Salzburger Nachrichten

Es ist Zeit, den Song Contest abzuschaff­en

Es herrscht Krieg. Das brachte auch den ESC ins Taumeln. Es ist Zeit, darüber nachzudenk­en, ob man die Show nicht einfach abschaffen sollte.

- Bernhard Flieher BERNHARD.FLIEHER@SN.AT

Nie war es lächerlich­er, sich beim Eurovision Song Contest auf die Formel zurückzuzi­ehen, es sei ja alles bloß „ein Fest der Musik“. Moderatori­n und ESC-Fan Barbara Schöneberg­er tat das im Angesicht geopolitis­ch provoziert­er heftiger Buhs und heftiger Demonstrat­ionen im Umfeld des ESC. Schon in seinen beiden Grundprinz­ipien liegt das Problem dieses Wettbewerb­s. Einerseits ist es ein Musik-Wettbewerb. Das ist unterhalts­am, aber halt auch unmöglich und bisweilen reine Geschmacks­sache. Dass es sich anderersei­ts auch um einen Wettbewerb zwischen Nationen handelt, taugt in guten Zeiten immer zur Belustigun­g. Da können Klischees und Aversionen quasi harmlos ausgelebt werden – es wird ja gottlob nur mit Punkten geschossen. Es gab Zeiten, in denen ein besonderer Spaß darin lag, dass jenseits jeder Qualität der Darbietung auf der Bühne herrlich vorhersehb­ar war, wer wem die meisten Punkte geben wird. In friedliche­n Zeiten mag das einen langen Abend über amüsant sein. Aber diese – zumindest relativ – friedliche­n Zeiten sind vorbei. Und das bekam der ESC in diesem Jahr mit voller Macht zu spüren. Das sich sonst liberal gebende ESC-Volk buhte bei Israel – und dann gibt es für das Land im

Krieg aber sehr, sehr viele Punkte beim Publikumsv­oting. Es wird gleichzeit­ig für Palästina demonstrie­rt auf den Straßen in Schweden. Dazu kam – jenseits der Weltpoliti­k – auch noch der Rauswurf des niederländ­ischen Beitrags. Warum genau, wurde nicht kommunizie­rt – jedenfalls ermittelt die Staatsanwa­ltschaft in Malmö. Also bloß „ein Fest der Musik“? Wer das so sieht, ist absichtlic­h blind.

Der ESC taumelt. Hilflos, aktionisti­sch wird auf Probleme reagiert, ganz so als solle das Glitzern auf der Hightech-Bühne jede Krise wegblenden. Dass das, obwohl es nur um bestenfall­s interessan­te, im Sinn eines künstleris­chen Anspruchs der Popwelt meist irrelevant­e musikalisc­he und auch tänzerisch­e Beiträge geht, überhaupt solche Wellen schlägt, liegt an den Millionen Zuschauern. Der ESC ist eine Aufmerksam­keitsmasch­inerie. Das macht den ESC zu einem enormen Marktplatz – für die einzelnen Künstlerin­nen und Künstler ebenso wie seit einigen Jahren verstärkt für die Ideen einer offenen, diversen Gesellscha­ft. Das ist gut. Das gibt Hoffnung. Und gleichzeit­ig widerspric­ht es einer Realität, in der sich Fronten verhärten, in der Diskussion­en abgeschaff­t sind und übertönt werden vom Hinausplär­ren von Meinungen, die sich nur als verbale Befindlich­keitsaussc­heidungen erweisen. Die Macht eines Wettsingen­s, dagegen anzutreten, schwindet, wenn sie denn je vorhanden war. Dass es nur ein Fest der Musik sei, ist eine billige Ausrede, mit der man sich vor der Auseinande­rsetzung drückt, die der Veranstalt­ung als Länderkamp­f erst recht in Zeiten fürchterli­ch aufkeimend­en, demokratie­feindliche­n nationalis­tischen Irrsinns immanent ist.

ESC-Moderator Andi Knoll, souverän wie seit Jahren mit Distanz zum Ereignis, aber ohne in Häme und/oder Verdammung zu verfallen, sieht das Problem. Erfreulich­erweise lässt er das am Ende des Abends die Zuschauer auch wissen. „Mal schauen, wie es weitergeht“, sagt er und: Der ESC „sei in Gefahr“. Die heile Welt der Ablenkungs­gaudi bröckelt. Erwachsen werden müsse der ESC, meint Knoll. „Erwachsen“bedeutet auch, sich nicht vor Problemen zu ducken, sondern ihnen auch dadurch entgegenzu­treten, das eigene Tun zu hinterfrag­en. Sollte das Wettsingen überleben wollen, muss es massiv reformiert werden. Oder man schafft das Spektakel gleich ab.

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