Wo die Sanktionen gegen Russland wirken
Der Kreml jubelt, der Kollaps der Wirtschaft sei ausgeblieben. Doch in den russischen Rohstoffbranchen knirscht es.
Wenn früher die Hydraulikpumpe eines Kipplasters kaputt war, habe man bei Volvo angerufen. „Die hatten ein Zentrallager in Moskau, nach ein paar Tagen war das Ersatzteil da“, erzählt Andrej, leitender Ingenieur eines russischen Bergbauunternehmens. Jetzt sei Volvo weg, auch sein Ersatzteillager, man müsse Monate auf Neuteile warten. Um die Arbeit aufrechtzuerhalten, kauften jetzt alle zusätzlich Lastwagen aus China. „Die kosten so viel wie ein Volvo, gehen aber schneller kaputt. Du brauchst häufiger Ersatzteile, aber die Chinesen haben keine Lager in Russland.“Die Kosten steigen, die Produktion sei um zehn Prozent gefallen. „Es ist Unsinn zu sagen, die Sanktionen wirkten nicht.“
Russlands Präsident Wladimir Putin feiert eine andere Version. Er spricht von Russlands Wirtschaftssieg über die Sanktionen des Westens: „Es scheint, als erdrücke man uns von allen Seiten.“Tatsächlich hätten die Sanktionen das Gegenteil erreicht. Russland sei die größte Volkswirtschaft Europas geworden. Dabei wächst die Unklarheit über den Realzustand der russischen Wirtschaft. Der Staat hat die Daten Tausender Firmen, aber auch makroökonomische Angaben über Devisenreserven oder Außenhandel für geheim erklärt.
Aber auch offizielle Zahlen stellen Putins Narrativ infrage. Laut Zentralbank sind 40 Prozent der Industrieausrüstung abgenutzt. Der Staatsmonopolkonzern Gazprom meldete 2023 Verluste von über 6,3 Milliarden Euro, vor allem wegen des weitgehenden Wegfalls des Absatzmarkts Europa. Die Umleitung auf alternative Märkte habe nur fünf bis zehn Prozent der Verluste in Europa im vergangenen Jahr aufgefangen, teilte das britische Verteidigungsministerium am Sonntag mit. Jetzt bietet der Konzern Immobilien in Moskau zum Verkauf an.
Auch andere Monopolriesen wanken. Laut der Wirtschaftszeitung „Wedomosti“droht die Produktion bei Rusal, Russlands größtem Aluminiumhersteller, um 25 Prozent zurückzugehen. Der Branchenführer soll das Industrieministerium schon gebeten haben, die Branche von den Exportzöllen zu befreien und Stützungskäufe zu tätigen.
Der Kohleexport sank laut „Wedomosti“diesen März gegenüber dem März 2023 um 17 Prozent. Nach Angaben der Zeitung „Kommersant“befürchtet die Staatsratskommission für Energiewirtschaft, dass die Kohlenbranche dieses Jahr Verluste von umgerechnet gut 4,5 Mrd. Euro einfahre. Sergej Ziwiljew, Gouverneur der Bergbauregion Kemerowo, klagt, der Kohle-Selbstkostenpreis sei um 30 Prozent gestiegen.
Jetzt werden eine Streichung der Ausfuhrzölle und staatliche Preisgarantien für Kohle diskutiert, auch ein Vier-Milliarden -Zuschuss für Gazprom. Mit anderen Worten heißt das: weniger Geld für Putins Kriegskasse. Dazu wird der Grauimport mehr oder weniger rüstungsrelevanter Technik schwieriger. Aus Angst vor US-Strafen hat ein Großteil der chinesischen und türkischen Banken aufgehört, Zahlungen von sanktionierten russischen
Kunden oder für Waren, die auf der Sanktionsliste stehen, anzunehmen. Deshalb schrumpfte der Import aus China laut Bloomberg im März erstmals seit Mitte 2022 gegenüber dem Vorjahresmonat, und das gleich um 15,7 Prozent.
Auch die Rohstoffexporteure haben plötzlich technische Probleme mit ihren Geldströmen. Nach Beginn der „Kriegsspezialoperation“verkaufen sie 33 Mal mehr Öl nach Indien als vorher. Aber laut Bloomberg können sie diese Geschäfte wegen der Sanktionen nicht in Dollar oder anderen internationalen Verkehrswährungen abrechnen. Monatlich häuften sich auf den indischen Konten der Russen Rupien-Summen von umgerechnet drei Milliarden Dollar.
Die indische Zentralbank untersagte es, diese Rupien nach Russland zu überweisen. Nach Angaben des indischen Portals The Hindu Business Line haben sich die Russen damit abgefunden, die Rupien in indische Wertpapiere und Eisenbahnprojekte zu investieren.
Anton ist Geschäftsführer einer kleinen Petersburger Firma, die ausländische Gasinstallationsausrüstung importiert. Er ist wegen der Sanktionen von deutscher auf türkische Technik umgestiegen. Aber auch er kann das Geld für seine Käufe den Lieferanten nicht mehr überweisen. „Selbst die russischen Außenhandelsbanken weigern sich jetzt, Waren mit Kennziffern, die auf den Sanktionslisten stehen, abzurechnen.“
„Mein Business“, sagt Anton, „klemmt komplett.“
Milliardenverlust bei Gazprom