Industrie in der Doppelmühle
Sinkende Umsätze und gestiegene Kapitalkosten bringen hoch technisierte Produktionsbetriebe unter Zugzwang. Nicht alle schaffen es durchzutauchen oder sich neu zu erfinden.
Österreichs Industrieproduktion wird nach Einschätzung des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo) heuer um 1,5 Prozent real schrumpfen. In den ersten drei Monaten gab es ein Minus von 0,3 Prozent – nachdem es schon im vorigen Jahr Quartal für Quartal zu einer Abnahme gegenüber der Vorperiode kam. Die Unternehmen beurteilen die aktuelle Lage ebenso wie die Aussichten fast so pessimistisch wie in Finanzkrise und Covidpandemie, stellen die Wifo-Ökonomen in ihrem jüngsten Monatsbericht fest.
Walter Woitsch, Chef des auf Industrie spezialisierten Beratungsunternehmens Syngroup, hat schon Konjunktureinschnitte erlebt und Unternehmen begleitet. Was jetzt passiere, sei neu, sagt er zu den SN. „Fakt ist, dass wir querdurch mit reduzierten Mengen umgehen müssen – und zwar möglicherweise dauerhaft.“Mit Umsatzrückgängen von durchschnittlich zehn Prozent – je nach Branche bis zu 30 Prozent – bei gleichzeitigen kaum beeinflussbaren Energie-, Personal- und Kapitalkostensteigerungen müssten Unternehmen reagieren. Und tun es, wie die jüngsten Kündigungswellen und gestiegenen Arbeitslosenzahlen zeigen. Bis Sommer vorigen Jahres hätten Firmenchefs oft abgewartet, im Herbst Sparprogramme entwickelt, aber noch die Fachkräfte zu halten versucht. Seit Jahresbeginn habe sich das verändert, sagt der Berater.
„Das dominierende Thema ist, wo sich günstiger produzieren lässt“, und da sei Österreich trotz der Effizienzgewinne und Innovationskraft vieler Firmen im Nachteil. Und wer zuletzt weiter kräftig investiert
hat, in Automatisierung, Digitalisierung, Modernisierung, um die Produktivität zu steigern und den Fachkräftemangel zu umschiffen, sei jetzt schnell finanziell am Anschlag, wenn Umsätze nicht wie geplant und bisher üblich steigen. Teure Maschinen und Roboter müssen laufen, damit sie sich rechnen, das macht ihren Einsatz unflexibel.
Wer es sich leisten kann, produziert laut Woitsch weiter – auch unter Vollkosten –, in der Hoffnung, dass Wettbewerber einen kürzeren Atem haben. Oder auf Lager, sofern diese nicht ohnehin voll sind. Noch immer gebe es auch Nischenplayer, die mit Innovationen wüchsen. Aber bei nicht wenigen Betrieben „könnte ich mir vorstellen, dass sie
damit leben müssen“– also mit einer neuen Art des Wirtschaftens mit weniger Ressourcenverbrauch und Fachkräftemangel.
„Dass wir in einer angespannten Konjunkturlage sind und die Sachgüterproduktion und die Bauwirtschaft darunter leiden, ist unbestritten“, sagt Agnes Kügler, WifoÖkonomin mit Schwerpunkt auf Industrieökonomie, Innovation und internationalen Wettbewerb. Bisher wiesen die Daten in Österreich aber auf einen stabilen Industrieanteil und auch keine auffallenden Rückgänge bei den Arbeitskräften im produzierenden Sektor hin. Die Investitionen schwankten zwar, spiegelten aber nur die – derzeit pessimistische – Einschätzung der Industrie wider. Ähnlich verhält es sich laut Wifo bei den Ausgaben für neue Produkte und Dienstleistungen. Die seien 2023 gestiegen, aber nur ein Fünftel setzte die Pläne tatsächlich
um. Seit der Coronakrise sei ein genereller Rückgang der Innovationsanstrengungen zu beobachten, vor allem in kleinen und mittleren Unternehmen. Im Laufe des Jahres sollte entsprechend der Außenhandelsprognose die Trendwende der Konjunktur in der EU ab dem zweiten Halbjahr 2024 für eine Besserung der Lage in der Industrie sorgen, erwarten die Wifo-Experten. Große Sprünge sind nicht absehbar. Bis 2028 wird nur ein Wirtschaftswachstum von rund 1,25 Prozent pro Jahr erwartet.
Die ganz große Herausforderung steht dem Gros der Industrie in der EU noch bevor: die grüne Transformation. „Es wird Gewinner und Verlierer geben“, sagt Kügler. Nicht alle Unternehmen würden absiedeln, sondern es würden neue Technologien durch alte ersetzt. Das werde Kosten verursachen und sich aufs Wirtschaftswachstum auswirken.
„Es wird Gewinner und Verlierer geben“