Die Güte wird Titus zum Verhängnis
Mozarts letzte Oper endet bei den Pfingstfestspielen tragisch und disparat.
Bislang gestalteten sich die Pfingstfestspiele Salzburg unter der Leitung von Cecilia Bartoli zum Garanten für musikalische Abenteuer. Die Charismatikerin mit der Ausnahmestimme und der Leidenschaft für Musikforschung konzipierte spannende Programme, deren Querbezüge über Epochen und Genres hinweg Aha-Erlebnisse garantierten. Ausgerechnet dem Mozart-Schwerpunkt in Bartolis zwölftem Festivaljahr kam die Abenteuerlust abhanden: c-Moll-Messe, „Jupiter“-Symphonie und Klaviersonaten sind in Salzburg ebenso regelmäßig in hochkarätigen Interpretationen zu erleben wie „La clemenza di Tito“, die heurige Opernproduktion. Wolfgang Amadé Mozarts letztes Bühnenwerk war 2017 letztmals im Festspielsommer zu sehen, erst vor vier Monaten gelangte Jordi Savall in der Mozartwoche unaufgeregt und werktreu zum Kern der Oper über Güte und Vergebung, Vernunft und Humanismus.
Originalklang-Kollege Gianluca Capuano, der „La clemenza di Tito“ bereits 2021 mit Cecilia Bartoli in Salzburg konzertant aufgeführt hat, sucht hingegen interpretatorische Extremwerte: Die Ouverture rast in einer Irrsinnsgeschwindigkeit durch den Raum, die mit der Tempobezeichnung „Allegro“nur bedingt zu legitimieren ist. Auch wenn das Barockensemble Les Musiciens du Prince – Monaco die Vorstellungen seines Dirigenten gekonnt umsetzt, bleiben viele Details auf der Strecke und Nuancen ungehört. Die überhitzte Rasanz im Orchestergraben wirkt sich auf das Solistenensemble
SN-THEMA
aus: Mélissa Petit bleibt als Servilia unter ihren stimmlichen Möglichkeiten, Alexandra Marcellier als Vitellia erhält in den ersten Szenen keinen Raum, Gesangslinien und Farben zu entfalten, und bleibt über den gesamten Abend ein Unsicherheitsfaktor.
Cecilia Bartoli hingegen, die erstmals szenisch Sesto singt, erhält alle Zeit der Welt, um – vor allem im großen Rondo des zweiten Akts –
die inneren Zweifel des Verräters stimmlich zutage zu fördern. Auch wenn dieses Rollendebüt im Herbst einer Sängerkarriere ein Wagnis darstellt und sich immer wieder Schärfe in Cecilia Bartolis Gesangslinien mischt, findet sie Mittel und Wege, um die enormen vokalen Anforderungen zu bewältigen.
Die darstellerischen Fähigkeiten der Mezzosopranistin nutzt Regisseur Robert Carsen, um den Politthriller psychologisch zuzuspitzen. Ausstatter Gideon Davey überführt die Handlung aus dem Rom des Kaisers Titus Vespasianus in ein Parlament unserer Zeit, Sesto – hier übrigens eine weibliche Abgeordnete – erliegt den Reizen der intriganten Vitellia und verübt einen missglückten
Anschlag auf den befreundeten Herrscher. Daniel Behle singt den Titus mit klarer Diktion und schlanker Linienführung. Mehr Präsenz als üblich erhält Titos Berater Publio, dem Ildebrando D’Arcangelo ein ungewohnt viriles Stimmprofil verleiht. In Carsens Werksicht zeigt sich Publio offen für Korruption: Nachdem der gütige Titus Gnade walten lässt, wird er zum Opfer einer letzten, tödlichen Intrige Vitellias – unter maßgeblicher Hilfe seines Beraters.
Diese tragische Wendung mag ins Bild einer Zeit passen, in der immer mehr Politiker Übergriffen ausgesetzt sind. Sie widerspricht jedoch nicht nur dem Humanismus eines Peter Sellars, der „La clemenza di
Tito“2017 in Salzburg mit einem Freitod des Kaisers enden ließ, um eine positive Zukunft zu ermöglichen. Die Ermordung Titos verläuft auch völlig konträr zu Mozarts versöhnlicher Musik im Finalsextett.
Das disparate Ende fügt sich in eine Produktion, die szenisch und musikalisch von vielen Ideen getragen ist, diese aber nicht zu einer Einheit bündeln kann. Genügt das in Salzburg, wo an Mozart-Interpretationen naturgemäß höchste Ansprüche gestellt werden? Diskussionsstoff für die Pfingsttage und weitere Vorstellungen im Festspielsommer ist geboten.
Pfingstfestspiele Salzburg
Oper: „La clemenza di Tito“, Haus für Mozart, Vorstellungen von 1. bis 13. 8.