Salzburger Nachrichten

Die Trumps der Leinwand

Ganz Amerika entzweit sich wegen der Frage, ob Donald Trump nun korrupt ist oder nicht. Ein Schuft im Weißen Haus – daran arbeitet sich auch das US-Kino seit Jahrzehnte­n ab.

- CHRISTIAN GENZEL

s herrscht Krisenstim­mung im Oval Office, aber diese Besprechun­g ist nicht politische­r Natur. Der Präsident hatte eine Geliebte, das grobe Liebesspie­l eskalierte zum Kampf – und die junge Frau wurde daraufhin von herbeieile­nden Secret-Service-Agenten erschossen, die sorgfältig alle Spuren beseitigt haben.

Dummerweis­e gibt es einen heimlichen Zeugen, der von einem Geheimvers­teck aus den Vorfall beobachtet hat – und deswegen muss die Angelegenh­eit nun womöglich weiterhin mit drastische­n Mitteln vertuscht werden. „Zeigt, dass ihr euer Land liebt“, weist Präsident Alan Richmond seine Mannen an.

Die Verschwöru­ngsszene stammt aus dem Thriller „Absolute Power“, inszeniert von Clint Eastwood – den verbrecher­ischen Präsidente­n spielt Gene Hackman. Der Film kam 1997 in die Kinos, noch vor dem Skandal um die tatsächlic­hen Affären des damaligen Präsidente­n Bill Clinton (der freilich keinerlei Todesopfer beinhaltet). Dass da das Staatsober­haupt als unmoralisc­her Mann mit kriminelle­n Zügen gezeichnet wird, ist durchaus auffällig, angesichts der vielen positiven, idealistis­chen Präsidente­nfiguren dieser Zeit, von „Independen­ce

Day“hin zu „Hallo, Mr. President“. Aber der Eastwood-Streifen ist längst nicht der einzige Fall, bei dem das amerikanis­che Kino von fragwürdig­en Anführern und Menschen erzählte, die das Amt missbrauch­en.

Beliebt waren durch die Jahrzehnte vor allem satirische Darstellun­gen. Schon 1968 schaffte es im Film „Wild in den Straßen“ein Rockstar im Teenageral­ter, erst das Wahlrecht ab 14 einzuführe­n und dann selbst zum Präsidente­n gewählt zu werden – nur um dann Camps einzuricht­en, in denen „alte“abgeschobe­ne Menschen über 35 mittels Drogen „umerzogen“werden sollen.

In Barry Levinsons Film „Wag the Dog“geriet 1997 ein Präsident kurz vor der Wahl in einen Skandal um eine minderjähr­ige Mitarbeite­rin und ließ zur Ablenkung einen fiktiven Krieg mit Albanien inszeniere­n, komplett mit gefälschte­n Propaganda­filmen und eigenem Motivation­slied. Schon zwei Jahre davor zettelte ein Präsident in „Unsere feindliche­n Nachbarn“, dem einzigen fiktiven Spielfilm von Politdoku-Regisseur Michael Moore, zur Verbesseru­ng seiner Umfragewer­te einen Krieg mit Kanada an – nachdem Russland eine Wiederaufn­ahme des Kalten Krieges abgelehnt hatte.

Mitunter sind die Staatenlen­ker in solchen Satiren auch weniger kriminell als schlichtwe­g inkompeten­t und überforder­t. Präsident Merkin Muffley (dessen Vorname bezeichnet im Englischen übrigens eine Schamhaarp­erücke!) beispielsw­eise kann in Stanley Kubricks „Dr. Seltsam“aus dem Jahr 1964 in höflich-hilflos-skurrilen Gesprächen mit dem russischen Premier den Nuklearkri­eg nicht abwenden.

Noch überzeichn­eter ist der schlicht gestrickte Präsident Camacho, ein früherer Rapper, Wrestler und Pornostar, der in Mike Judges „Idiocracy“in die Luft ballert, damit ihm die Leute überhaupt zuhören. Der Film von 2005, der fünfhunder­t Jahre in der Zukunft spielt, fand bei den Präsidents­chaftswahl­en 2016 wieder Aufmerksam­keit: Judge verglich Donald Trump mit Camacho, spielte seine Vorwegnahm­e aber mit einem Witz herab: „Ich bin kein Prophet, ich lag um 490 Jahre daneben.“

Im Gegensatz zu den überspitzt­en Satiren, die freilich für ihre Wirksamkei­t weit ins Absurde gehen müssen, ist es aber auffällig, dass auch in ernsteren Geschichte­n jede mögliche kriminelle Veranlagun­g und Handlung der Staatsober­häupter schon angedacht wird. Der Präsident aus dem eingangs zitierten „Absolute Power“ist realistisc­h gezeichnet, ebenso wie jener aus Phillip Noyces Thriller „Das Kartell“, der aus privaten Rachemotiv­en verdeckte Operatione­n anzettelt.

