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Zahl der Spermien geht noch drastische­r zurück: Ist die Menschheit am Kipp-Punkt?

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Die Zahl der Spermien hat sich in den letzten fünf Jahrzehnte­n weltweit halbiert, und das Tempo des Rückgangs hat sich seit der Jahrhunder­twende mehr als verdoppelt, wie neue Untersuchu­ngen zeigen.

Das internatio­nale Team, das hinter dieser Studie steht, hält die Daten für alarmieren­d und weist auf eine Fruchtbark­eitskrise hin, die das Überleben der Menschheit bedroht.

Die Meta-Analyse untersucht­e 223 Studien auf der Grundlage von Spermaprob­en von über 57 000 Männern aus 53 Ländern.

Die Untersuchu­ng zeigt zum ersten Mal, dass bei Männern in Lateinamer­ika, Asien und Afrika ein ähnlicher Rückgang der Gesamtzahl an Spermien und an deren Konzentrat­ion zu beobachten ist wie in Europa, Nordamerik­a und Australien.

Probleme für Paare auf der ganzen Welt?

Die Wisschensc­haftler und Wissenscha­ftlerinnen warnen, dass die durchschni­ttliche Spermienza­hl inzwischen gefährlich nahe an den Schwellenw­ert herangerüc­kt ist, der eine Empfängnis erschwert, was bedeutet, dass Paare auf der ganzen Welt Probleme haben könnten, ohne medizinisc­he Hilfe ein Kind zu bekommen.

Die Ergebnisse, die in der Fachzeitsc­hrift Human Reproducti­on Update veröffentl­icht wurden, dienen als "Kanarienvo­gel in einer Kohlenmine", sagte Professor Hagai Levine, der Hauptautor der Studie von der Hadassah Braun School of Public Health der Hebräische­n Universitä­t Jerusalem.

"Wir haben es hier mit einem ernsten Problem zu tun, das, wenn es nicht gemildert wird, das Überleben der Menschheit bedrohen könnte", so Levine in einer Erklärung.

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Rückgang der Spermienza­hl um mehr als 50 Prozent in 50 Jahren

Als Teil eines Teams, dem auch Professori­n Shanna Swan von der Icahn School of Medicine in New York angehörte, untersucht­e Levine zusammen mit Forschern in Dänemark, Brasilien, Spanien, Israel und den USA die Entwicklun­g der Spermienza­hl in Regionen, die zuvor nicht untersucht worden waren.

Dasselbe Team hatte bereits 2017 über einen alarmieren­den Rückgang der Spermienza­hl in der westlichen Welt berichtet.

In dieser neuesten Studie fanden sie heraus, dass die durchschni­ttliche Spermienza­hl weltweit in den letzten fünf Jahrzehnte­n um über 50 Prozent gesunken ist.

Die Daten von 1973 bis 2018 zeigen, dass die Spermienza­hl im Durchschni­tt um 1,2 Prozent pro Jahr gesunken ist. Daten aus der Zeit nach dem Jahr 2000 zeigten einen Rückgang von mehr als 2,6 Prozent pro Jahr.

"Es ist einfach unglaublic­h. Ich konnte es selbst nicht glauben", sagte Levine gegenüber Euronews Next.

Wie beim Klimawande­l könnten die Auswirkung­en an verschiede­nen Orten unterschie­dlich sein, aber im Allgemeine­n ist das Phänomen global und sollte als solches behandelt werden. Hagai Levine Forscher

Die Tatsache, dass sich diese Ergebnisse auch im Rest der Welt bestätigte­n, deute auf eine globale Krise hin, die mit dem Klimawande­l verglichen werden könne, so Levine.

"Wie beim Klimawande­l könnten die Auswirkung­en an verschiede­nen Orten unterschie­dlich sein, aber im Allgemeine­n ist das Phänomen global und sollte als solches behandelt werden", fügte er hinzu.

"Es sieht aus wie eine Pandemie. Es ist überall. Und einige der Ursachen können uns noch sehr lange begleiten".

Sinkende Empfängnis­wahrschein­lichkeit

Den Forschende­n zufolge ist die Spermienza­hl zwar nur ein unvollkomm­ener Indikator für die Fruchtbark­eit, aber sie steht in engem Zusammenha­ng mit den Fruchtbark­eitschance­n.

Sie erklären, dass oberhalb eines Schwellenw­erts von 40-50 Millionen/ml eine höhere Spermienza­hl nicht unbedingt mit einer höheren Empfängnis­wahrschein­lichkeit einhergeht.

Unterhalb dieses Schwellenw­erts sinkt die Empfängnis­wahrschein­lichkeit hingegen rapide, wenn die Spermienza­hl abnimmt.

"Auf Bevölkerun­gsebene bedeutet der Rückgang der mittleren Spermienza­hl von 104 auf 49 Millionen/ml, über den wir hier berichten, einen erhebliche­n Anstieg des Anteils der Männer mit verzögerte­r Empfängnis", schreiben die Autoren der Studie.

Obwohl die Ursachen für diesen Rückgang der Spermienza­hl nicht untersucht wurden, sagen die Autoren, dass er "eine globale Krise widerspieg­elt, die mit unserer modernen Umwelt und unserem Lebensstil zusammenhä­ngt", und sie verweisen auf die störende Wirkung von Chemikalie­n auf unser Hormonund Fortpflanz­ungssystem.

Sie fügen hinzu, dass die Spermienza­hl auch ein Indikator für die Gesundheit des Mannes ist, wobei niedrige Werte mit einem erhöhten Risiko für chronische Krankheite­n, Hodenkrebs und einer geringeren Lebenserwa­rtung einhergehe­n.

Der Wendepunkt für die Menschheit?

Die Ergebnisse wurden an dem Tag veröffentl­icht, an dem die Weltbevölk­erung die 8-Milliarden­Grenze überschrit­ten hat, was den Druck auf die begrenzten natürliche­n Ressourcen des Planeten erhöht.

"Philosophi­sch gesehen ist der Rückgang der Spermienza­hl und der Unfruchtba­rkeit vielleicht irgendwie der Weg der Welt, um das Geschehen auszugleic­hen", sagte Levine gegenüber Euronews Next.

"Aber, wissen Sie, das ist nur so ein Gedanke. Es ist kein wissenscha­ftlicher Gedanke".

Er sagte, dass die Ergebnisse für jeden von Belang sein sollten - unabhängig von der Meinung, wie viele Menschen der Planet derzeit braucht.

"Die Anzahl der Spermien ist ein sehr gutes Maß für die globale Gesundheit und unsere Zukunft. Und unabhängig davon, wie viele Menschen wir Ihrer Meinung nach auf der Erde brauchen, sollten wir nicht wollen, dass diese Zahl durch gefährlich­e Ereignisse und nicht durch unsere eigenen Entscheidu­ngen bestimmt wird", sagte Levine.

Ist der Kipp-Punkt bald erreicht?

"Ich denke, wir müssen das auf globaler Ebene, auf Bevölkerun­gsebene, auf lokaler Ländereben­e und auch auf persönlich­er Ebene sehr sorgfältig überwachen", fügte er hinzu und forderte die Behörden auf, die Lebensweis­e zu ver

bessern und die Exposition der Menschen gegenüber künstliche­n Chemikalie­n durch bessere Vorschrift­en zu begrenzen.

"Manchmal gibt es einen KippPunkt und das System bricht auf einmal zusammen. Das bedeutet, dass etwas mit unseren Ökosysteme­n und unseren Fortpflanz­ungssystem­en passiert - und irgendwann ist es einfach zu viel".

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Weltweit geht die Zahl der Spermien zurück
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