Verrohung der Sprache
Bundeskanzler Karl Nehammer ortet einen Trend zur Verschmähung des politischen Gegners.
Die Stimmung radikalisiere sich, sagt Bundeskanzler Karl Nehammer im SN-Interview und ruft zur Abrüstung der Worte auf.
Welche Gefühle hat das Attentat auf Ihren slowakischen Amtskollegen Robert Fico bei Ihnen ausgelöst?
SN:
Karl Nehammer: Die Nachricht hat mich sehr betroffen gemacht. Ich habe wenige Tage zuvor noch mit Robert Fico telefoniert. Wir haben darüber gesprochen, dass wir uns gegenseitig besuchen. Er wollte nach Österreich kommen, ich später in die Slowakei. Wir haben mehrere Themenfelder abgesteckt. Kurze Zeit später erreicht uns die Nachricht, dass der Kollege niedergeschossen wurde.
SN: Was waren da Ihre ersten Gedanken?
Wie geht es ihm? Wie geht es den Angehörigen? Es ist absolut abzulehnen und ich empfinde es als skandalös, wenn in der Politik Gewalt eingesetzt wird. Es ist leider eine sehr besorgniserregende Entwicklung der Demokratie. Wenn man sieht, was in Deutschland passiert, dass Politiker angegriffen werden, egal ob von links oder rechts. Das ist schrecklich.
SN: Müssen wir uns daran gewöhnen, dass sich Politikerinnen und Politiker heute offenbar nicht mehr frei bewegen können?
Seit ich Innenminister war und mich gegen den Islamismus stark engagiert habe, braucht es Personenschutz für mich und meine Familie. Man gewöhnt sich nicht wirklich daran. Die Männer und Frauen, die da im Dienst sind, machen eine großartige Arbeit. Aber es ist stückweise ein Zeichen unserer Zeit. Die Stimmung radikalisiert sich zunehmend. Es gibt diese Radikalisierung links wie rechts oder im religiösen Bereich. Die Aggressivität kann in Gewalt münden. Ich trete dafür ein, dass wir die Sprache abrüsten müssen. Die Zunge ist schärfer als ein Schwert, heißt es im Altgriechischen. Die Sprache kann nachhaltig verletzen, mental, in der Psyche, und sie kann auch Gewalt befeuern.
Ein Abrüsten der Sprache, aber auch der Waffen wäre weltweit angebracht. Überall flackern Konflikte auf. Mehr oder weniger vor der Haustür werden Kriege geführt. Wer kümmert sich um die Sicherheit Österreichs?
SN:
Zunächst einmal wir selbst. National gesehen haben wir den Staatsschutz und den Nachrichtendienst neu aufgebaut. Nach dessen Zerschlagung durch Herbert Kickl mussten wir erst das Vertrauen der Dienste wieder aufbauen. Es war der britische Premier Rishi Sunak bei mir zu Besuch. Großbritannien war mit MI5 und MI6 ein wesentlicher Partner beim Neuaufbau. Wir haben in dieser Regierungsperiode das höchste Sicherheitsbudget in der Zweiten Republik sowohl beim Bundesheer als auch bei der Polizei geschaffen. Wir haben mit der Teilnahme am Raketenschutzschirm Sky Shield einen mutigen Schritt gesetzt. Wir können damit eine neue Stufe der Sicherheit für Österreich herstellen.
SN: Wer hilft uns, wenn wir – von wem auch immer – angegriffen werden?
Zum einen sind wir in die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union eingebettet. Schon vor langer Zeit sind wir eine Partnerschaft für den Frieden mit der Nato eingegangen, um den Anschluss wehrtechnisch nicht zu verlieren. Gemeinsam mit der neutralen Schweiz wird diese Partnerschaft jetzt weiterentwickelt. Ziel ist es, bei Friedensmissionen reibungslos zusammenarbeiten zu können. Jede Kooperation, die hilft, ist eine wertvolle. Klar ist aber auch: Das heißt nicht eine Annäherung zur Nato. Als glaubhaft neutrales Land sorgt man zunächst für seine eigene Sicherheit. Deshalb war das Nachrüsten des Heeres notwendig. Die Missstände, die nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa eingetreten sind, sind abzuarbeiten.
SN:
Der Ton im politischen Umgang wird immer rauer. Ist das nicht eine Gefahr für die Demokratie?
Das Klima in Österreich hat sich seit 2017 verschärft. Die Radikalisierung hat zugenommen. Dann kam die Pandemie dazu. Generell haben wir es mit einer Verrohung der Sprache zu tun. Sehr oft geht es dabei um die Herabwürdigung und Schmähung des politischen Gegners. Manchmal wird sogar versucht, in das private Umfeld einzudringen und damit den Gegner zu desavouieren. Beides lehne ich ab. Dieser Entwicklung müssen wir gegensteuern. Die Vernunft muss wieder in den Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzung gerückt werden. Ich werde meinen Beitrag dazu leisten.
SN: Derzeit stellt jedes EUMitgliedsland eine Kommissarin oder einen Kommissar. Soll das so bleiben?
Das bleibt derzeit auf jeden Fall so, weil die Reform der Institutionen erst nach der Wahl angegangen werden kann.
Und wer bestimmt, wer den für Österreich reservierten Posten ausfüllen soll?
SN:
In der Koalition ist vereinbart, dass es ein Vorschlagsrecht der Volkspartei gibt.
SN:
Und Sie glauben, dass sich Ihr Regierungspartner daran hält?
Ich gehe davon aus. Wir haben eine sehr ordentliche und korrekte Zusammenarbeit. Daher sollten auch alle Vereinbarungen, die zu Beginn der Koalition getroffen wurden, halten. Ich bin zuversichtlich, dass uns das rasch gelingen wird.
SN: Sollte eine andere Partei als die ÖVP die meisten Stimmen bei der EU-Wahl erhalten, soll diese dann auch den Kommissarsposten beanspruchen dürfen?
Wir streben an, das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler zu erhalten. Grundsätzlich bestimmt die Regierung, wer diese Position einnehmen wird. Und es geht um die Mehrheit im EU-Hauptausschuss im Nationalrat. Der muss die politische Zustimmung geben.
Befürchten Sie ein Antreten des langjährigen EU-Politikers Othmar Karas bei der Nationalratswahl auf einer eigenen Liste oder sehen Sie den Dingen gelassen entgegen?
SN:
Wer mich kennt, weiß, dass Gelassenheit zu meinen Tugenden zählt. Wir sind im regen Austausch mit Othmar Karas. Er hat sich große Verdienste erworben. Ob und was er politisch vorhat, das kann nur er selbst sagen.
SN: Die Inflation geht zurück. Doch die Wirtschaft wächst nicht. Was tun Sie dagegen?
Ganz wichtig ist die Entlastung der Wirtschaft, die Entlastung des Faktors Arbeit. Wir müssen die Wettbewerbsfähigkeit erhalten. Das gilt nicht nur für Österreich, sondern für die gesamte Europäische Union. Unser wichtigster Partner ist Deutschland. 70 Prozent aller Exporte gehen dorthin. Der zweitwichtigste Handelspartner sind bereits die USA. Das zeigt, wie wichtig der Ausgang der Präsidentenwahl dort auch wirtschaftlich für uns wird.
SN: Es gibt Stimmen, die sich für mehr Arbeit aussprechen. Sie sind dagegen – warum?
Es geht sich sicher nicht aus, mit 32 Stunden das Auskommen zu finden. Wer freiwillig mehr und länger als jetzt arbeiten möchte, der soll auch mehr davon haben. Die Leistung muss sich lohnen. Wer mehr und länger arbeitet, soll nicht sinnlose Abschläge zahlen müssen. Fleiß soll sich monetär bemerkbar machen. Es darf nicht dazu kommen, dass jemand Beitragszahlungen leisten muss, die er nie mehr konsumieren kann.