Offensive auf Charkiw, wo inmitten des Kriegs junge Leute tanzen
Sie wollen sich nicht alles nehmen lassen: Um 5.30 Uhr am Samstag probten junge Frauen und Männer für ihren Schulabschlussball und tanzten über eine Straße in Charkiw. Gleichzeitig wurden am Wochenende mehr als 4000 Menschen aus der Grenzregion in Sicherheit gebracht. Viele von ihnen könnten bei Freunden und Verwandten unterkommen, für andere würden Unterkünfte bereitgestellt, schrieb Gouverneur Oleh Synjehubow.
„Diese Woche hat sich die Lage im Gebiet Charkiw deutlich verschärft“, teilte der ukrainische Oberbefehlshaber Oleksandr Syrskyj am Sonntag auf Telegram mit. „Derzeit halten in den Grenzgebieten entlang der Staatsgrenze zur Russischen Föderation die Kämpfe an.“Dann fügte er hinzu: „Die Situation ist schwierig, aber die Verteidigungskräfte der Ukraine tun alles, um Verteidigungslinien und -positionen zu halten.“Zugleich räumte er ein, dass die russischen Angreifer an einigen Abschnitten „Teilerfolge“erzielt hätten.
Ukrainische und russische Militärbeobachter wie auch ausländische Experten gingen davon aus, dass der Vorstoß noch nicht auf die Stadt Charkiw ziele. Das Institut für Kriegsstudien ISW in den USA sprach von „begrenzten operativen Zielen“. Die Angriffe sollten die ukrainischen Kräfte von der Grenze abdrängen. Strategisches Ziel sei, die Ukrainer zu zwingen, Soldaten und Material von anderen bedrängten Abschnitten der Front im Osten abzuziehen. Der begrenzte Einsatz lege nicht nahe, „dass russische Kräfte in großem Maßstab eine Offensivoperation durchführen, um Charkiw einzuschließen oder zu erobern“, schrieb das ISW. Gleich zu Beginn des Angriffskriegs im Frühjahr 2022 waren russische Truppen nach Charkiw eingedrungen, konnten aber abgewehrt werden.
In der an Charkiw angrenzenden russischen Region Belgorod wurde unterdessen ein mehrstöckiges Wohnhaus bei einem Angriff schwer beschädigt. Russlands Verteidigungsministerium teilte mit, das Haus sei von herabstürzenden Trümmern einer ukrainischen Totschka-U-Rakete getroffen worden. Unabhängig überprüft werden konnte das zunächst nicht.
Kremlkritiker Alexej Nawalny ist posthum mit dem Internationalen Friedenspreis Dresden geehrt worden. Seine Witwe Julia nahm die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung am Sonntag entgegen. Deutschlands Altbundespräsident Joachim Gauck würdigte den vor drei Monaten in Strafhaft Ermordeten als „selbstlosen, fast übermenschlich mutigen Mann“. Er habe gezeigt, „dass es auch ein anderes Russland geben kann“.