Pinsle, was das Zeug hält – fang die Zeit ein
Glanz und Elend im Leopold Museum: Die Neue Sachlichkeit porträtierte jene, die vom Krieg gezeichnet sind, in schmerzender Klarheit.
Der Schiffsheizer ist immer auf Achse. Anstatt Tagebuch zu führen, lässt er sich den Körper tätowieren. Von der Zeit gezeichnet sind alle, die man wie ihn im Wiener Leopold Museum trifft. Hier sieht man Narben, die auf die Kappe der Mafia in Neapel gehen, da einen Schmiss auf der Wange und diverse seelische Wunden, die der Erste Weltkrieg angerichtet hat. Denn es geht um die Kunst der Zwischenkriegszeit, in Deutschland bekanntlich Weimarer Republik genannt. „Dieses Werk darf in keiner Ausstellung der Neuen Sachlichkeit fehlen“, meint Direktor Hans-Peter Wipplinger, der „Glanz und Elend. Neue Sachlichkeit in Deutschland“kuratiert hat. Otto Griebels „Der Schiffsheizer“wird in den nächsten Jahren viel reisen.
2025 steht ein Jubiläum an. Vor 100 Jahren definierte Gustav Friedrich Hartlaubs Schau in der Kunsthalle Mannheim diese Kunstrichtung. Sie folgte auf Chaos und Zerstörung als Reinigungsprozess: Nüchterne, realistische, unterkühlte, distanzierte, unsentimentale Darstellungen, die sich bewusst distanzieren von emotionalen Ausbrüchen des Expressionismus, dem man mit seinem Rausch, der Ekstase, Seelenlandschaftserkundung die Mitschuld für den Ersten Weltkrieg gab, sagt Wipplinger.
Was macht ihren Stil aus? Geht es nach George Grosz: „Brutalität! Klarheit, die weh tut (…) Pinsle, was das Zeug hält – fang die rasende Zeit ein“. In bissig-satirischen
Aquarellen amüsiert sich auf der einen Seite der Ziegelmauer der Kriegsgewinnler, auf der anderen hinkt der Invalide. „Glanz und Elend“trifft die Ambivalenz auf den Punkt.
Im ersten Raum wird schonungslos der direkte Eindruck des Kriegstraumas aufgearbeitet: Prothesen, die trauernde Witwe, ein Irrenhaus von Max Beckmann. Am Ende schließt sich die chronologische Klammer und die Machtergreifung Hitlers ist spürbar in den Werken von Felix Nussbaum. Er wurde wie seine ebenfalls künstlerisch tätige Frau Felka Platek in Auschwitz-Birkenau ermordet.
Dazwischen feiert das freizügige Berlin mit den vielen illegalen, aber geduldeten Schwulen- und Lesbenclubs
Bälle und Mottopartys, Travestieshows und die „Cognac-Polonaise“. Beim Tanz auf dem Vulkan trifft man die Tiller Girls und ein Zirkuspferd. Man rätselt über den magischen Realismus des Franz Radziwill. Rasch kippt das Ganze wieder ins Abgründige – Stichwort „Totentanz“(1946 gemalt von Karl Hofer). Und da sind sie wieder, ausgemergelte Gestalten, Arbeitslose, Veilchenverkäufer und solche, die sich Traumata wegsoffen. Das Grauen sitzt allen in den Knochen. Bei Straßenkämpfen werden manche gebrochen. Innerlich rumort es. Die Verrohung, die Abartigkeiten der
Gesellschaft, Gewalttaten sind sichtbar und der nächste Krieg liegt in der Luft. Die Jugend ist verwahrlost, geht es zumindest nach den Tuschezeichnungen von Rudolf Schlichter und Karl Hubbuch („Sie wachsen unter Steinen heran“).
Georg Schrimpf hingegen beschönigt gnadenlos: ein Familienidyll mit wohlgenährten Kindern und madonnenhaften Müttern. Als Gegenstück dazu kann man Käthe Kollwitz’ „Pietà“verstehen. Die Skulptur ist ihrem gefallenen Sohn gewidmet.
Herausragend sind die acht Gemälde von Christian Schad. Altmeisterlich – das ist typisch für die Neue Sachlichkeit, ebenso wie der starre Blick und die statische Haltung. Die feinen Äderchen in den Augen! Wie sich auf der Pupille ein Fenster spiegelt! Die manikürten Nägel! In den Bildnissen von Schads Geliebten aus Berlin, Paris und
Wien stellt er den neuen, mondänen Typus Frau dar – selbstbestimmtes Leben, frei von Konventionen. „Das will ich alles gar nicht wissen“, heißt es im Schlager „Mein kleiner grüner Kaktus“. Überhaupt steht der Kaktus symbolhaft für diese Epoche: Jeder kann ihn sich leisten, er kann bescheiden überleben. Man wundert sich, wie viele Stillleben mit Kakteen zu dieser Zeit entstanden sind, und geht Comedian Harmonists summend weiter in das Industriegebiet, wo die Abbildungen von Kalkwerk, Zieglerei und zackigen Zahnrädern einer Papiermaschine Angst und Faszination ausstrahlen. Eine verdienstvolle, aufwendige Zusammenschau, die eintaucht in eine zwiespältige Ära. Schließlich tingelt ein Großteil der Werke als Leihgabe von privaten Sammlern durch die Ausstellungen.
Beim Tanz auf dem Vulkan trifft man ein Zirkuspferd