Interview
Ex-Politiker Matthias Strolz über alles, was im Leben wirklich zählt
Matthias Strolz war früher einmal Politiker und ist heute Autor, Coach sowie umtriebiger Unternehmer in den verschiedensten Bereichen. Im Interview spricht er über das Leben, die Liebe, das Glück und die Chancen, wie wir alle die Pandemie schadenfrei überstehen können.
In den vergangenen knapp eineinhalb Jahren waren wir rund acht Monate lang zum Rückzug auf uns selbst gezwungen – wegen der verschiedenen Lockdowns. Wie haben Sie sich persönlich zurückgezogen?
Matthias Strolz: Im Kreis der Familie. Mit drei Kindern im Homeschooling ist das ein Selbstläufer. Unsere Kinder lernen selbstständig, dennoch war die strukturelle Umstellung heftig. Du bist ein kleiner Gastrobetrieb, der Geschirrspüler rennt zweimal am Tag. Einerseits ist es innig und wir haben Dinge gemacht, die wir davor noch nicht getan haben – zum Beispiel lange gemeinsame Radausflüge, Nachtwanderung im Wienerwald. Andererseits wird’s schon auch dicht miteinander. Wir sind froh, dass wir am Stadtrand sind und gut Auslauf haben.
Haben Sie Dinge wesentlich anders gemacht als in Zeiten vor der Pandemie, zum Beispiel mehr geschrieben, mehr reflektiert, mehr nachgedacht?
Strolz: Ja, mein Hauptgeschäftsfeld fiel flach. In den ersten Wochen zog ich mich zurück, war viel in der Natur. Ich war davor mit meinem Buch „Sei Pilot*in deines Lebens“auf Tour gewesen, hatte soeben auch in Deutschland gestartet, in Berlin und Köln. Dann fiel über Nacht ein halbes Jahr Vorplanung einfach um. Auch im Bereich Organisationsentwicklung und Coaching gab es einen Shutdown. Das war brutal. Nach einigen Wochen fing ich mich und schrieb ein Buch: „Kraft und Inspiration für diese Zeiten“. Zudem arbeite ich intensiver bei unserer Geschichten-Plattform story.one mit.
Das läuft prächtig. Auch eine weitere Firmengründung folgte: ThePixelBeat, ein techdriven Innovation-Builder. Wir treiben die Digitalisierung für Unternehmen, auch für Start-ups. Dort beteiligen wir uns auch.
Sollten wir als Gesellschaft mit dieser Erfahrung des Durchlebens einer Pandemie neu darüber nachdenken, was wirklich wichtig für uns alle und jeden Einzelnen ist, was uns guttut?
Strolz: Auf jeden Fall! Wann, wenn nicht jetzt, in einer Krise. Wenn wir uns selbst nicht gut führen, steigt das Risiko, in Kraftlosigkeit und Depression zu landen. „Was ist jetzt wichtig? Was tut mir gut?“Das sind zentrale und wohltuende Fragen im Umgang mit den Zumutungen dieser Zeit.
Was ist denn für Sie wirklich wichtig? Was tut Ihnen denn gut? Was können Sie empfehlen?
Strolz: Ganz zentral ist die Selbstfürsorge. Zu wem will ich gut sein, wenn ich mit mir selbst schlecht umgehe? So wie die Selbstliebe die Basis für gelingende Beziehungen ist, so legen wir mit Selbstfürsorge das Fundament, um uns kraftvoll in die Gemeinschaft einbringen oder uns um andere Menschen kümmern zu können. Zugespitzt formuliert: Wenn wir uns liebevoll um uns selbst kümmern, kümmern wir uns um die ganze Welt. Und diese Selbstfürsorge, die braucht Zeit, einen geschützten Rahmen, und sie braucht auch Rückzug.
„Wann, wenn nicht jetzt, in einer Krise, sollen wir darüber nachdenken, was wirklich wichtig ist, um nicht in der Kraftlosigkeit zu landen?“
Wie zieht man sich denn richtig zurück, gibt es eine Art kleines Einmaleins des Zurückziehens?
