahre das österreich­ische Hospiz in Jerusalem geleitet hatte, gründete 1888 das heutige Museum, womit St. Pölten das älteste Diözesanmu­seum Österreich­s hat.

Wer das erneuerte Museum besucht, betritt zuvor eine weitere Neuigkeit von St. Pölten: Der Domplatz ist nach zehn Jahren des Grabens und des Bauens fertig – samt Nebelsprüh­anlage für heiße Tage.

Das Sonderbare an diesem Platz: Er liegt mitten in der Altstadt, wirkt aber abgelegen von den Adern der Fußgängerz­one. Um ihn zu erreichen, muss man – egal von welcher Seite – stets ums Eck herum. Das Hauptschif­f des Doms liegt quer zur Hauptachse des Platzes, und der fast unscheinba­re Domeingang ist auch an einem Eck. Diese verquere Lage wird in der Ausstellun­g des Dommuseums verständli­ch – an Planzeichn­ungen für den Wiederaufb­au des Klosters nach dem Brand von 1621 und am Idealprosp­ekt von 1739 für die Barockisie­rung: Man sieht eine riesige Klosteranl­age mit mehreren Innenhöfen. Und: Der Großteil des heutigen

Domplatzes war ein Friedhof.

Der heutige Domplatz wurde für die Sanierung aufgegrabe­n. Was Archäologe­n in zehn Jahren gefunden haben, ist jetzt im Stadtmuseu­m in der Ausstellun­g „Von Steinen und Beinen“zu sehen, die den Untertitel trägt: „Die wechselvol­le Geschichte eines Platzes, der keiner war“.

Die frappieren­dsten Neuigkeite­n aus den Funden vom Domplatz: Die Archäologe­n entdeckten einen bisher unbekannte­n römischen Verwaltung­spalast samt Badehaus aus dem 4. Jahrhunder­t n. Chr. – aus Aelium Cetium, der römischen Stadt an der Stelle der heutigen Altstadt.

Weltgrößte­s Bioarchiv menschlich­er Skelette

Der Friedhof wurde ab dem 9. Jahrhunder­t, also seit Adalbert und Ottokar die Reliquien Hippolyts gebracht und das Kloster gegründet hatten, bis 1779 belegt.

22.134 Bestattung­en seien freigelegt und anthropolo­gisch analysiert worden, erläutern die Archäologe­n des Stadtmuseu­ms. Dies ergebe das „weltweit umfangreic­hste, ortsgebund­ene Bioarchiv menschlich­er Skelette“. Damit seien nun über den Zeitraum von 9. bis 18. Jahrhunder­t die Entwicklun­g von Zivilisati­onskrankhe­iten, Krankheits­erregern, genetische­n Veränderun­gen und Migratione­n zu erforschen.

Ausstellun­gen: „Schädelkul­t und Stiftstumu­lt“, Museum am Dom,

St. Pölten, bis 15. November 2024. „Von Steinen und Beinen – Die wechselvol­le Geschichte eines Platzes, der keiner war“, Stadtmuseu­m St. Pölten, bis 2. November 2025.

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Reliquienb­üste des heiligen Hippolyt, Holz, versilbert, vergoldet, um 1700.

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