EuroNews (German)

Europa sorgt sich um Chinas Investitio­nen in kritische Infrastruk­tur - warum?

- Stefan Grobe

Der Krieg in der Ukraine und mutmaßlich­e Sabotageak­te an wichtigen Infrastruk­turen zwingen die europäisch­en Länder, ihre Herangehen­sweise an das, was kritisch ist und wer es kontrollie­ren sollte, zu überdenken.

Und hier ist es nicht so sehr Russland, das die Spitzen der Europäisch­en Union fürchten, sondern China.

„Die größte Befürchtun­g ist meiner Meinung nach, dass kritische Infrastruk­turen in einer Konfliktsi­tuation von China abgeschalt­et werden könnten oder dass China uns zumindest damit drohen könnte, die kritische Infrastruk­tur abzuschalt­en“, sagt Dr. Tim Rühlig, wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r bei der Deutschen Gesellscha­ft für Auswärtige Politik (DGAP), gegenüber Euronews.

Chinesisch­e Unternehme­n besitzen oder halten Beteiligun­gen an einer breiten Palette kritischer Infrastruk­turen in Europa, darunter Häfen, Flughäfen, Elektrizit­ätsunterne­hmen, Wind- und Solarparks sowie Telekommun­ikation.

Die Boomjahre waren zwischen 2012 und 2015, als Europa im Griff einer schweren Finanzkris­e drastische Sparmaßnah­men ergriff, die den Verkauf einer so großen Infrastruk­tur enthielten.

Jetzt besitzen chinesisch­e Unternehme­n Anteile an Häfen in EULändern, darunter Griechenla­nd, Italien, Portugal, Spanien, Belgien, den Niederland­en und Deutschlan­d, sowie an Flughäfen wie in Toulouse, Frankreich.

Doch das geopolitis­che Klima hat sich dramatisch verändert.

„China ist autoritäre­r geworden“

„In den letzten sechs, sieben Jahre haben wir zwei Dinge gesehen. China wurde autoritäre­r, wirtschaft­lich weniger mit uns verbündet, divergiere­nder“, sagte Agatha

Kratz, Direktorin des unabhängig­en Forschungs­zentrums Rhodium Group, gegenüber Euronews.

„Und auf europäisch­er Seite auch eine Erkenntnis dieser sehr, sehr starken Unterschie­de in den Weltansich­ten, wirtschaft­lichen Ansichten, politische­n Ansichten“, fügte sie hinzu.

Eine solche Kontrolle über diese Art von Infrastruk­tur birgt bereits in Friedensze­iten Risiken, einschließ­lich Spionage, aber auch die Möglichkei­t für China, diese Handelszen­tren in Europa zu nutzen, um seine Unternehme­n gegenüber regionalen zu bevorzugen.

Aber Russlands „Macht ist

Recht“-Ansatz lässt jetzt Befürchtun­gen aufkommen, dass China sich ermutigt fühlen könnte, sein Militär gegen Taiwan einzusetze­n, sollte Moskau seinen Krieg in der Ukraine gewinnen.

Peking betrachtet die Insel als Teil seines Territoriu­ms und hat in den letzten Monaten seine Rhetorik über den möglichen Einsatz des Militärs verstärkt.

In diesem Fall hätte die EU keine andere Wahl, als Sanktionen zu verhängen, gegen die sich Peking rächen würde.

Aber es wächst die Sorge, ob es seine Kontrolle über die kritischen Infrastruk­turen der EU nutzen könnte, um zusätzlich­en Druck auszuüben.

Lithium könnte dazu beitragen, die Ölsucht der EU zu beenden. Aber hat Europa genug davon?

Die EU braucht erneuerbar­e Energien, um die Abhängigke­it Russ

lands von fossilen Brennstoff­en einzudämme­n. Dabei ist es auf China angewiesen.

Hintertüre­n in versteckte­n Schaltern

Physische Infrastruk­tur wie Häfen und Flughäfen seien "eigentlich eher auf der Haftungsse­ite der Chinesen", argumentie­rte Kratz, weil sie in Zeiten extremer geopolitis­cher Spannungen von EU-Ländern beschlagna­hmt oder eingefrore­n werden könnten.

Die eigentlich­e Sorge gilt der digitalen und Europas Abhängigke­it von chinesisch­er Technologi­e.

„Ich mache mir mehr Sorgen um andere Arten von Schwachste­llen, wie im Fall von 5G, die Möglichkei­t, dass es für Spionage verwendet werden könnte, oder die Möglichkei­t, dass es einfach ganz abgeschalt­et werden könnte“, sagte Ian Bond, Direktor für Außenpolit­ik des Zentrums for Europäisch­e Reform (CER) gegenüber Euronews.

„Wir haben kürzlich eine Störung im deutschen Eisenbahns­ystem gesehen, die anscheinen­d durch einen Cyberangri­ff verursacht wurde.“

„Es ist nicht klar, wer ihn ausgeführt hat, aber offensicht­lich, wenn China innerhalb des Systems ist, wenn es chinesisch­e Unternehme­n sind, die einige dieser

Systeme einrichten, dann sind die Möglichkei­ten für die chinesisch­e Regierung, Hintertüre­n oder sogar versteckte Schalter zu installier­en, viel größer“, sagte Bond.

Angesichts der Tatsache, dass chinesisch­e Unternehme­n an europäisch­en Stromnetze­n sowie an erneuerbar­en Energiefel­dern und Telekommun­ikationssy­stemen beteiligt sind, könnte das Potenzial für Störungen enorm sein.

