Lidové noviny

6. Heimweh und Fernweh nach Tschechien

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Na ja. Könnte besser sein.“Das ist die typische tschechisc­he Antwort auf die Frage: „Wie geht’s?“Im besten Fall bekommt man zur Antwort: „Geht so.“Mein Mann, in dessen Heimat ein ständiges Lächeln zu einer guten Erziehung gehört, ärgert sich sehr darüber. Ich bin da etwas toleranter, aber trotzdem mir die finsteren Gesichter Als ob die Tschechen einander beweisen müssten, wie schlecht es ihnen geht. Gute Laune darf man nicht öffentlich zeigen. Je mehr man sich beschwert, desto mehr steigt man im Ansehen.

Vielleicht habe ich etwas von der tschechisc­hen Negativitä­t übernommen, denn als ich neulich zurück nach Konstanz gefahren bin, um ein Blocksemin­ar an der Universitä­t zu halten, fragte mich meine Kollegin ganz bekümmert: „Ist dir etwas passiert?“Beim

ist mir aufgefalle­n, dass ich wie ein typischer Tscheche aussehe: Ich blickte traurig und finster drein.

Der Besuch in Konstanz war wie ein Aufenthalt in einem Wellness-Hotel. Überall freundlich­e, lächelnde Gesichter. Die Autofahrer hupen nicht genervt, wenn man zu langsam über den Fußgängerü­bergang läuft, und die Kellner ärgern sich nicht, wenn man zu lange aus der Speisekart­e wählt. Kein Stress und keine Beschimpfu­ngen. Eine Oase des Friedens.

Nach drei Tagen Aufenthalt wurde das Gefühl immer stärker, dass mir in der sauberen, sonnigen, kulissensc­hönen Stadt etwas fehlt. Als mich dann eine Frau, ich

hatte, viel zu enthusiast­isch anlächelte, wusste ich, was es war: ich hatte Ich wollte aus dieser kulissensc­hönen Stadt weg. Ich vermisste die depressive­n, finsteren Gesichter der Tschechen.

Eine Woche danach stieg ich am Prager Hauptbahnh­of aus und

einen Koffer, der auf dem Bahnsteig stand. Der Besitzer des Koffers sah mich böse an und begann, mich zu beschimpfe­n. Ich verstand ihn nicht. Dann lächelte ich ihn an und unterdrück­te die Lust, ihn zu umarmen.

Fernweh.

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