Spiegel einer verkehrten Welt
Francis Ford Coppolas „Megalopolis“enttäuscht im Cannes-Wettbewerb.
„Apocalypse Now“oder die „Pate“-Trilogie sind nur die Speerspitzen dessen, was Francis Ford Coppola für das Kino geleistet hat. Umso größer waren die Erwartungen an „Megalopolis“: Coppolas Herzensprojekt, an dem er Jahrzehnte arbeitete und das er jetzt endlich fertiggestellt hat, mit eigenem Budget. Nicht zum ersten Mal, dass er einen Film selbst finanziert, und es wird auch nicht das erste Mal sein, dass er sich damit übernimmt – Coppolas Pleiten sind fast so legendär wie seine Filme.
Diesmal wird es sicher auch keine sanfte Landung. Apocalypse right now, sozusagen: „Megalopolis“, groß besetzt mit Adam Driver, Jon Voight, Dustin Hoffman und Laurence Fishburne, ist ein megalomanischer und leider auch megalomanisch langweiliger Film. Die Idee vom ins New York der Neuzeit versetzten Römischen Imperium ist schwerfällig, und Coppola überlädt sie mit zahllosen Zitaten, von Shakespeare bis Ovid. „Originelle“Ideen wie der Liveauftritt eines Kleindarstellers auf der Kinobühne wirken dazu wie Relikte aus einer 80er-Jahre-Utopie.
Ein wenig vorwärtsgewandter kam in Cannes „Furiosa: A Mad Max Saga“daher, George Millers fünfter Film aus seiner scherzhaft „Game of Chromes“genannten
Endzeitsaga, der kommende Woche bei uns im Kino startet. Die Story ist überschaubar, Anya Taylor-Joys Schauspielkünste auch, aber die Actionszenen nicht, und das ist ja das Wichtigste.
Wie man wirklich gutes, innovatives und spannendes Kino machen kann, das sich nicht auf Größenwahn und/oder Effekte verlässt, zeigt sich in der Nebenschiene „Un Certain Regard“: Hier lief „On Becoming a Guinea Fowl“der sambischen Regisseurin Rungano Nyoni. Hinter dem mysteriösen Titel versteckt sich ein Familiendrama von universeller Kraft, mit feinem Witz und beinharter Ehrlichkeit, und man weiß nach vier Filmminuten: Das hier ist etwas Besonderes.
„Wir Frauen wachsen mit zwei Sprachen auf, die Männer nur mit einer“, sagte die wunderbare, weise Meryl Streep bei der Masterclass anlässlich ihres Preises für das Lebenswerk. Das zeigt sich auch hier, wo die Filme der „alten weißen Männer“in Eindimensionalität verharren, während die Frauen das Kino am Leben halten. Wie auch Andrea Arnold, deren Film „Bird“die Geschichte eines britischen Mädchens aus prekären Verhältnissen erzählt, das in einem seltsamen Landstreicher (gespielt von Franz Rogowski) einen Freund findet. Ein wilder, lustiger, tragischer Film, und am Schluss ertappt man sich dabei, wie man zu Rednex’ BrachialHit „Cotton Eye Joe“aus lauter Rührung weint. Auch das kann Kino.
Und es ist immer auch politisch. Auch wenn es so oft heißt, dass die Politik beim Festival hinter die Kunst zurücktreten soll – wie soll das funktionieren? „Die Entscheidungen, die wir treffen, sind politisch. Was wir zeigen genauso wie das, was wir weglassen“, schilderte Regielegende Frederick Wiseman bei der Präsentation der restaurierten Fassung seiner immer noch aktuellen Polizeidoku „Law and Order“von 1969. Und auch die vielen Sicherheitsmaßnahmen auf der Croisette sind letztlich ein Ausdruck einer politischen Haltung: Was darf hinein, was will man aussperren? Wenn man als Pressevertreterin mit Hunderten anderen in der Schlange vor der Sicherheitsschleuse zum Festivalpalais steht, die von nur zwei Menschen betreut wird, lassen sich revolutionäre Gedanken jedenfalls kaum vermeiden.