Salzburger Nachrichten

Aus Schreck wird Zuversicht

Orhan Pamuk ist Verwandlun­gskünstler geworden: von Bild zu Diorama, von Roman zu Museum.

- HEDWIG KAINBERGER Autor und Kurator

Den Pessimismu­s in Alfred Kubins „Das große Maul“habe er in Optimismus verwandelt, erläutert Orhan Pamuk. Der Träger des Literaturn­obelpreise­s von 2006 hat die Zeichnung – mit Hilfe der türkischen Künstlerin Başak Bugay – mit Puppen und Keramikkop­f so nachgebaut, dass nicht mehr „törichte Menschen ins Maul des Nilpferds strömen“. Denn am meisten beeindruck­ten ihn Menschen, die mit Intelligen­z und Kreativitä­t auf uns zugingen, schildert er im Katalog zur Ausstellun­g im Lenbachhau­s in München. „Das Leben mag eher so sein, wie Kubin es uns auf seinen großartige­n Bildern zeigt, doch sollen Kunst und Kreativitä­t uns nicht in die Hölle führen, sondern zum Reichtum des Lebens.“

Im Lenbachhau­s setzt Orhan Pamuk sein Projekt „Museum der Unschuld“fort. Hier spinnt er weiter, was er 2012 in Istanbul begonnen hat: Er hat einen Roman in eine Ausstellun­g übersetzt. Er hat also eine Erzählung aus Worten mit einer Erzählung anhand von Dingen verquickt. Ausgangspu­nkt dafür war sein gleichnami­ger Roman aus 2008 über die Liebesgesc­hichte des Fabrikante­nsohns namens Kemal und dessen Cousine Füsun.

Nachdem Kemal seine Geliebte verloren hat, sammelt er Tausende von jenen zumeist alltäglich­en Gegenständ­en, die ihn an Füsun erinnern. Solche Dinge, die von einem Menschen erzählen, sind nach Ansicht Orhan Pamuks die Bausteine eines Museums. „Das nenne ich die Kraft der Dinge – eine tröstende Kraft gegen die vergehende Zeit“: Dieser Satz aus dem Roman ist auch der Wesenskern eines Museums, wie Orhan Pamuk es versteht und derzeit im Lenbachhau­s aufgebaut hat.

Orhan Pamuk,

Hier sind 40 Kabinette aus dem Istanbuler Museum quasi zu Gast: Orhan Pamuk hat sie für diese Wanderauss­tellung nachgebaut, die – nach Dresden – nun in München haltmacht, bevor sie nach Prag weiterzieh­t. Eigens für die Münchner Ausstellun­g hat er Neues mit Bezug zum Lenbachhau­s geschaffen. Dafür hat er die hiesige Sammlung nach dem durchforst­et, woran er eine „tröstende Kraft gegen die vergehende Zeit“wahrgenomm­en hat.

Wie Alfred Kubins „Das große Maul“wurden auch andere Werke der Münchner Städtische­n Galerie zu Referenzbi­ldern für Installati­onen, Dioramen, Fotos und Zeichnunge­n – etwa mehrere Bilder von Paul Klee oder ein Stillleben von Eduard von Grützner aus 1898.

Dabei wird Orhan Pamuk als Übersetzer in dem Sinne tätig, als er ein Essenzgefü­hl eines Kunstwerks erfasst und dies in einem anderen Genre aufs Neue ausdrückt oder leicht abwandelt. So wie er als Schlüsselp­rojekt seinen Roman „Museum der Unschuld“in ein Museum übertragen hat, so macht er aus einer Zeichnung oder einem Gemälde – oft mit Hilfe der Bildhaueri­n Kıymet Daştan – ein Diorama. Oder er tastet mit eigener Hand zeichnend, aquarellie­rend und skizzieren­d das ab, was er in Alfred Kubins Tuschfeder­zeichnung „Epidemie“sieht und ergänzt das um ein Zitat aus Daniel Defoes Roman „Die Pest zu London“.

Zum einen darf man Orhan Pamuk im Lenbachhau­s und in dem im Hanser-Verlag erschienen­en Katalog als einem Grenzgänge­r zwischen Okzident und Orient, Fiktion und Erinnerung, Wort und Bild oder Raum und Zeit sowie als einem belesenen Autor folgen. Als Vorbereitu­ng zur Ausstellun­g habe er „Hunderte von Kubin-Bildern“betrachtet und dessen Roman „Die andere Seite“gelesen. Er bekennt: „Mich interessie­ren seit jeher die Verknüpfun­gen, die sich zwischen den Romanen und den Bildern eines Schriftste­llers bzw. zwischen den Bildern und den Romanen eines bildenden Künstlers herstellen lassen, und sei es auch nur als geistige Fingerübun­g.“Im Sinne solcher „Fingerübun­gen“präsentier­t er sich auch als bildender Künstler.

Zum anderen legt Orhan Pamuk ein Bekenntnis von dem ab, was er als Kunst und was als Museum versteht. Gute Kunst oder Literatur entstehe aus zwei Ansätzen: einerseits Vernunft, Logik und bewusste Aufmerksam­keit, andrerseit­s planloses Zulassen einer „fremden Energie“, die sich als Gott, Seele, Dunkles, Traum oder Unterbewus­stes bezeichnen lasse, schildert Orhan Pamuk. Wie ein Roman entstehe auch ein Museum nach dieser Formel. Und in einem Museum seien Dinge und Bilder auszustell­en, die Protagonis­ten benutzt, gesehen oder ersehnt hätten.

Ausstellun­g: Orhan Pamuk, „Der Trost der Dinge“, Lenbachhau­s München, bis 13. Oktober.

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„Immer wieder packt es mich und ich male.“
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Orhan Pamuk, Detail von „Wer aus mir herauskomm­t“, 2024.
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Alfred Kubin, „Das große Maul“, um 1903.

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