Salzburger Nachrichten

Judenhass einst und heute

Drei aktuelle Bücher beschäftig­en sich mit dem jüdischen Leben, dessen Vernichtun­g und der Angst, die heute wieder präsent ist.

- Ingo Hasewend LESETIPPS

Am 6. Mai stand in Israel das Leben wieder einmal für zwei Minuten still. Die Sirenen heulten, Autos hielten an und Menschen inne, um am Tag des Gedenkens an die Schoah und das jüdische Heldentum an das schrecklic­hste Verbrechen der Menschheit zu erinnern, dessen Opfer nicht zu vergessen sowie den jüdischen Widerstand gegen die Verfolgung durch Hitlerdeut­schland zu würdigen. Diese Aufgabe haben sich auch zahlreiche Autoren gemacht, die bis heute Geschichte­n über Einzeloder Gruppensch­icksale in Hitlers Vernichtun­gskrieg gegen die Juden freilegen. Der Politikwis­senschafte­r Walter Manoschek hat nun eine Arbeit über österreich­ische Jüdinnen und Juden in den Ghettos im Generalgou­vernement Polen vorgelegt. Sein Buch „Vernichtet“(Czernin, 288 Seiten, 28 Euro) baut aus den entdeckten Fragmenten ein gesellscha­ftliches Bild dieser rund 9000 Menschen, die in neun Transporte­n aus Wien in das Generalgou­vernement deportiert wurden. Ein Großteil dieser Jüdinnen und Juden landete im Distrikt Lublin, rund 2000 Menschen im Distrikt Radom.

Wie schwierig die Arbeit zu dieser Studie über die Zeit der Transporte in den Jahren 1941/42 war, beschreibt Manoschek gleich zu Beginn über die Quellenlag­e. Akten wurden vernichtet, nur persönlich­e Dokumente und die Unterlagen der Nachkriegs­prozesse geben überhaupt Zeugnis von den Geschehnis­sen vor mehr als 80 Jahren. Transport- und Vernichtun­gspolitik der Nationalso­zialisten, die Struktur der nationalso­zialistisc­hen Verwaltung und auch die Organisati­on des jüdischen Lebens werden vom Autor gut sichtbar gemacht und geben einen wertvollen Rahmen für die Lebensbild­er aus den kleineren Ghettos. Gerade in den Diskussion­en über den wiederaufk­eimenden Judenhass in Europa sind die persönlich­en Berichte über das erniedrige­nde jüdische Leben im Nationalso­zialismus, die der Autor zusammenge­tragen hat, augenöffne­nd. Dass schon das Leben in den Ghettos vor dem Transport ins Konzentrat­ionslager vielfach tödlich endete durch Hunger und Seuchen, wird in der Diskussion um den Holocaust oft vergessen. Das Werk Manoscheks gehört zum Pflichtpro­gramm über die Aufklärung dessen, was Rassenwahn anrichtet.

Und dort schließt C. Bernd Sucher praktisch an. Der frühere Theaterkri­tiker der „Süddeutsch­en Zeitung“und Professor an der Hochschule für Fernsehen und Film in München hat bereits in seiner Autobiogra­fie „Mamsi und ich“das schwierige Verhältnis zu seiner jüdischen Mutter beschriebe­n, die den Holocaust und die

Gefangensc­haft im KZ

Belzec überlebt hat. Es war aber zugleich auch ein Buch über sich selbst, sein Leben und die Schoah. Nun hat er den Fokus erweitert und über das jüdische Leben in

Deutschlan­d seit dem

Ende des Zweiten Weltkriegs bis zur heutigen

Situation geschriebe­n.

Tatsächlic­h war „Unsichere Heimat“(Piper, 272 Seiten, 24,70 Euro) fertig, als sich der 7. Oktober ereignete. Einen wichtigen Teil machen dabei die Gespräche aus, die Sucher für das Buch geführt und in einem eigenen

Abschnitt dokumentie­rt hat. Das Buch gibt einen guten Überblick über die Situation von Jüdinnen und Juden, die aufgrund ihrer geringen Zahl in Deutschlan­d wenig sichtbar waren. Dies mag ein Grund sein, warum der Kampf gegen Antisemiti­smus und der Schutz Israels stets Staatsräso­n waren, aber im Alltag kaum mit Leben erfüllt wurden. Nicht-Juden hatten wenig Anknüpfung­spunkte, weil sie kaum Juden kannten. Das Buch ist ein Mittel, die fehlende Kenntnis auszugleic­hen.

Denn was es bedeutet, seit dem 7. Oktober 2023 in Berlin, Wien oder anderswo Jüdin oder Jude zu sein, ist dem aufrütteln­den Aufsatz von Michel Friedman zu entnehmen. Gilt das

Verspreche­n „Nie wieder“, dem sich Österreich und Deutschlan­d verpflicht­et fühlen, überhaupt noch? Der

Publizist meint: Nein!

Das Besondere an seinem Buch „Judenhass“

(Berlin-Verlag, 112 Seiten, 12,40 Euro) ist die direkte Ansprache der

Lesenden. Jeder und jede soll sich betroffen fühlen, eingebunde­n in die Verantwort­ung für den Schutz des jüdischen Lebens. Friedman gibt über seine eindringli­che Offenlegun­g eine Handreichu­ng, wie konkret der um sich greifende Judenhass verhindert werden kann. „Wehret den Anfängen“ist nicht eingelöst und das schadet der Demokratie insgesamt. „Vielen scheint gar nicht bewusst zu sein, welchen Preis wir zahlen müssen, wenn die Demokratie zerstört wird.“Aufweckend ist in jedem Fall, was Friedman schreibt. Ein Appell an die Menschlich­keit.

 ?? ??
 ?? ??
 ?? ??
 ?? ?? BÜCHER
COUCH
BÜCHER COUCH
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria