Dunkle Spuren in der Kaiserstadt Ischl
Im Jahr 1914 hat Kaiser Franz Joseph in Bad Ischl Serbien den Krieg erklärt. Von Kaiserkitsch, NS-Widerstand und Neonazis im Salzkammergut.
BAD ISCHL. Eine Kaiserin-Elisabeth-Puppe in weißem Kleid mit funkelnden Kristallen im Haar steht hinter Glas im Foyer in der Kaiservilla Bad Ischl. Mehr als tausend Jagdtrophäen von Franz Joseph I. zieren die Wände im Treppenaufgang. Und im Arbeitszimmer des damaligen Kaisers liegt noch heute eine Kopie des Manifests „An meine Völker“. Er beschreibt darin seinen „sehnlichsten Wunsch“, die Jahre, die ihm durch Gottes Gnade noch beschieden seien, „Werken des Friedens zu weihen und meine Völker vor den schweren Opfern und Lasten des Krieges zu bewahren“. Doch es „ward anders beschlossen“.
Und hier manifestiert sich bereits ein Mythos der Geschichte, der sich hartnäckig hält, nämlich, dass Österreich-Ungarn keine Wahl gehabt habe zwischen Krieg und Frieden. Am 28. Juli 1914 unterzeichnete Kaiser Franz Joseph die Kriegserklärung an Serbien in seiner Sommerresidenz in Bad Ischl. Es war die Reaktion auf die Ermordung seines Neffen und Thronfolgers Franz Ferdinand. Österreich-Ungarn hatte mit seinem harten Kurs gegen Serbien und der Annexion von Bosnien und Herzegowina bereits im Jahr 1908 zu den Spannungen zwischen den Reichen beigetragen. Die Kriegserklärung an Serbien führte letztlich zum
Beginn des Ersten Weltkriegs, der vier Jahre und dreieinhalb Monate dauern sollte. Etwa 17 Millionen Menschen haben dabei ihr Leben verloren. Es war zugleich das Ende der Habsburgermonarchie.
Zwei Bücher zu Erinnerungsorten im Salzkammergut (siehe Kasten rechts), die nun pünktlich im Kulturhauptstadtjahr erschienen sind, nehmen ihren Ausgangspunkt für die „braunen Flecken“in der Region genau dort – in der Kaiserstadt Bad Ischl. „An diesem Ort manifestiert sich die
Widersprüchlichkeit der Region zwischen der unkritischen Kaiserverehrung und der ausgeprägten Kultur des NS-Widerstandes“, schildert Susanne Rolinek. Die Salzburger Historikerin hat mit Christian Strasser (Leitung SN-Mediaservice) und dem Journalisten Gerald Lehner einen neuen Reiseführer zur „braunen Topografie“des Salzkammerguts veröffentlicht. „Rein touristisch gesehen ist die Habsburgerverehrung in Ischl natürlich eine Cashcow, eine wichtige Einnahmequelle.“
„Hier manifestieren sich die Widersprüche in der Region.“Susanne Rolinek, Historikerin (Bild: SN/PRIVAT)
Auch Journalist und Autor Thomas Neuhold beschreibt in seinem neuen Buch diese Widersprüchlichkeit der Region. „Es gab da diesen braunen Sumpf und zugleich war es Zentrum des sozialistischen und kommunistischen Widerstandes – was lange nicht beleuchtet wurde.“
Während der Zeit des Nationalsozialismus kam es im Salzkammergut vielfach zu „Arisierungen“, hohe SS-Funktionäre
haben sich am meist jüdischen Besitz bereichert. „Es kam früh zu Verhaftungen von nicht erwünschten Personen, viele jüdische Familien mussten auch nach Kriegsende um ihren Besitz streiten“, schildert Rolinek. Und gleichzeitig trafen sich in Bad Ischl Personen mehrerer Widerstandsbewegungen – und das ausgerechnet beim Kaiser.
In der Recherche ist Rolinek mehrfach auf Quellen gestoßen, die belegen, dass sich die Widerständigen beim Kaiser-Jagdstandbild in der Kaltenbachau unweit des Ischler Stadtzentrums getroffen haben. „Es war zentral, aber – weil direkt im Waldgebiet – gut versteckt.“Das Standbild des Kaisers in Jagdmontur samt erlegtem Wild zu seinen Füßen thront
noch heute auf einem Stein in der Au. Die Widerstandsbewegung mit etwa 500 bis 600 Personen aus der Region sei aufgrund ihrer Größe einzigartig gewesen. „Die Gruppe wurde hauptsächlich von Frauen getragen. Sie haben Deserteure versteckt und versorgt und oppositionelle Inhalte propagiert.“Für eine der Frauen, Resi Pesendorfer, gab es eine späte Ehrung. Der Platz direkt im Kurpark ist nun nach ihr benannt worden.
Doch auch nach Ende des NSRegimes war der Antisemitismus nicht ausgemerzt. Das offenbarte sich abermals im Stadtzentrum Bad Ischls. Am 20. August 1947 kam es zu gewaltsamen Ausschreitungen gegen jüdische KZÜberlebende aus Lagern wie Ebensee, die im Hotel „Goldenes Kreuz“untergebracht waren. Die US-Besatzung hatte den Ersatz von Frischmilchrationen für Kleinkinder durch Trockenmilch verordnet. KPÖ-Funktionäre riefen zum Protest. „Die KZ-Überlebenden waren wie ein lebendes Mahnmal dafür, was während der NS-Zeit passiert ist. Es gab auch Neid, man machte sie für die schwierige wirtschaftliche Lage verantwortlich“, schildert Rolinek. Es hätten sich auch ehemalige Nazis beteiligt, Parolen wie „Heil Hitler“oder „Schlagt die Juden tot“wurden gerufen, Steine
seien gegen die Fensterscheiben des Hotels geworfen worden. Die Polizei sei nicht eingeschritten, erzählt Rolinek. In den „Milchprozessen“des US-Militärs erhielten die KPÖ-Funktionäre zunächst hohe Geldstrafen. „Es gab aber Kritik, weil die ehemaligen Nazis nicht zur Rechenschaft gezogen wurden.“Rolinek beobachtet aber auch in der Gegenwart rechtsextreme Gruppierungen in der Region: „schlagende Burschenschaften und sogenannte Neue Rechte, die Flyer verteilen und während der Coronaproteste erstarkt sind“.
Anlässlich des Kulturhauptstadtjahres wird es ab 18. Juli im Stadtmuseum eine neue Ausstellung geben, die sich kritisch mit der Geschichte Bad Ischls befasst. Erstmals wird nicht das Kaiserpaar im Mittelpunkt stehen.