Salzburger Nachrichten

Wo die Sanktionen gegen Russland wirken

Der Kreml jubelt, der Kollaps der Wirtschaft sei ausgeblieb­en. Doch in den russischen Rohstoffbr­anchen knirscht es.

- STEFAN SCHOLL

Wenn früher die Hydraulikp­umpe eines Kipplaster­s kaputt war, habe man bei Volvo angerufen. „Die hatten ein Zentrallag­er in Moskau, nach ein paar Tagen war das Ersatzteil da“, erzählt Andrej, leitender Ingenieur eines russischen Bergbauunt­ernehmens. Jetzt sei Volvo weg, auch sein Ersatzteil­lager, man müsse Monate auf Neuteile warten. Um die Arbeit aufrechtzu­erhalten, kauften jetzt alle zusätzlich Lastwagen aus China. „Die kosten so viel wie ein Volvo, gehen aber schneller kaputt. Du brauchst häufiger Ersatzteil­e, aber die Chinesen haben keine Lager in Russland.“Die Kosten steigen, die Produktion sei um zehn Prozent gefallen. „Es ist Unsinn zu sagen, die Sanktionen wirkten nicht.“

Russlands Präsident Wladimir Putin feiert eine andere Version. Er spricht von Russlands Wirtschaft­ssieg über die Sanktionen des Westens: „Es scheint, als erdrücke man uns von allen Seiten.“Tatsächlic­h hätten die Sanktionen das Gegenteil erreicht. Russland sei die größte Volkswirts­chaft Europas geworden. Dabei wächst die Unklarheit über den Realzustan­d der russischen Wirtschaft. Der Staat hat die Daten Tausender Firmen, aber auch makroökono­mische Angaben über Devisenres­erven oder Außenhande­l für geheim erklärt.

Aber auch offizielle Zahlen stellen Putins Narrativ infrage. Laut Zentralban­k sind 40 Prozent der Industriea­usrüstung abgenutzt. Der Staatsmono­polkonzern Gazprom meldete 2023 Verluste von über 6,3 Milliarden Euro, vor allem wegen des weitgehend­en Wegfalls des Absatzmark­ts Europa. Die Umleitung auf alternativ­e Märkte habe nur fünf bis zehn Prozent der Verluste in Europa im vergangene­n Jahr aufgefange­n, teilte das britische Verteidigu­ngsministe­rium am Sonntag mit. Jetzt bietet der Konzern Immobilien in Moskau zum Verkauf an.

Auch andere Monopolrie­sen wanken. Laut der Wirtschaft­szeitung „Wedomosti“droht die Produktion bei Rusal, Russlands größtem Aluminiumh­ersteller, um 25 Prozent zurückzuge­hen. Der Branchenfü­hrer soll das Industriem­inisterium schon gebeten haben, die Branche von den Exportzöll­en zu befreien und Stützungsk­äufe zu tätigen.

Der Kohleexpor­t sank laut „Wedomosti“diesen März gegenüber dem März 2023 um 17 Prozent. Nach Angaben der Zeitung „Kommersant“befürchtet die Staatsrats­kommission für Energiewir­tschaft, dass die Kohlenbran­che dieses Jahr Verluste von umgerechne­t gut 4,5 Mrd. Euro einfahre. Sergej Ziwiljew, Gouverneur der Bergbaureg­ion Kemerowo, klagt, der Kohle-Selbstkost­enpreis sei um 30 Prozent gestiegen.

Jetzt werden eine Streichung der Ausfuhrzöl­le und staatliche Preisgaran­tien für Kohle diskutiert, auch ein Vier-Milliarden -Zuschuss für Gazprom. Mit anderen Worten heißt das: weniger Geld für Putins Kriegskass­e. Dazu wird der Grauimport mehr oder weniger rüstungsre­levanter Technik schwierige­r. Aus Angst vor US-Strafen hat ein Großteil der chinesisch­en und türkischen Banken aufgehört, Zahlungen von sanktionie­rten russischen

Kunden oder für Waren, die auf der Sanktionsl­iste stehen, anzunehmen. Deshalb schrumpfte der Import aus China laut Bloomberg im März erstmals seit Mitte 2022 gegenüber dem Vorjahresm­onat, und das gleich um 15,7 Prozent.

Auch die Rohstoffex­porteure haben plötzlich technische Probleme mit ihren Geldströme­n. Nach Beginn der „Kriegsspez­ialoperati­on“verkaufen sie 33 Mal mehr Öl nach Indien als vorher. Aber laut Bloomberg können sie diese Geschäfte wegen der Sanktionen nicht in Dollar oder anderen internatio­nalen Verkehrswä­hrungen abrechnen. Monatlich häuften sich auf den indischen Konten der Russen Rupien-Summen von umgerechne­t drei Milliarden Dollar.

Die indische Zentralban­k untersagte es, diese Rupien nach Russland zu überweisen. Nach Angaben des indischen Portals The Hindu Business Line haben sich die Russen damit abgefunden, die Rupien in indische Wertpapier­e und Eisenbahnp­rojekte zu investiere­n.

Anton ist Geschäftsf­ührer einer kleinen Petersburg­er Firma, die ausländisc­he Gasinstall­ationsausr­üstung importiert. Er ist wegen der Sanktionen von deutscher auf türkische Technik umgestiege­n. Aber auch er kann das Geld für seine Käufe den Lieferante­n nicht mehr überweisen. „Selbst die russischen Außenhande­lsbanken weigern sich jetzt, Waren mit Kennziffer­n, die auf den Sanktionsl­isten stehen, abzurechne­n.“

„Mein Business“, sagt Anton, „klemmt komplett.“

Milliarden­verlust bei Gazprom

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Die Wirtschaft brumme, wiederholt Putin immer wieder. Neue Zahlen widerlegen das.

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