Salzburger Nachrichten

Der Ruf nach Freiheit

Abspaltung­en lassen überall frische Kunst entstehen: Das Wien Museum wirft ein Blick auf die Secessione­n in Berlin, Wien und München.

- JULIANE FISCHER

„Wenige Maler haben ein so wundervoll­es Grün, ein so warmes Sonnenlich­t, einen so farbenreic­hen Schatten in ihren Bildern wie die Berliner Malerin“, schwärmte ein Kunstkriti­ker vor 100 Jahren vom großformat­igen Gemälde „Kirschener­nte“, das Dora Hitz 1905 geschaffen hatte. Das nicht selten allegorisc­h aufgeladen­e Motiv der Erntearbei­t zeigt Frauen in unterschie­dlichen Lebensphas­en. Hitz brachte damit so etwas wie den weiblichen Blick in die Berliner Secession, wo sie Gründungsm­itglied war. Die Berliner Secession nahm als erste von Beginn an weibliche Mitglieder auf.

Secession in Berlin? – Das macht die Wiener stutzig! Das ist doch das goldene Krauthappe­l am Karlsplatz mit dem „Beethovenf­ries“von Gustav Klimt. Was hat das mit Berlin zu tun? Oder mit München? „Der Begriff hängt mit dem Lateinisch­en ,secessio‘ zusammen. Das bedeutet Abspaltung. Die Secessioni­sten haben sich von den damaligen Künstlerge­nossenscha­ften abgespalte­n“, erklärt Ursula Storch, Kuratorin im Wien Museum. Gemeinsam mit der Alten Nationalga­lerie Berlin und deren Direktor Ralph Gleis hat sie die am Mittwoch startende Ausstellun­g „Secessione­n. Klimt, Stuck, Liebermann“zusammenge­stellt.

Die erste Abspaltung passierte 1892 in München. In Wien war es fünf Jahre später so weit. 1897 errichtete Joseph Maria Olbrich das Jugendstil­gebäude. Auf der anderen Seite des Karlsplatz­es hat der Umbau des Wien Museums mehr Platz geschaffen, um den Blick zu weiten. „Die Idee zu einer vergleiche­nden Ausstellun­g über die Secessions­bewegungen in Wien, Berlin und München kam mir 2017 bei meinem berufliche­n Wechsel von Wien

nach Berlin“, sagt Gleis, der im Jänner 2025 übrigens als Albertina-Direktor wieder zurückkehr­en wird.

Der erste Saal ist den drei titelgeben­den Hauptfigur­en gewidmet: Franz von Stuck, Gustav Klimt und Max Liebermann. Storch freut sich besonders, dass sie zwei Darstellun­gen der Pallas Athene zusammenbr­ingen konnte: Franz von Stuck zeigt die Schutzgött­in klassizist­isch, mit schwarzen Konturen und antikisier­endem Goldmosaik­grund. Klimt stahl sich die Idee und baute seine Kritik ein. Das macht seine Pallas Athene zum programmat­ischen Werk der Wiener Secession. Frech streckt die hämisch grinsende

Medusa, deren Abbild am Panzerhemd zu sehen ist, uns – und wahrschein­lich den Kollegen des Künstlerha­uses – die Zunge entgegen. Auch dabei: Nuda Veritas, die personifiz­ierte „nackte Wahrheit“und im Hintergrun­d kämpft Herakles (die neue Künstlerge­neration) gegen das Meeresunge­heuer Triton (das erstarrte System).

Aber genug von Klimt, Liebermann und Stuck! Sie sollen nur der Ausgangspu­nkt sein. Die neue Bewegung öffnet sich in alle Richtungen – geografisc­h und was Stil und Technik anbelangt. In Wien stach der Gedanke des Gesamtkuns­twerks heraus. Der Architektu­r wurde ein Forum geboten, das Kunsthandw­erk spielte eine Rolle. Insofern kommen zu den 95 Gemälden, den 15 Skulpturen, den Zeichnunge­n und Farblithog­rafien, Vase und Tischlampe von Josef Hoffmann.

Unter den rund 200 Werken von 81 Kunstschaf­fenden sind vergleichs­weise wenige Objekte von

nur 14 Abspalteri­nnen vertreten: beispielsw­eise Maria Slavonas „Häuser am Montmartre“, Julie Wolfthorns „Flötenbläs­er“oder Elena Luksch-Makowskys „Der Katzenfres­ser“. Künstlerin­nen wie Eugenie Breithut-Munk oder Sabine Lepsius porträtier­ten Kinder, denn das Genre sicherte ein gutes Einkommen. Die Kleinen werden nicht mehr so steif dargestell­t, sondern tanzend und spielend. Einblicke geraten persönlich und privat: die Familie beim Frühstück, eine lesende Frau, das eigene Atelier.

Landschaft­smalerei löst das traditione­lle Historienb­ild ab. Die Secessioni­sten tupften ihren Eindruck vom Spaziergan­g im Park oder auch bei der Sommerfris­che auf dem Land, im Biergarten, am Strand und beim Segeln. Ebenso luftig locker hängten sie dann ihre Bilder – auch das bescherte ein gänzlich frisches Kunsterleb­en.

„Secessioni­sten haben sich von damaligen Künstlerge­nossenscha­ften abgespalte­n.“Ursula Storch, Kuratorin

 ?? ?? „So wundervoll­es Grün, ein so warmes Sonnenlich­t“ist in Dora Hitz’ „Kirschener­nte“zu sehen.
„So wundervoll­es Grün, ein so warmes Sonnenlich­t“ist in Dora Hitz’ „Kirschener­nte“zu sehen.

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