„Ich respektiere die Neutralität“
Ex-Nato-General Hans-Lothar Domröse hat aber keinen Zweifel, dass bei einem Angriff der Russen Österreich Schutz durch das Bündnis bekäme.
Präsident Putin hat seine Verteidigungsminister entlassen. Wie sehr wirkt sich die Entscheidung auf die Militärführung aus?
SN:
Hans-Lothar Domröse: In diesem Fall erhöht er vermutlich den Gleichschritt, wie wir Militärs sagen. Gleichschritt heißt in diesem Fall Gehorsam. Man steht zusammen. Präsident Putin macht damit deutlich, dass er weiß, was vorgeht in Sachen Korruption und Pfründe. Er demonstriert im Grunde damit: Egal, welche Macht du hast, wer immer du bist, ich kann es ändern. Putin stabilisiert sich selbst, schüchtert ein wenig die Gefolgsleute ein und zeigt damit: Ich habe alles im Griff. Das haben wir ja immer wieder gesehen, dass er den Oligarchen, den Privilegierten etwas wegnimmt, sie aber nicht verstößt.
SN: Es heißt immer, Europa muss sich selbst rüsten und autonomer werden. Ist das realistisch?
Amerika hat 350 Millionen Menschen, ist wirtschaftlich gut und innovativ. Wir haben 450 Millionen Menschen, sind auch wirtschaftlich okay und genauso clever, geben aber viel weniger fürs Militär aus. Im Fall der Ukraine muss man sagen, dass nicht unsere 5000 Helme den Ukrainern entscheidend geholfen haben, sondern das entschlossene Einschreiten der Amerikaner. Also Amerika rettet Europa am Beispiel der Ukraine. Und es wäre doch vernünftig, wenn wir uns selbst verteidigen könnten. Und wenn man sich die Zahlen nun anschaut: Eigentlich müssten wir das selber können.
SN: Müssen wir uns vor einer Abkehr Trumps fürchten?
Das glaube ich nicht. Wenn wir global denken, ist Europa für die Amerikaner sehr wichtig. Wirtschaftlich als großer Handelspartner und als sicherer Rückhalt. Amerika ist aber vonnöten, wenn wir Richtung Osten oder Indopazifik schauen. Wir haben jetzt den Nato-Gipfel in Washington zum 75. Gründungstag. Die Europäer in der Nato sind ja 30 von den 32 Mitgliedern und die werden etwas liefern müssen. Die zwei Prozent Beitrag sind ja keine Lieferung. Das ist sozusagen altes Geschirr vor 2014. Im Frieden kann man am Zwei-Prozent-Ziel festhalten, im Krieg sind es drei Prozent. Wir werden einiges mehr machen müssen, um die Amerikaner zu entlasten. Aber wenn wir die Amerikaner entlasten, sind wir ein guter Partner für Trump und für Biden.
Sehen wir wieder klassische Kriegsmuster, nachdem wir jahrelang über Cyberkrieg und neue Hightechwaffen gesprochen haben?
SN:
Wir sehen beides. Auf der einen Seite Szenarien aus dem Ersten Weltkrieg wie jetzt in Bachmut. Und wir sehen gleichzeitig die Drohnen, Hightech und jede Menge Cyberangriffe im weitesten Sinne. Das alte Muster war Frieden, Krise, Krieg. Diese Dreiteilung ist überholt. Heute reden wir von Shape, Contest and Fight, also die Fähigkeit, zu gestalten, zu wetteifern und zu kämpfen. Wir haben gleichzeitig irgendwo Frieden, wie gerade in Österreich und Deutschland. Wir haben aber gleichzeitig Wettbewerb und testen aus, zum Beispiel im Roten Meer. Die Huthis schießen auf die Handelsschifffahrt, was abzielt auf unsere Wirtschaftskraft. Und auf der anderen Seite sind britische und amerikanische Schiffe, die aktiv gegen die Huthis zurückschießen. Zudem gibt es die europäische Mission, die versucht, über einen Schutzschirm nur reaktiv auf die Angriffe zu wirken.
In Österreich wird alle Jahre wieder über die Neutralität diskutiert. Ist diese Haltung für Sie als NatoGeneral nachvollziehbar?
SN:
Na ja, klar. Die DNA einer Nation will ich um Gottes willen nicht kritisieren, sondern respektieren. Die Schweden und Finnen haben auch einen ähnlichen Status gehabt wie Österreich. Sie waren EU-Mitglied und damit teilweise militärisch in der Nato über den Artikel 47.4. Sie waren nicht in der Nato und haben miteinander geübt. Das macht ja auch Österreich und übt mit Deutschland und der Schweiz zusammen. Österreich hat gleiche Werte wie alle Nato-Staaten, ist eine demokratische Nation und sollte es angegriffen werden von Russland, habe ich keinen Zweifel, dass Österreich gemeinsam mit den Nato-Alliierten dastehen würde wie eine Eins. Auf den verbleibenden Nicht-Nato-Mitgliedern wie Malta und Österreich und Schweiz liegt aus meiner Sicht eine gewisse Erwartungshaltung.
Aber die Österreicher werden schon richtig entscheiden.
Zur Person: