Eine unheilige Party mit dem Wolf vom See
Klamauk und Kontemplation direkt am Wolfgangsee: „Wolf – Das Mystical“tanzt zwischen Lokalkolorit und Weltbetrachtung.
Vor der Pause tut Wolfgang, als werfe er sein Hackl ins Publikum. Denn die Legende geht so: Wo das Hackl landet, wird er eine Kirche bauen. Die Hacklwurf-Kapelle im Wald an den Hängen des Schafbergs hinter den Felsen des Falkensteins ist bloß ein paar Hundert Meter Luftlinie von der neuen Salzkammergut-Bühne in Ried am Wolfgangsee entfernt. Eine gute Stunde vor dieser Szene steht dieser Wolfgang auf der Bühne und stemmt sich pantomimisch gegen den Falkenstein, der ihn – noch eine Legende – einst zu erdrücken drohte. Gebete retteten ihn, heißt es. Die Show über Wolfgang, wesentlicher Geistlicher des frühen Mittelalters, setzt auch auf solchen Lokalkolorit. Ohne Wolfgang gäb’ es den Ort nicht, der See hieße immer noch Abersee. „Wo samma, was damma?“, fragt der Teufel, dessen Geist das Leben Wolfgangs stets begleiten wird, zu Beginn der Show „Wolf“. Wo samma? Mit 800 anderen auf der Tribüne einer Arena, von der man hinausschaut ins Tourismus-Superland, in dem die Bühne neueste Attraktion ist. Die ersten Gäste waren Pilger und kauften Weihwasser, jetzt kommen Touris und kaufen die Schönheit der Location und die Showgäste Bier, Schnitzelsemmel und Eintrittskarten.
Die drei Wolfgangsee-Gemeinden St. Wolfgang, Strobl und St. Gilgen haben sich bundeslandübergreifend auf eine Geburtsfeier zum 1100er des 924 geborenen Wolfgang – Bischof, Kriegsherr, Einsiedler, Kirchenbauer – geeinigt. Während drüben in Bad Ischl Kulturhauptstadt betrieben wird, befragt man hier zu poppigen Tönen den Mythos der eigenen Geschichte. Und das lässt man Libretto-Schreiber Franzobel durchaus mit Selbstironie machen.
Als Form wählte man die leicht eingängige und so auch leicht verkäufliche Form eines Musicals. Es waren schon vor der Premiere am Donnerstag so gut wie alle Vorstellungen ausverkauft. Statt Musical nennt man die Show „Mystical“. Das damit versprochene Geheimnisvolle passt zur Welt der Wunder, die Wolfgang gewirkt haben soll. Das Mystische passiert aber nicht auf der Bühne. Das übernimmt die Natur, die der Wolfgang auch schätzte. Regenwolken und Sonne. Bei der Generalprobe gar ein Regenbogen und der Mond zwischen Wolkenfetzen über der Postalm. Die wankelmütige Wetterlage wird es
auch in den kommenden Tagen gut meinen mit der naturgeschaffenen Mystik. Für das Gesamterlebnis gilt das nur bedingt. Nur mit dem Schiff gelangt man nach Ried. Dort stapft man auf einem Schotterweg zum prächtigen Gebäude der HLW Wolfgangsee, das hinter Versorgungszelten und Klo-Containern verschwindet und vor dem die Arena zum See hingebaut wurde.
Die Freiluftbühne wächst vom Ufer in den See. Sie ist überdacht und auch gegen Wind geschützt. Kühl wird’s trotzdem und nicht alle Melodien aus der Feder von Gerd Hermann Ortler wärmen. Ein paar Hits gelingen, vor allem die Solostellen von Wolfgangs Lebensfreundin
Kathi (Bianca Basler) und Lebensfreund Heinrich (gespielt von James Park). Hinreißend getanzt wird eine Disco-Szene, mit der ein Blick in das verdorbene Rom des Mittelalters geworfen wird. Wolfgangs Leben wird in verschiedenen Etappen erzählt, variiert wird zwischen Klamauk und Kontemplation, zwischen Flehen und Fluchen. Und es ist nicht der Heilige (Konstantin Zander), der die beste Rolle hat. Es ist der Teufel (Kaj Lucke), der bissiggemein und falsch-schmeichlerisch sein darf. In der Vielschichtigkeit der Hauptfiguren liegt die dramaturgische Stärke. Diese Lebensgeschichte, literarisch interpretiert, eignet sich ideal, da nicht Gut gegen
Böse gespielt wird, sondern sie werden gegeneinander ausgespielt. Franzobels bisweilen hinterfotziger Witz, etwa wenn in Nebensätzen Kirchenkritik geübt, wenn auf Homosexualität, auf Frauengeschichten und Gesellschaftsfragen angespielt wird, verschwimmt manchmal unter der schrillen, aber publikumstauglichen Buntheit der Inszenierung von Viktoria Schubert und der alle möglichen Genres bedienenden Komposition. Eine Metaebene wird durch „Drei weise Frauen“eingezogen. Sie tauchen aus der Gegenwart auf – als Zuschauerinnen, Influencerinnen, Touristinnen? – und kommentieren das Geschehen in Social-Media-Slang.
In schrägem Schmäh und einer Groteske um Heiligenverehrung erinnert „Wolf“an Monty Pythons „Leben des Brian“. In manch schmissigem Hit und der schmelzend gesungenen Hingabe in Liebesfragen kommt einem „Jesus Christ Superstar“in den Sinn. Dazu taugt aber dieser Wolfgang nicht, weil er in ewigem Zweifel vorgestellt wird. Wer da, wie das die Macher gerne hätten, über „die Zerrissenheit des Menschen zwischen Hedonismus und Kontemplation“nachdenken mag, wird an ein paar Stellen gut bedient, ohne dass das gleich zu philosophisch würde. Am Ende stellt das ganze Ensemble eine grundsätzliche Frage: „What the hell is a mystical?“Darüber muss man nicht nachdenken, wenn man nachts über den See heimgeschippert wird.