Strolz: Das ist individuell unterschiedlich. Der eine entspannt sich beim Schaumbad, die andere übt den „Einkehrschwung bei sich selbst“beim Joggen. Der Nächste meditiert mit dem Neugeborenen in den Schlaf und bleibt dann noch etwas liegen, und die Übernächste geht den Jakobsweg oder eine Woche fasten. Das hängt von unserer Persönlichkeitsstruktur und unseren Umständen ab. Letztere verändern sich in diesen Monaten rasant. Daher sind wir in der Pflicht, einen – mitunter neuen – Lebensrhythmus zu finden, der uns in guter Balance und in Verbindung mit uns selbst hält. Das ist essenziell für die körperliche und geistige Gesundheit.
Viele Menschen haben in den vergangenen eineinhalb Jahren während der Pandemie zu schreiben begonnen – mehr als sonst. Schreib-Workshops boomen und der Wunsch, selbst ein Buch zu schreiben, erlebt eine Renaissance – und das in Zeiten der Digitalisierung. Warum ziehen wir uns mit dem Wunsch zu schreiben in unseren eigenen Kopf zurück, wenn im gesellschaftlichen Zusammenleben ein Problem auftaucht?
Strolz: Kaum etwas sortiert einen so klar wie das Schreiben. Habe ich ein Buch abgeschlossen, dann habe ich mir ein neues Universum erschlossen, ein Thema durchdrungen und für mich integriert. Auch beim Abschluss einzelner Geschichten geht es schon in die Richtung der Klarheit. Es ist also ein Rückzug, ein Schöpfen aus sich selbst, um Schwung zu holen. Dann kann ich mit noch mehr Klarheit gestalterisch tätig werden. Schreiben ist eine Form der Manifestation, des Sich-Zeigens und Teilens. Wir sehen auf story.one, dass die Suchspannung nach „sich zeigen“, „sich mitteilen“und damit auch nach „miteinander in Begegnung gehen“riesig ist.
„Ganz zentral ist die Selbstfürsorge. Zu wem will ich gut sein, wenn ich mit mir selbst schlecht umgehe? Das ist die Basis für gelingende Beziehungen.“
Sie selbst haben diese boomende Internet-Plattform, eben story.one, mitgegründet und sind daran beteiligt. Hier können Menschen ihre Geschichten in geschriebener Form erzählen. Welche Themen dominieren da?
Strolz: Zu Beginn von Corona war es jedenfalls das Thema „CorCooning“– also Geschichten aus dem staatlich verordneten Rückzug in die eigenen vier Wände. Nun differenziert das wieder breit aus. Das geht von persönlichen Erzählungen aus der Familie über das erfolgreiche Meistern von schwierigen Situationen bis hin zu Urlaubserinnerungen, sehr viel Natur, beruflichen Anekdoten. Derzeit haben wir mit „Mutter Erde“einen Story-Call zum Thema Klimaund Artenschutz sowie Achtsamkeit im Umgang mit unserem Planeten laufen. Das hat starke Resonanz. Gerade junge Leute aus dem urbanen Raum haben viel zu erzählen.
Wenn Menschen in großer Zahl ihre kleinen Geschichten erzählen, was dominiert da tendenziell – Pessimismus oder Hoffnung, Glaube an die Zukunft oder Zukunftsangst, Klage oder Freude?
Strolz: Das ist ein Stück weit von der gesellschaftlichen Großwetterlage abhängig. Noch stärker aber davon, wie man hineinfragt. Ein Teil der Geschichten bei uns kommt über Challenges, also GeschichtenAufrufe. Hier ist uns wichtig, positiv und konstruktiv zu fragen. Bad News hat die Welt genug in diesen Zeiten. Wir merken: Geschichten mit positiver Ausstrahlung werden breiter gelesen und besser angenommen. Das ist unser Beitrag für das gesellschaftliche Klima. Wir wollen nicht so sehr die Eitelkeit füttern wie Instagram, nicht so sehr den Zynismus wie Twitter und nicht so sehr die Aggression und Angst wie Facebook. Wir wollen das Miteinander nähren. #geschichtenverbinden ist einer unserer wichtigsten Hashtags.
Ein erstaunlicher Effekt der Pandemie ist auch, dass die Immobilienpreise am Land steigen und der Trend zur Landflucht abflacht oder sich sogar umgekehrt hat. Viele, die in der Stadt ihr Glück gesucht haben, suchen nun wieder eine Art Zuflucht am Land. Verständlich?
Strolz: Ja, das kann ich gut nachvollziehen. Ich bin ein Bergbauernbub und liebe die Natur. Ich bin heute auch eine Stadtpflanze und liebe die Lebendigkeit der Metropole. Also für diese Form der Polyamorie hab ich absolut Verständnis. „Das Beste aus beiden Welten“, quasi. Okay, auch dieser Spruch hat schon mal besser geklungen.
Ist es gut, dass finanzielle Werte, die bisher sehr wichtig waren, jetzt in Pandemie-Zeiten offensichtlich wieder zugunsten anderer Werte wie Glück, Muße, Ruhe, Gesundheit und Ausgeglichenheit ein wenig in den Hintergrund treten?
Strolz: Das Thema Finanzen wird rasch wieder stark in den Fokus kommen, weil gewaltig Druck in der Kiste ist. Wir stehen am Vorabend großer Verteilungsfragen. Wer zahlt die Krise? Die Antworten darauf werden sich in den nächsten Jahren in jeden Haushalt übersetzen. Grundsätzlich halte ich es für überfällig, dass wir aus der blinden Konsumationsbeschleunigung austreten und zu einem bewussteren und balancierteren Umgang mit Fragen des inneren und äußeren Wohlstands kommen.
Komplizierte Frage: Wie findet man sein Glück? Lässt sich das einfach beantworten?
Strolz: An deinem „inneren Ort“. Das ist kein Begriff aus der Esoterik-Szene, sondern von Otto Scharmer, einem Forscher am MIT, also am Massachusetts Institute of Technology.
„Wir stehen am Vorabend großer Verteilungsfragen. Die Antworten darauf werden sich in den nächsten Jahren in jeden Haushalt übersetzen.“
Wie bleibt man denn in einer Pandemie, in der es sehr viele Vorgaben von außen gibt, der Pilot seines Lebens, um Ihren Buchtitel zu zitieren?
Strolz: Indem man sich erstens gut verankert in der Bewusstseinshaltung, dass die Zukunft kein Ort ist, den wir willenlos und als Opfer betreten. Sondern die Zukunft ist ein Ort, den wir miterschaffen. Wir sind zutiefst schöpferische Wesen. Bin ich bereit, als Co-Erschaffender, als gestaltende Kraft für mein eigenes Leben in die Verantwortung zu gehen? Wenn ja, dann hilft die „Grammatik der Neuerfindung“. Hier definiere ich in meinem Buch „Sei Pilot*in deines Lebens“ein systemisch-integrales Modell mit fünf Schichtungen: Bewusst werden – loslassen – mit dem Inneren Ort und der Berufung verbinden – Form geben – in die Verkörperung reifen. Das ist keine Raketenwissenschaft, das Modell kann jede und jeder anwenden.
Wo befinden sich Ihre persönlichen Rückzugsorte, woraus schöpfen denn Sie in schwieriger Zeit Kraft und Inspiration?
Strolz: Familie, Natur, Berge, Schreiben, Reisen, Bewegung, Meditation, Begegnungen mit dem Leben und der Welt. Zum Beispiel in der Endphase der Politik habe ich mir dafür zu wenig Zeit genommen. Das habe ich mit einem Bandscheibenvorfall bezahlt. Der ist nun mein bester Verbündeter: Wenn ich nachlässig werde, mahnt er unüberhörbar.
Wie wird Ihr nächstes Buch heißen und worum wird’s darin gehen?
Strolz: Mein nächstes Buch erscheint im Frühjahr 2022 in einem deutschen Verlag. Ich schreibe es gemeinsam mit einem Baum. Mehr kann ich noch nicht verraten, bin aber selbst schon sehr gespannt darauf.