Paranoia, online und offline
Nun gut, ich gebe zu, ich bin etwas paranoid. Allerdings nur, wenn ich mich in den Weiten des Internets bewege. Ich bekomme zum Beispiel Schnappatmung, wenn jemand mein Handy benutzt. Nicht, weil dabei das eine oder andere Geheimnis gelüftet werden könnte. Nein, weil diverse Algorithmen dadurch einen völlig falschen Eindruck von mir bekommen würden. Spotify würde mir die falsche Musik vorschlagen, Netflix die falschen Filme und im Internet würde ich vielleicht Werbung für Damenschuhe sehen – quasi ein No-Go.
Meine Paranoia geht sogar so weit, dass ich mehrere Browser benutze, für meine unterschiedlichen Persönlichkeiten. Paranoid und schizophren? Nein, aber Google muss ja nicht jede Recherche von mir mitbekommen. Darum google ich offiziell nur nach Themen, von denen ich will, dass sie mir Google zumutet. Und mit einem anderen Browser im Geheimen alles andere, von dem ich nicht will, dass es Google mit mir in Verbindung bringt – so bleibt die Filterblase schön intakt.
Apropos schöne Filterblase: Kyle Chayka, er schreibt für den „New Yorker“zu den Themen Technologie und Kultur, hat ein neues Buch veröffentlicht, in dem er untersucht, wie Algorithmen unsere analoge Welt verändern, wie sie unseren Geschmack und unser ästhetisches Empfinden verbiegen. Kulturell verortet er uns in einer globalen Filterblase aus unverputzten Ziegelsteinen und straightem skandinavischen Design in hippen Co-Working-Spaces, Cafés und Hotels rund um die Welt. Massengeschmack für ein Massenpublikum, das auf der Suche nach Kreativem und Individuellem das immer wieder Gleiche erlebt, aber auch erwartet. Denn auf der ganzen Welt bestimmen die gleichen algorithmischen Empfehlungen von Facebook, Instagram und TikTok unsere Erfahrungen und Entscheidungen.
Addiert man zu diesem Phänomen noch die Mechanik von KI, die immer das reproduziert, was den größten Konsens erzielt, weil in einem neuronalen Netz immer das verstärkt wird, was am öftesten behauptet und gezeigt wird, stellt sich irgendwann die große Frage, ob denn Freiheit im Internet überhaupt noch möglich ist. Wenn die gleichförmige Masse an die Stelle von menschlicher Unordnung, Innovation und Kreativität tritt. Wenn wir unsere digitale Filterblase nicht mehr erkennen können, weil sie sich längst auf unsere analoge Welt übertragen hat.
Spätestens dann nutzen auch zwei Handys und fünf Browser nichts mehr, um die eigene Filterblase unter Beobachtung und Kontrolle zu halten.