Es ist Zeit, den Song Contest abzuschaffen
Es herrscht Krieg. Das brachte auch den ESC ins Taumeln. Es ist Zeit, darüber nachzudenken, ob man die Show nicht einfach abschaffen sollte.
Nie war es lächerlicher, sich beim Eurovision Song Contest auf die Formel zurückzuziehen, es sei ja alles bloß „ein Fest der Musik“. Moderatorin und ESC-Fan Barbara Schöneberger tat das im Angesicht geopolitisch provozierter heftiger Buhs und heftiger Demonstrationen im Umfeld des ESC. Schon in seinen beiden Grundprinzipien liegt das Problem dieses Wettbewerbs. Einerseits ist es ein Musik-Wettbewerb. Das ist unterhaltsam, aber halt auch unmöglich und bisweilen reine Geschmackssache. Dass es sich andererseits auch um einen Wettbewerb zwischen Nationen handelt, taugt in guten Zeiten immer zur Belustigung. Da können Klischees und Aversionen quasi harmlos ausgelebt werden – es wird ja gottlob nur mit Punkten geschossen. Es gab Zeiten, in denen ein besonderer Spaß darin lag, dass jenseits jeder Qualität der Darbietung auf der Bühne herrlich vorhersehbar war, wer wem die meisten Punkte geben wird. In friedlichen Zeiten mag das einen langen Abend über amüsant sein. Aber diese – zumindest relativ – friedlichen Zeiten sind vorbei. Und das bekam der ESC in diesem Jahr mit voller Macht zu spüren. Das sich sonst liberal gebende ESC-Volk buhte bei Israel – und dann gibt es für das Land im
Krieg aber sehr, sehr viele Punkte beim Publikumsvoting. Es wird gleichzeitig für Palästina demonstriert auf den Straßen in Schweden. Dazu kam – jenseits der Weltpolitik – auch noch der Rauswurf des niederländischen Beitrags. Warum genau, wurde nicht kommuniziert – jedenfalls ermittelt die Staatsanwaltschaft in Malmö. Also bloß „ein Fest der Musik“? Wer das so sieht, ist absichtlich blind.
Der ESC taumelt. Hilflos, aktionistisch wird auf Probleme reagiert, ganz so als solle das Glitzern auf der Hightech-Bühne jede Krise wegblenden. Dass das, obwohl es nur um bestenfalls interessante, im Sinn eines künstlerischen Anspruchs der Popwelt meist irrelevante musikalische und auch tänzerische Beiträge geht, überhaupt solche Wellen schlägt, liegt an den Millionen Zuschauern. Der ESC ist eine Aufmerksamkeitsmaschinerie. Das macht den ESC zu einem enormen Marktplatz – für die einzelnen Künstlerinnen und Künstler ebenso wie seit einigen Jahren verstärkt für die Ideen einer offenen, diversen Gesellschaft. Das ist gut. Das gibt Hoffnung. Und gleichzeitig widerspricht es einer Realität, in der sich Fronten verhärten, in der Diskussionen abgeschafft sind und übertönt werden vom Hinausplärren von Meinungen, die sich nur als verbale Befindlichkeitsausscheidungen erweisen. Die Macht eines Wettsingens, dagegen anzutreten, schwindet, wenn sie denn je vorhanden war. Dass es nur ein Fest der Musik sei, ist eine billige Ausrede, mit der man sich vor der Auseinandersetzung drückt, die der Veranstaltung als Länderkampf erst recht in Zeiten fürchterlich aufkeimenden, demokratiefeindlichen nationalistischen Irrsinns immanent ist.
ESC-Moderator Andi Knoll, souverän wie seit Jahren mit Distanz zum Ereignis, aber ohne in Häme und/oder Verdammung zu verfallen, sieht das Problem. Erfreulicherweise lässt er das am Ende des Abends die Zuschauer auch wissen. „Mal schauen, wie es weitergeht“, sagt er und: Der ESC „sei in Gefahr“. Die heile Welt der Ablenkungsgaudi bröckelt. Erwachsen werden müsse der ESC, meint Knoll. „Erwachsen“bedeutet auch, sich nicht vor Problemen zu ducken, sondern ihnen auch dadurch entgegenzutreten, das eigene Tun zu hinterfragen. Sollte das Wettsingen überleben wollen, muss es massiv reformiert werden. Oder man schafft das Spektakel gleich ab.