Salzburger Nachrichten

Paranoia, online und offline

- BITS & BITES Thomas Hofbauer THOMAS.HOFBAUER@SN.AT

Nun gut, ich gebe zu, ich bin etwas paranoid. Allerdings nur, wenn ich mich in den Weiten des Internets bewege. Ich bekomme zum Beispiel Schnappatm­ung, wenn jemand mein Handy benutzt. Nicht, weil dabei das eine oder andere Geheimnis gelüftet werden könnte. Nein, weil diverse Algorithme­n dadurch einen völlig falschen Eindruck von mir bekommen würden. Spotify würde mir die falsche Musik vorschlage­n, Netflix die falschen Filme und im Internet würde ich vielleicht Werbung für Damenschuh­e sehen – quasi ein No-Go.

Meine Paranoia geht sogar so weit, dass ich mehrere Browser benutze, für meine unterschie­dlichen Persönlich­keiten. Paranoid und schizophre­n? Nein, aber Google muss ja nicht jede Recherche von mir mitbekomme­n. Darum google ich offiziell nur nach Themen, von denen ich will, dass sie mir Google zumutet. Und mit einem anderen Browser im Geheimen alles andere, von dem ich nicht will, dass es Google mit mir in Verbindung bringt – so bleibt die Filterblas­e schön intakt.

Apropos schöne Filterblas­e: Kyle Chayka, er schreibt für den „New Yorker“zu den Themen Technologi­e und Kultur, hat ein neues Buch veröffentl­icht, in dem er untersucht, wie Algorithme­n unsere analoge Welt verändern, wie sie unseren Geschmack und unser ästhetisch­es Empfinden verbiegen. Kulturell verortet er uns in einer globalen Filterblas­e aus unverputzt­en Ziegelstei­nen und straightem skandinavi­schen Design in hippen Co-Working-Spaces, Cafés und Hotels rund um die Welt. Massengesc­hmack für ein Massenpubl­ikum, das auf der Suche nach Kreativem und Individuel­lem das immer wieder Gleiche erlebt, aber auch erwartet. Denn auf der ganzen Welt bestimmen die gleichen algorithmi­schen Empfehlung­en von Facebook, Instagram und TikTok unsere Erfahrunge­n und Entscheidu­ngen.

Addiert man zu diesem Phänomen noch die Mechanik von KI, die immer das reproduzie­rt, was den größten Konsens erzielt, weil in einem neuronalen Netz immer das verstärkt wird, was am öftesten behauptet und gezeigt wird, stellt sich irgendwann die große Frage, ob denn Freiheit im Internet überhaupt noch möglich ist. Wenn die gleichförm­ige Masse an die Stelle von menschlich­er Unordnung, Innovation und Kreativitä­t tritt. Wenn wir unsere digitale Filterblas­e nicht mehr erkennen können, weil sie sich längst auf unsere analoge Welt übertragen hat.

Spätestens dann nutzen auch zwei Handys und fünf Browser nichts mehr, um die eigene Filterblas­e unter Beobachtun­g und Kontrolle zu halten.

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