„Klima-Storys, die Hoffnung geben“
Für den Journalismus sei die Klimakatastrophe eine Herausforderung und Chance zugleich, betont Publizist Wolfgang Blau.
WIEN. Der Klimakommunikationsexperte Wolfgang Blau war der erste Redner der Hugo Portisch Lectures. Diese Vortragsreihe zur Journalismusforschung hat die Österreichische Akademie der Wissenschaften gemeinsam mit dem Presseclub Concordia ins Leben gerufen. Die SN trafen Blau kurz vor seinem Vortrag, für den er am Dienstagabend in Wien war, und sprachen mit ihm über die Verantwortung der Medien in Bezug auf die Klimakrise.
SN: Was fehlt Ihrer Ansicht nach in der Klimaberichterstattung?
Wolfgang Blau: Die ganze Dimension der Klimakrise müsste in ihrer Dringlichkeit besser herausgearbeitet werden. Was fehlt, ist ein breiteres Verständnis dafür, weshalb eine Erwärmung um zwei Grad sehr viel dramatischer wäre als um 1,5 Grad – und dass uns nur noch wenige Jahre bleiben, um eine solche zu verhindern. Journalisten könnten beispielsweise erklären, was es für die Tier- und Pflanzenwelt bedeutet, wenn es zu extremeren Hitzewellen kommt. Die Zunahme der negativen Effekte der Erwärmung verläuft nicht linear. Auch das Konzept unseres noch verbleibenden CO2-Budgets sollte besser erklärt werden: Die Menge an CO2, die wir noch in die Atmosphäre emittieren können, ohne das 1,5-Grad- und dann auch das 2-Grad-Limit zu durchbrechen, ist begrenzt. Wir haben nur noch Jahre, nicht Jahrzehnte, um diese Grenzen einzuhalten.
SN: Was ist mit CO2-Budget gemeint?
Um die Zunahme der Erderwärmung
auf deutlich unter zwei Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu limitieren, dürfen wir nur noch eine bestimmte Menge an Treibhausgasen in die Atmosphäre emittieren. Und das lässt sich berechnen. Weil auch die CO2-Speicherfähigkeit der Natur und der Meere variiert, ist das eine ungenaue Berechnung, aber es wird geschätzt, dass wir nur noch zwischen 400 und 750 Gigatonnen CO2 emittieren können, um immer noch eine Zweidrittelchance zu haben, die Erderwärmung bei 1,5 Grad anzuhalten. Das ist dann das CO2-Budget, das uns bleibt. Wie viele Gigatonnen es ganz genau sind, ist dabei weniger wichtig, als zu verstehen, dass uns nicht mehr viel Zeit bleibt. Wir hätten mit dem klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft und vor allem unserer Energieerzeugung eigentlich schon vor 30 Jahren beginnen müssen. Trotzdem ist es noch nicht zu spät.
SN: Können wir das 1,5-Grad-Ziel also noch erreichen?
Ja, technologisch hätten wir die Möglichkeiten – politisch sieht es nicht so gut aus.
SN: Wie wichtig ist das Thema
für Wählerinnen und Wähler?
Es gibt das Phänomen der „climate elections“. Das sind Wahlen, bei denen Klima- und verwandte Umweltthemen nicht das wichtigste, aber zumindest eines der wichtigsten Themen für Wählerinnen und Wähler sind.
SN: Spielt die Klimakrise im EU-Wahlkampf eine Rolle?
Es kommt darauf an, welche Studie man sich ansieht. Laut einer aktuellen Umfrage des Delors-Instituts wünscht sich eine große Mehrheit der EU-Bürger weiterhin eine ambitionierte Klimapolitik. Eine kürzlich publizierte österreichische Studie hat dagegen gezeigt, dass das Klima bei der Wählermotivation im Moment weiter unten rangiert. Viele andere Themen aber haben einen direkten Bezug zur Klimafrage, wie etwa die Energiekostenkrise, die generelle Inflation, der Naturschutz, die steigenden Nahrungsmittelpreise oder auch die zukünftige Migrationspolitik. Diese Zusammenhänge könnten journalistisch noch sehr viel besser herausgearbeitet werden.
SN: Sie sprechen sich dafür aus, lösungsorientiert über die Klimakrise zu berichten. Haben Sie ein Beispiel dafür?
Da gibt es viele. Etwa gibt es erstaunliche Innovationen in der Energiewirtschaft oder bei Technologien zur Energiegewinnung und -speicherung. Es gibt neue Materialien wie klimafreundlichere Arten von Zement, oder Durchbrüche in der Holzbauwirtschaft, über die ganze Stadtviertel zu CO2-Speichern werden können. Es hilft, nicht immer nur an Nachrichtenjournalismus zu denken, sondern die Klimadimension eines jeden Themas herauszuarbeiten. Und oft kommen dabei auch Geschichten heraus, die Hoffnung geben.