Noch schlimmer sind manche Anführer aus verschiede­nen TV-Serien: In der vielbeacht­eten Serie „House of Cards“trägt der von Kevin Spacey dargestell­te Politiker Frank Underwood machiavell­istische Züge, seine Strategien beinhalten Täuschung, Betrug und mehrere Morde. Auch sein Kollege Fitzgerald Grant III aus der Serie „Scandal“ist nicht besser – und hat Wahlbetrug und Mord auf dem Kerbholz. Ebenso wie Präsident Charles Logan in der fünften Staffel der Actionreih­e „24“, der ganz abgesehen von Erpressung und Mord auch als rückgratlo­ser Opportunis­t gezeichnet wird.

Letzteres mag wiederum daran liegen, dass die Figur optisch eine gewisse Ähnlichkei­t mit Richard Nixon trägt, dem tatsächlic­hen 37. Präsidente­n der Vereinigte­n Staaten, der 1974 über den als „Watergate“bekannten Abhörskand­al stolperte und zurücktret­en musste. Solche Querverwei­se gehören natürlich zum Arsenal fiktiver Geschichte­n, die gerne auf tatsächlic­he Geschehnis­se anspielen oder sie in neuen Kontexten weiterdenk­en – und auch immer wieder Themen der Wirklichke­it widerspieg­eln. „Wild in den Straßen“etwa hängt mit dem Generation­enkonflikt und der politische­n Unruhe von 1968 zusammen, „Dr. Seltsam“entspringt der Nuklearbed­rohung des Kalten Krieges und „Wag the Dog“dockt an die geschickt eingesetzt­e Medienpräs­enz von Bill Clinton an.

Weil bei der diesjährig­en Präsidents­chaftswahl mit Donald Trump ein Kandidat antritt, gegen den zahlreiche Strafverfa­hren eingeleite­t wurden, der in manchen Prozessen schon verurteilt wurde und trotzdem als aussichtsr­eicher, populärer Kandidat gilt, sind es aber wohl vor allem die dystopisch­en Präsidente­nfiguren, die heutzutage besonders treffend erscheinen. Durchaus aktuell wirkt jener namenlose Staatsführ­er aus John Carpenters „Flucht aus L.A.“aus dem Jahr 1996, der sich zum Präsidente­n auf Lebenszeit ernannt hat, die „Unerwünsch­ten“im Land aussiebt (neben Rauchern und Fleischess­ern auch Muslime) und als „bibeltreue­r“Anführer auch nicht davor zurückschr­eckt, seine eigene Tochter wegen Landesverr­ats auf den elektrisch­en Stuhl zu schicken – vor laufender Fernsehkam­era. „Land der Freien“, spottet der Held der Geschichte an einer Stelle.

Am treffendst­en scheint vielleicht jener fiktive Präsident, der nie einer wurde: In Stephen Kings „The Dead Zone“von 1983 wird vorhergese­hen, dass ein Senator namens Stillson, sollte er zum Präsidente­n gewählt werden, einen Nuklearkri­eg anzetteln wird – und deswegen muss der Mann vorher gestoppt werden. Einen Einblick in Stillsons Charakter erlaubt ein Moment bei einer Schießerei, bei der sich jener ein Kleinkind schnappt und als Schutzschi­ld verwendet. Seine Aussichten auf die Präsidents­chaft sind damit vorbei, die Leute haben sein wahres Ich gesehen.

Und das ist dann auch jener Moment, in dem wir merken, dass Kino und Wirklichke­it doch unterschie­dlich funktionie­ren.

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 ?? ?? Gene Hackman als präsidiale­r Meuchler in „Absolute Power“; unten: Filmplakat
zu „Wild in den Straßen“.
Gene Hackman als präsidiale­r Meuchler in „Absolute Power“; unten: Filmplakat zu „Wild in den Straßen“.

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