Von Thomas Klestil bis Lena Schilling: Immer wieder fällt das Schlaglicht auf das Privatleben von Politikern
„Was ist noch privat?“, fragten Medien schon 1994, als die Affäre Klestil ruchbar wurde. Bundespräsident Thomas Klestil, der zwei Jahre zuvor von der ÖVP ins Rennen geschickt worden war, hatte schon zum damaligen Zeitpunkt eine Affäre mit einer Mitarbeiterin. Im Wahlkampf war er aber als Verfechter traditioneller Werte und mit heiler Familie aufgetreten. Ein gefundenes Fressen nicht nur für den Boulevard. Österreichweit wurde plötzlich intensiv diskutiert, wie weit man in der Berichterstattung über Privatangelegenheiten gehen darf.
Die Affäre Klestil gilt in Österreich als eine Art Zäsur. Dabei sei es seit jeher „Wunschdenken“gewesen, zu glauben, dass das Privatleben von Spitzenpolitikern
keine politische Bedeutung habe, sagt Politikwissenschafter Anton Pelinka. Das zeige auch ein Blick zurück – etwa wie politisch relevant das Privatleben der französischen Könige im 17. Jahrhundert gewesen sei. Nicht nur Spione hätten über die teils politisch einflussreichen Mätressen der Herrscher berichtet, auch das Volk redete darüber. „Wer politisch mächtig ist, kann sich nicht ausreden, dass privat ausschließlich privat ist“, sagt Pelinka.
Dass mitunter Grenzen in der medialen Berichterstattung überschritten werden, steht auf einem anderen Blatt. Das musste nicht nur Thomas Klestil erfahren, der seine langjährige Geliebte Margot Löffler später heiratete. Mit wilden privaten Gerüchten mussten sich schon einige Politiker herumschlagen. Etwa der damalige niederösterreichische LH Erwin Pröll oder sein Salzburger Kollege Franz Schausberger, die dadurch auch politisch in Bedrängnis gerieten. Diese Fälle zeigen auch, wie schwierig es ist, sich gegen Gerüchte zu wehren.
Abgesehen davon hat sich der gesellschaftliche Diskurs in mehrfacher Hinsicht verschoben. Was früher ein Skandal war, etwa Homosexualität, ist heute keiner mehr. „Diese Grenze verschiebt sich ständig“, sagt Pelinka. Auch ein Kanzler, der unverheiratet Vater wird, wäre vor 40 Jahren noch ein Skandal gewesen, heute interessiere es niemanden, sagt er. Wiewohl heute Privates stärker thematisiert wird als etwa zu Zeiten Jörg Haiders, dessen Privatleben nie an die große Glocke gehängt wurde. Zugleich findet via Instagram & Co. eine teils unglaubliche Selbstvermarktung statt, bei der die Politiker selbst mitunter Einblicke in ihr Privatleben geben.
Im Fall der grünen EU-Spitzenkandidatin Schilling ist Pelinka übrigens skeptisch, dass sich die Aufregung rasch legen wird. „Das ist schon zu weit fortgeschritten“, sagt er. Vor allem für jeden weiteren Karriereschritt sei die Affäre ein Hemmschuh. Würde Schilling etwa eines Tages für ein Regierungsamt in Österreich gehandelt, kämen die Vorwürfe wieder aufs Tapet.