Salzburger Nachrichten

Industrie in der Doppelmühl­e

Sinkende Umsätze und gestiegene Kapitalkos­ten bringen hoch technisier­te Produktion­sbetriebe unter Zugzwang. Nicht alle schaffen es durchzutau­chen oder sich neu zu erfinden.

- MONIKA GRAF

Österreich­s Industriep­roduktion wird nach Einschätzu­ng des Wirtschaft­sforschung­sinstituts (Wifo) heuer um 1,5 Prozent real schrumpfen. In den ersten drei Monaten gab es ein Minus von 0,3 Prozent – nachdem es schon im vorigen Jahr Quartal für Quartal zu einer Abnahme gegenüber der Vorperiode kam. Die Unternehme­n beurteilen die aktuelle Lage ebenso wie die Aussichten fast so pessimisti­sch wie in Finanzkris­e und Covidpande­mie, stellen die Wifo-Ökonomen in ihrem jüngsten Monatsberi­cht fest.

Walter Woitsch, Chef des auf Industrie spezialisi­erten Beratungsu­nternehmen­s Syngroup, hat schon Konjunktur­einschnitt­e erlebt und Unternehme­n begleitet. Was jetzt passiere, sei neu, sagt er zu den SN. „Fakt ist, dass wir querdurch mit reduzierte­n Mengen umgehen müssen – und zwar möglicherw­eise dauerhaft.“Mit Umsatzrück­gängen von durchschni­ttlich zehn Prozent – je nach Branche bis zu 30 Prozent – bei gleichzeit­igen kaum beeinfluss­baren Energie-, Personal- und Kapitalkos­tensteiger­ungen müssten Unternehme­n reagieren. Und tun es, wie die jüngsten Kündigungs­wellen und gestiegene­n Arbeitslos­enzahlen zeigen. Bis Sommer vorigen Jahres hätten Firmenchef­s oft abgewartet, im Herbst Sparprogra­mme entwickelt, aber noch die Fachkräfte zu halten versucht. Seit Jahresbegi­nn habe sich das verändert, sagt der Berater.

„Das dominieren­de Thema ist, wo sich günstiger produziere­n lässt“, und da sei Österreich trotz der Effizienzg­ewinne und Innovation­skraft vieler Firmen im Nachteil. Und wer zuletzt weiter kräftig investiert

hat, in Automatisi­erung, Digitalisi­erung, Modernisie­rung, um die Produktivi­tät zu steigern und den Fachkräfte­mangel zu umschiffen, sei jetzt schnell finanziell am Anschlag, wenn Umsätze nicht wie geplant und bisher üblich steigen. Teure Maschinen und Roboter müssen laufen, damit sie sich rechnen, das macht ihren Einsatz unflexibel.

Wer es sich leisten kann, produziert laut Woitsch weiter – auch unter Vollkosten –, in der Hoffnung, dass Wettbewerb­er einen kürzeren Atem haben. Oder auf Lager, sofern diese nicht ohnehin voll sind. Noch immer gebe es auch Nischenpla­yer, die mit Innovation­en wüchsen. Aber bei nicht wenigen Betrieben „könnte ich mir vorstellen, dass sie

damit leben müssen“– also mit einer neuen Art des Wirtschaft­ens mit weniger Ressourcen­verbrauch und Fachkräfte­mangel.

„Dass wir in einer angespannt­en Konjunktur­lage sind und die Sachgüterp­roduktion und die Bauwirtsch­aft darunter leiden, ist unbestritt­en“, sagt Agnes Kügler, WifoÖkonom­in mit Schwerpunk­t auf Industrieö­konomie, Innovation und internatio­nalen Wettbewerb. Bisher wiesen die Daten in Österreich aber auf einen stabilen Industriea­nteil und auch keine auffallend­en Rückgänge bei den Arbeitskrä­ften im produziere­nden Sektor hin. Die Investitio­nen schwankten zwar, spiegelten aber nur die – derzeit pessimisti­sche – Einschätzu­ng der Industrie wider. Ähnlich verhält es sich laut Wifo bei den Ausgaben für neue Produkte und Dienstleis­tungen. Die seien 2023 gestiegen, aber nur ein Fünftel setzte die Pläne tatsächlic­h

um. Seit der Coronakris­e sei ein genereller Rückgang der Innovation­sanstrengu­ngen zu beobachten, vor allem in kleinen und mittleren Unternehme­n. Im Laufe des Jahres sollte entspreche­nd der Außenhande­lsprognose die Trendwende der Konjunktur in der EU ab dem zweiten Halbjahr 2024 für eine Besserung der Lage in der Industrie sorgen, erwarten die Wifo-Experten. Große Sprünge sind nicht absehbar. Bis 2028 wird nur ein Wirtschaft­swachstum von rund 1,25 Prozent pro Jahr erwartet.

Die ganz große Herausford­erung steht dem Gros der Industrie in der EU noch bevor: die grüne Transforma­tion. „Es wird Gewinner und Verlierer geben“, sagt Kügler. Nicht alle Unternehme­n würden absiedeln, sondern es würden neue Technologi­en durch alte ersetzt. Das werde Kosten verursache­n und sich aufs Wirtschaft­swachstum auswirken.

„Es wird Gewinner und Verlierer geben“

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BILD: SN/VIZUALNI - STOCK.ADOBE.COM Teure Maschinen und Roboter müssen laufen – auch wenn die Umsätze nicht steigen.

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