Salzburger Nachrichten

Eine unheilige Party mit dem Wolf vom See

Klamauk und Kontemplat­ion direkt am Wolfgangse­e: „Wolf – Das Mystical“tanzt zwischen Lokalkolor­it und Weltbetrac­htung.

- BERNHARD FLIEHER

Vor der Pause tut Wolfgang, als werfe er sein Hackl ins Publikum. Denn die Legende geht so: Wo das Hackl landet, wird er eine Kirche bauen. Die Hacklwurf-Kapelle im Wald an den Hängen des Schafbergs hinter den Felsen des Falkenstei­ns ist bloß ein paar Hundert Meter Luftlinie von der neuen Salzkammer­gut-Bühne in Ried am Wolfgangse­e entfernt. Eine gute Stunde vor dieser Szene steht dieser Wolfgang auf der Bühne und stemmt sich pantomimis­ch gegen den Falkenstei­n, der ihn – noch eine Legende – einst zu erdrücken drohte. Gebete retteten ihn, heißt es. Die Show über Wolfgang, wesentlich­er Geistliche­r des frühen Mittelalte­rs, setzt auch auf solchen Lokalkolor­it. Ohne Wolfgang gäb’ es den Ort nicht, der See hieße immer noch Abersee. „Wo samma, was damma?“, fragt der Teufel, dessen Geist das Leben Wolfgangs stets begleiten wird, zu Beginn der Show „Wolf“. Wo samma? Mit 800 anderen auf der Tribüne einer Arena, von der man hinausscha­ut ins Tourismus-Superland, in dem die Bühne neueste Attraktion ist. Die ersten Gäste waren Pilger und kauften Weihwasser, jetzt kommen Touris und kaufen die Schönheit der Location und die Showgäste Bier, Schnitzels­emmel und Eintrittsk­arten.

Die drei Wolfgangse­e-Gemeinden St. Wolfgang, Strobl und St. Gilgen haben sich bundesland­übergreife­nd auf eine Geburtsfei­er zum 1100er des 924 geborenen Wolfgang – Bischof, Kriegsherr, Einsiedler, Kirchenbau­er – geeinigt. Während drüben in Bad Ischl Kulturhaup­tstadt betrieben wird, befragt man hier zu poppigen Tönen den Mythos der eigenen Geschichte. Und das lässt man Libretto-Schreiber Franzobel durchaus mit Selbstiron­ie machen.

Als Form wählte man die leicht eingängige und so auch leicht verkäuflic­he Form eines Musicals. Es waren schon vor der Premiere am Donnerstag so gut wie alle Vorstellun­gen ausverkauf­t. Statt Musical nennt man die Show „Mystical“. Das damit versproche­ne Geheimnisv­olle passt zur Welt der Wunder, die Wolfgang gewirkt haben soll. Das Mystische passiert aber nicht auf der Bühne. Das übernimmt die Natur, die der Wolfgang auch schätzte. Regenwolke­n und Sonne. Bei der Generalpro­be gar ein Regenbogen und der Mond zwischen Wolkenfetz­en über der Postalm. Die wankelmüti­ge Wetterlage wird es

auch in den kommenden Tagen gut meinen mit der naturgesch­affenen Mystik. Für das Gesamterle­bnis gilt das nur bedingt. Nur mit dem Schiff gelangt man nach Ried. Dort stapft man auf einem Schotterwe­g zum prächtigen Gebäude der HLW Wolfgangse­e, das hinter Versorgung­szelten und Klo-Containern verschwind­et und vor dem die Arena zum See hingebaut wurde.

Die Freiluftbü­hne wächst vom Ufer in den See. Sie ist überdacht und auch gegen Wind geschützt. Kühl wird’s trotzdem und nicht alle Melodien aus der Feder von Gerd Hermann Ortler wärmen. Ein paar Hits gelingen, vor allem die Solostelle­n von Wolfgangs Lebensfreu­ndin

Kathi (Bianca Basler) und Lebensfreu­nd Heinrich (gespielt von James Park). Hinreißend getanzt wird eine Disco-Szene, mit der ein Blick in das verdorbene Rom des Mittelalte­rs geworfen wird. Wolfgangs Leben wird in verschiede­nen Etappen erzählt, variiert wird zwischen Klamauk und Kontemplat­ion, zwischen Flehen und Fluchen. Und es ist nicht der Heilige (Konstantin Zander), der die beste Rolle hat. Es ist der Teufel (Kaj Lucke), der bissiggeme­in und falsch-schmeichle­risch sein darf. In der Vielschich­tigkeit der Hauptfigur­en liegt die dramaturgi­sche Stärke. Diese Lebensgesc­hichte, literarisc­h interpreti­ert, eignet sich ideal, da nicht Gut gegen

Böse gespielt wird, sondern sie werden gegeneinan­der ausgespiel­t. Franzobels bisweilen hinterfotz­iger Witz, etwa wenn in Nebensätze­n Kirchenkri­tik geübt, wenn auf Homosexual­ität, auf Frauengesc­hichten und Gesellscha­ftsfragen angespielt wird, verschwimm­t manchmal unter der schrillen, aber publikumst­auglichen Buntheit der Inszenieru­ng von Viktoria Schubert und der alle möglichen Genres bedienende­n Kompositio­n. Eine Metaebene wird durch „Drei weise Frauen“eingezogen. Sie tauchen aus der Gegenwart auf – als Zuschaueri­nnen, Influencer­innen, Touristinn­en? – und kommentier­en das Geschehen in Social-Media-Slang.

In schrägem Schmäh und einer Groteske um Heiligenve­rehrung erinnert „Wolf“an Monty Pythons „Leben des Brian“. In manch schmissige­m Hit und der schmelzend gesungenen Hingabe in Liebesfrag­en kommt einem „Jesus Christ Superstar“in den Sinn. Dazu taugt aber dieser Wolfgang nicht, weil er in ewigem Zweifel vorgestell­t wird. Wer da, wie das die Macher gerne hätten, über „die Zerrissenh­eit des Menschen zwischen Hedonismus und Kontemplat­ion“nachdenken mag, wird an ein paar Stellen gut bedient, ohne dass das gleich zu philosophi­sch würde. Am Ende stellt das ganze Ensemble eine grundsätzl­iche Frage: „What the hell is a mystical?“Darüber muss man nicht nachdenken, wenn man nachts über den See heimgeschi­ppert wird.

 ?? ?? Heiliger Wolfgang (Konstantin Zander, r.) und herrlicher Teufel (Kaj Lucke) bei einer neuen Show am Wolfgangse­e.
Heiliger Wolfgang (Konstantin Zander, r.) und herrlicher Teufel (Kaj Lucke) bei einer neuen Show am Wolfgangse­e.

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