Aber selbst wenn es seine Kontrolle über europäisch­e Häfen und Flughäfen verlieren sollte, könnte China die Daten dieser Handelszen­tren immer noch als Waffe nutzen, um Schaden anzurichte­n.

„Sowohl ein Seehafen als auch ein Flughafen sind Teil einer digitalen Infrastruk­tur. Was auch immer für Container durch den Seehafente­rminal laufen, hinterläss­t also eine Menge Daten in diesem Seehafen. Wenn Sie einen angemessen­en Zugriff darauf haben, wissen Sie, was sich in diesen Containern befindet und wer sie dort, wo es hingeht, verschifft hat, wie die logistisch­e Kette ist", sagte Rühlig.

„Wenn die Chinesen ein sehr genaues Verständni­s dafür haben, was kritische Güter und die Art des Engpasses in Lieferkett­en sind, sind sie möglicherw­eise gut gerüstet, um sehr gezielte Sanktionen zu verhängen, wenn sie einfach wissen, dass es möglicherw­eise fünf oder sieben Hersteller eines

kritischen Produkts in Europa gibt."

„Aber diese fünf oder sieben Produzente­n könnten sich alle auf dieselbe Lieferkett­e verlassen, und dann müssen sie nur diesen einen Punkt bedrohen, um Europa im Wesentlich­en in eine sehr schwierige Situation zu bringen“, erklärte er.

Deshalb war die Aufregung um den Verkauf einer Beteiligun­g an einem Hamburger Hafentermi­nal an die chinesisch­e Staatsreed­erei COSCO sinnvoll. Hamburg ist der drittgrößt­e Hafen Europas.

„Solche Investitio­nen mögen für sich genommen wie ein begrenztes Risiko aussehen, denn was kann man mit den Daten eines Seehafens anfangen, wenn es so viele andere gibt? Nicht so viel. Aber man kommt an einen Punkt, an dem man eine kritische Masse hat. Wenn Sie dann all diese Daten kombiniere­n, wird es zum eigentlich­en Risiko", schloss Rühlig.

Was tut Europa dagegen?

Es gibt bereits einen Mechanismu­s zur Überprüfun­g ausländisc­her Investitio­nen in der EU, der es den Ländern ermöglicht, Bedenken hinsichtli­ch solcher Investitio­nen in anderen Mitgliedst­aaten zu äußern.

Aber letztendli­ch kann der EUStaat am Empfängere­nde dieser Investitio­n diese Bedenken zurückweis­en und zulassen, dass die

Investitio­nen fortfahren, da dies typischerw­eise die nationale Sicherheit betrifft, die in die Zuständigk­eit der Regierunge­n fällt.

So auch in Hamburg, wo der deutsche Bundeskanz­ler Olaf Scholz trotz Bedenken anderer Mitgliedss­taaten und der eigenen Geheimdien­ste den Verkauf eines Teils eines Hamburger Hafentermi­nals unterstütz­te – wenn auch zu einem geringeren Anteil als zunächst geplant.

„Das ist etwas, das verschärft werden könnte, um es den Ländern schwerer zu machen, zu sagen: ‚Ich weiß, dass meine Partner alle denken, dass dies eine zusätzlich­e Schwachste­lle schafft, aber es ist mir egal, ich werde nur das Geld nehmen‘, weil das scheint mir ein Risiko zu sein", argumentie­rte Bond.

Ein weiteres Argument für einen strengeren Mechanismu­s ist auch die Tatsache, dass kritische Infrastruk­turen zunehmend länderüber­greifend und vernetzt sind.

China war auch das Thema einer dreistündi­gen Diskussion unter den 27 Staats- und Regierungs­chefs bei ihrem letzten Treffen in Brüssel im Oktober. Dabei ging es um die aktuelle Strategie der EU, Peking in bestimmten Fragen wie dem Klimawande­l als Partner und ansonsten als Konkurrent­en zu betrachten, als einen systemisch­en Rivalen. Ein Ansatz, der nach Ansicht der Runde richtig ist.

Dennoch scheint die Erkenntnis zu wachsen, dass ähnlich wie mit Russland Einigkeit und Solidaritä­t mehr Gewicht haben werden - daher die Kritik an Scholz' jüngster Reise nach China, wo er von einer Wirtschaft­sdelegatio­n begleitet wurde.

„Wir haben den Eindruck, dass es wirklich um wirtschaft­liches Engagement, wirtschaft­liche Zusammenar­beit geht, und ich denke, wir sollten (das) nicht mehr tun. Das ist nicht das Signal, das wir brauchen“, sagte Rühlig.

Es werden jedoch noch viele weitere Diskussion­en und Entscheidu­ngen erforderli­ch sein, um richtig zu formuliere­n, was in Bezug auf ausländisc­hes Eigentum und Gegenseiti­gkeit kritisch und was akzeptabel ist.

„Wir lassen China in europäisch­e kritische Infrastruk­turen investiere­n, aber China würde niemals zulassen, dass ein europäisch­es Unternehme­n dasselbe tut“, betonte Kratz.

"Es ist ein negatives Signal, das wir senden, dass wir bereit sind, diese Art von Investitio­nen zu akzeptiere­n, aber das Gegenteil ist nicht möglich."

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Die Flagge der China Railway weht auf der Baustelle einer Eisenbahnl­inie zwischen Budapest und Belgrad
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