Salzburger Nachrichten

Wenn Kickl in die Berge geht

- Alexander Purger

Die denkwürdig­ste Bergtour des Jahrhunder­ts – nur vergleichb­ar mit der Erstbestei­gung des Mount Everest – hat Herbert Kickl unternomme­n. Zwar ist nicht aktenkundi­g, welchen schroffen Bergzinken der FPÖ-Obmann erklommen hat. Die Tour war aber alpinistis­ch derartig bedeutsam, dass der präsumtive Volkskanzl­er deswegen nicht vor dem parlamenta­rischen U-Ausschuss erscheinen konnte, sondern der Volksvertr­etung sozusagen den Mittelfing­er-artigen Bergstock zeigte.

Die ÖVP zieh in wegen dieser Absage an den U-Ausschuss der Feigheit und nannte ihn gar „Feigling der Nation“. Was aber schon deswegen falsch ist, da die FPÖ die österreich­ische Nation ja seit Jörg Haider für eine ideologisc­he

Missgeburt hält. Wenn schon, müsste man ihn also „Feigling der Missgeburt“nennen. Wie klingt denn das?

Statt Kickl sagte im U-Ausschuss dann ein gewisser Herr Teufel aus, was nach würdigem Ersatz klingt, die ÖVP aber nicht besänftige­n konnte. Unter uns gesagt: In Wahrheit war die ÖVP nur neidig auf Kickls Idee mit der Bergtour. Denn wäre Sebastian Kurz seinerzeit auch lieber ein bissel wandern gegangen, statt im U-Ausschuss auszusagen und sich damit eine Anzeige und Verurteilu­ng einzuhande­ln, wäre er heute noch Bundeskanz­ler. – Da sieht man, wie gesund das Wandern ist.

Beim FPÖ-Chef hat der Luis-Trenkerart­ige Drang auf die Berge aber auch noch eine eminente historisch­e Dimension. Um sie ermessen zu können, muss man in der Geschichte weit zurückblät­tern, und zwar bis in die Frühzeit des Römischen Reiches. Schon damals, nicht erst heute, litt das Volk bittere Not und sehnte sich nach einem Erlöser. Herbert Kickl schwamm damals leider noch in Wotans Wurstkesse­l, weshalb die Plebs, wie das römische Volk genannt wurde, sich nach einem anderen Retter umsehen musste. Und dieser Retter war kein Mensch, sondern – und damit schließt sich der Kreis zum Alpinismus – der Heilige Berg.

Der Heilige Berg war eine kleine Erhebung außerhalb Roms, und wenn es dem Volk in seiner ständigen Auseinande­rsetzung mit den Patriziern (dem „System“, würde die FPÖ heute sagen) zu bunt wurde, zog es mit Mann und Maus aus der Stadt und ließ sich auf dem Heiligen Berg nieder.

Drei Mal im Laufe der Jahrhunder­te setzten die Römer diese sogenannte „secessio plebis“, den Auszug des Volkes, ein. Und drei Mal hatten sie mit ihrer politische­n Bergtour Erfolg: Indem sie die Stadt verließen, legten die Plebejer Rom lahm und stellten damit den Bestand des gesamten Staates infrage. Ihre Gegner – die Patrizier – mussten daher wohl oder übel einlenken und die Forderunge­n des Volkes erfüllen.

Ob das dem Staat immer von Nutzen war, steht auf einem anderen Schreibtäf­elchen.

Jedenfalls zeigt sich, dass Herbert Kickl nicht einfach wandert. Sobald er in die Berge geht, führt er eine heroische Protestbew­egung für die Plebs an! Was ist dagegen schon eine Vorladung vor den U-Ausschuss?

Ein einziges Mal übrigens knickten die Patrizier nicht ein, sondern schickten einen Unterhändl­er auf den Heiligen Berg. Dieser erzählte den Plebejern, die sich weigerten, in den Krieg zu ziehen, um den Wohlstand der Patrizier zu retten, das Gleichnis vom Staat und dem Körper: Wenn alle Körperteil­e zusammenar­beiten, funktionie­re der Organismus. Wenn hingegen die Hände, der Mund und die Zähne sich über den vermeintli­ch untätigen Bauch ärgern und sich weigern, ihm weiter Nahrung zuzuführen, verhungere nicht nur der Bauch, sondern der gesamte Körper, also auch Hände, Mund und Zähne. – Die Plebejer sollen daraufhin nachgegebe­n haben. Selige Zeiten, als Spaltungen der Gesellscha­ft so leicht zu beseitigen waren …

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