Normalität und andere Mythen
Elf künstlerische Diagnosen zur Gesundheit im Salzburger Kunstverein.
Ein Moment des Unwohlseins ist durchaus beabsichtigt. „Vielleicht haben Sie ein Gefühl, als ob Sie einen kurzen Einblick in ein Labor bekommen, in dem sie eigentlich nicht sein sollten“, sagt Itamar Gov. Auf einem Wagen aus chirurgisch steril wirkendem Metall hat er 33 Gipsgehirne gestapelt, als ob sie für ein Experiment bereitstünden. Nicht weit davon entfernt baumeln im großen Saal des Salzburger Kunstvereins lauter verhüllte Objekte von der Decke. „Es könnten Kokons sein, in denen etwas heranwächst – oder vielleicht Mumien“, sagt der Künstler. In seinen Installationen „The Nursery“und „Olympia“setze er sich mit der menschlichen Obsession auseinander, den Körper immer weiter zu perfektionieren – ein Drang, der in literarischen Beispielen von Frankenstein bis E. T. A. Hofmanns Schauererzählung „Der Sandmann“(in der Professor Spalanzani die lebende Puppe Olimpia erschafft) immer wieder auch schlecht für den Menschen endet.
In der Ausstellung „The Myth of Normal. Chronische Widersprüche“ist Itamar Gov einer von elf Künstlern, die sich mit Fragen nach den Normen und gesellschaftlichen Erwartungen beim Thema Gesundheit auseinandersetzen, wie Direktorin Mirela Baciak berichtet: Das Projekt sei in Kooperation mit dem Kunstverein Hannover entstanden, wo zeitgleich eine zweite Präsentation zu sehen ist. Der Ausstellungstitel
könnte Leserinnen und Lesern von Psychologiebestsellern bekannt vorkommen: „The Myth of Normal“heißt ein Buch des Traumatherapeuten Gabor Maté.
In den künstlerischen Diagnosen geht es immer wieder auch um den streng normierten Medizinbetrieb: Wie Stapel von Krankenhausformularen sehen die Gedichte aus der Arbeit „When Health Becomes Available“aus, die Cat Chong im Raum platziert. Den sterilen Vorhang einer Ambulanzkabine bemalt Julia Zöhrer mit Szenen medizinischer Behandlungen.
Eindrucksvoll ist eine Videoarbeit im Kabinett: Imogen Stidworthy hat dafür die schwedische Therapeutin Iris Johansson, die selbst dem autistischen Spektrum angehört und mit traumatisierten Menschen auf Ebenen arbeitet, wo die Sprache nicht hinkommt, filmisch begleitet.
Ausstellung: „The Myth of Normal. Chronische Widersprüche“, Salzburger Kunstverein, bis 30. 6.