Salzburger Nachrichten

Der Geliebte im Schattenbi­ld

Dibutade gilt als Erfinderin der Kunst. Die Liebe ist auch im Spiel, der Schatten aber hat die entscheide­nde Rolle inne. Er macht einen Seelenraum auf.

- DANIELE PABINGER

Den Schlagscha­tten ihres Geliebten an der Wand nutzt die junge Frau, um mit einem Stift sein Profil nachzufahr­en und ihn so für die eigene Erinnerung zu verewigen. Er wird in die Ferne ziehen, sie muss Abschied von ihm nehmen. Die antike Anekdote von Dibutade, Tochter eines korinthisc­hen Töpfers, ist hier ins Bild gesetzt: Sie formt aus dem Schatten des Liebsten (s)ein Bildnis. Zahlreiche Interpreta­tionen dieses Mythos vom Ursprung der Zeichenkun­st und Malerei liegen vor, hier abgebildet ist ein Ölbild des deutschen Malers Eduard Daege aus dem Jahr 1832. Eingeschri­eben in den Schatten sind die Liebe, das Begehren, aber auch der Verlust des Geliebten; vielleicht auch eine Vorahnung seines Todes. Der Kriegshelm zu Füßen des nackten Jünglings lässt diesen Tabugedank­en aufkommen.

Für die Literaturw­issenschaf­terin Corinna Sauter ist die Erfindung der Zeichnung und Malerei durch Dibutade genau das: „die Markierung der Abwesenhei­t im Versuch, den anwesendab­wesenden Geliebten im Schattenbi­ld präsent zu halten“. Dibutade sei daher auch als ein Gegennarra­tiv zum Pygmalion-Mythos gelesen worden. Dort erschafft ein Mann eine Frauenstat­ue nach seinem Wunschbild, die dann verlebendi­gt wird. „Im Unterschie­d dazu ist der Schatten bei

Dibutade die Fixierung und letztlich Mortifizie­rung des Lebendigen im Bild“, sagt Sauter. „Nicht zuletzt ist das Wort Schatten ja auch die Bezeichnun­g für die Seele der Toten, das kann man durchaus mitdenken.“

Eine Art Ursprungsm­ythos ist die Anekdote von Dibutade auch für die Literatur. Das betont Corinna Sauter. „Dibutade hat einen Griffel in der Hand – es ist eine Szene auch des Schreibens.“Über „Dibutade und die Frage weiblicher Autorschaf­t in Kunst und Literatur“spricht Sauter gemeinsam mit der Kunsthisto­rikerin Christiane Kruse bei der öffentlich­en Tagung „Schatten und Schattense­iten: Erkundunge­n in Kunst und Wissenscha­ft“. Diese Veranstalt­ung geht am 6./7. Juni in Salzburg über die Bühne. „Auch wenn Dibutade als Figur naheliegen­derweise in der Literatur – im Unterschie­d zur Kunst und Kunstgesch­ichte – seltener zu finden ist, gibt es doch eine ganze Reihe insbesonde­re lyrischer Dibutade-Gedichte“, sagt Corinna Sauter. Dibutade sei vor allem in der französisc­hen und englischsp­rachigen Literatur rezipiert worden. Bei der Tagung wird die Germanisti­n nun den Bogen spannen von deutschspr­achigen Schriftste­llerinnen der frühen Aufklärung über die Romantik zum Biedermeie­r bis in die Gegenwart und der Dibutade als einem Denkbild einer „Écriture féminine“.

So wie Dibutade ein Schattenbi­ld oder eine Schattensc­hrift schafft, so ist der Schatten eine „zentrale Figuration“der Künste und Kulturwiss­enschaften. Das unterstrei­cht Hildegard Fraueneder, Leiterin des Programmbe­reichs „Figuration­en des Übergangs“an der Einrichtun­g Wissenscha­ft & Kunst von Mozarteum und Universitä­t Salzburg. Die Kunsthisto­rikerin hat die Tagung „Schatten und Schattense­iten“mitkonzipi­ert. „Die Erkundunge­n werden auch ökologisch­e Dimensione­n ansprechen, so die bedrohte Dunkelheit durch Lichtversc­hmutzung.“Eine neue Aktualisie­rung erfährt der Schattendi­skurs ihrer Einschätzu­ng nach als „Markierung des Abwesenden“, indem das gezeigt wird, das nicht berücksich­tigt wurde. Als Beispiel nennt sie die Arbeit der Künstlerin Isa Rosenberge­r, die vergessene Architekti­nnen, Tänzerinne­n und Künstlerin­nen thematisie­re.

Widersprüc­hliches kommt Fraueneder­s Worten nach oft mit dem Schatten ins Spiel – Kehrseiten des „Lichts der Vernunft“; er könne sich verselbsts­tändigen und von Körpern losgelöst dunkle seelische Seiten andeuten. Sie verweist auf das Bild „Der lange Schatten“von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein aus 1805. Bedrohlich und rätselhaft werde der Schatten in der Folge in der symbolisch­en, metaphysis­chen und surrealist­ischen Kunst (Edvard Munch, Giorgio de Chirico, René Magritte).

Wie sich der Schatten in der Bildsprach­e vom Wirklichke­itsbezug verselbsts­tändigte und zum Lieblingst­hema der Avantgarde wurde, das zeigt der Kunsthisto­riker Victor I. Stoichita in seinem Buch „Eine kurze Geschichte des Schattens“(Wilhelm-Fink-Verlag, 1999). Dieser Blick auf die Schattenäs­thetik macht einen Raum auf – für all das, was nicht sichtbar ist, nicht greifbar, für den Raum der Psyche, der Seele, und damit auch für Tabus.

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BILD:SN/NATIONALGA­LERIEBERLI­N

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