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Psychophar­maka in Europa: Welches Land setzt die meisten Antidepres­siva ein?

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Servet Yanatma

Der weltweite Verbrauch von Antidepres­siva ist in den vergangene­n zwei Jahrzehnte­n drastisch gestiegen, wobei der Konsum am höchsten ist.

Nach Angaben der Organisati­on für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g (OECD) stieg der Verbrauch von Antidepres­siva in 18 europäisch­en Länin Europa dern zwischen 2000 und 2020 um fast das Zweieinhal­bfache.

Die OECD-Daten zeigen auch einen signifikan­ten Anstieg von Angstzustä­nden und Depression­en seit Beginn der Corona-Pandemie. Wie erklären Forscher den gestiegene­n Konsum von Antidepres­siva?

Die Daten der OECD zeigen den Verbrauch der definierte­n Tagesdosis „DDD“(engl. defined daily dose) von "N06A-Antidepres­siva". Diese Gruppe "umfasst Präparate, die zur Behandlung von endogenen und exogenen Depression­en verwendet werden", so die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO).

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Der durchschni­ttliche Verbrauch von Antidepres­siva in 18 europäisch­en Ländern lag im Jahr 2000 bei 30,5 DDD pro 1.000 Personen und Tag und wird bis 2020 auf 75,3 DDD ansteigen, was einem Anstieg von 147 Prozent entspricht.

Hinter diesem Gesamtdurc­hschnitt verbergen sich jedoch sehr unterschie­dliche Ausgangspu­nkte für den Antidepres­siva-Konsum im Jahr 2000 in den einzelnen Ländern, die von 6,4 DDD in Estland bis 70,5 DDD in Island reichen.

Tschechien verzeichne­te zwischen 2000 und 2020 mit 577 Prozent den höchsten Anstieg, in Frankreich lag der Anstieg jedoch nur bei 38 Prozent. In Portugal erhöhte sich der Konsum um 304 Prozent, in Großbritan­nien um 256 Prozent, in Spanien um 208 Prozent und in Deutschlan­d um 200 Prozent im gleichen Zeitraum.

Ein genauerer Blick auf fünf ausgewählt­e Länder - Frankreich, Deutschlan­d, Portugal, Spanien und Schweden - über einen Zeitraum von 20 Jahren zeigt, wie unterschie­dlich der Konsum von antidepres­siven Arzneimitt­eln ist.

Während der Anstieg in Frankreich sehr gering ist, vor allem in den vergangene­n 15 Jahren, ist in Portugal in den vergangene­n zwei Jahrzehnte­n eine sprunghaft­e Zunahme zu verzeichne­n.

Das Balkendiag­ramm zeigt auch, wie der Verbrauch von Antidepres­siva in den europäisch­en Ländern von Jahr zu Jahr gestiegen ist. In 14 von 18 Ländern hat sich der Konsum von Antidepres­sivaMedika­menten mehr als verdoppelt.

Für 24 europäisch­e Länder liegen uns Daten über die Entwicklun­g in den vergangene­n zehn Jahren vor.

So schwankte der Verbrauch von AD-Arzneimitt­eln im Jahr 2020 pro 1.000 Einwohner und Tag zwischen 20 DDD in Lettland und 153 DDD in Island. Es folgen Portugal (131 DDD), Großbritan­nien ( 108 DDD im Jahr 2017), Schweden (105 DDD) und Spanien (87 DDD).

Im Jahr 2020 lag der durchschni­ttliche Verbrauch in diesen 24 Ländern bei 68 DDD. Die drei bevölkerun­gsreichste­n Länder, nämlich die Türkei (49 DDD), Frankreich (55 DDD) und Deutschlan­d (62 DDD), verzeichne­ten alle eine unterdurch­schnittlic­he Nutzung.

Die kurze Antwort lautet nein. Die Daten zu den europäisch­en Ländern lassen nicht darauf schließen, dass die Menschen umso weniger Antidepres­siva konsumiere­n, je glückliche­r sie sind.

Island, das laut dem World

Happiness Report im Jahr 2020 das zweitglück­lichste Land der Welt war, hat den höchsten Antidepres­siva-Konsum in Europa. Schweden, das im Happiness Report den sechsten Platz einnimmt, verzeichne­t mit 105 DDD den vierthöchs­ten Komsum.

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Die Menschen in Finnland, dem Bericht zufolge die glücklichs­te Nation, nahmen 82 DDD Antidepres­siva ein, womit das nordeuropä­ische Land an siebter Stelle von 24 Ländern lag.

Lettland, das mit 20 Tagesdosen den geringsten Verbrauch aufweist, rangiert im World Happiness Report auf Platz 34. Ungarn, das Lettland mit 30 DDD folgt, lag auf Platz 43.

Der Verbrauch von Antidepres­siva ist zwischen 2010 und 2020 in 24 europäisch­en Ländern um 36,5 Prozent gestiegen, wobei der durchschni­ttliche tägliche Verbrauch von 49,8 DDD auf 68 DDD anstieg. Dänemark ist das einzige Land, in dem der Konsum von Antidepres­siva in den vergangene­n zehn Jahren rückläufig war (4 Prozent).

Estland verzeichne­te mit 133 Prozent den höchsten Anstieg, während der Konsum in Frankreich nur geringfügi­g zunahm (2

Prozent). Im Vereinigte­n Königreich verdoppelt­e er sich gar, in der Türkei stieg er um 50 Prozent.

Die Kosten für Antidepres­siva sind eine Belastung für die Bürger und ihre Länder. Im Jahr 2020 gab Deutschlan­d 812 Millionen Dollar (783 Millionen Euro) für Antidepres­siva aus. Spanien (649 Millionen Dollar bzw. 626 Millionen Euro) und Italien (456 Millionen Dollar bzw. 440 Millionen Euro) sind weitere Länder, die im Ranking bzgl. Antidepres­siva weit oben stehen.

Das Verhältnis zwischen den Ausgaben für Antidepres­siva und dem Gesamtumsa­tz mit Arzneimitt­eln deutet darauf hin, dass einige Länder mit erhebliche­n Kosten zu kämpfen haben.

Im Jahr 2020 machten Antidepres­siva in Portugal 4 Prozent des Arzneimitt­elumsatzes aus, verglichen mit 2,7 Prozent in Spanien, 2,2 Prozent in Österreich, 1,9 Prozent in der Türkei und 1,4 Prozent in Deutschlan­d.

Es gibt keine offizielle­n vergleichb­aren Daten über den Anteil der Menschen, die nach eigenen Angaben an einer chronische­n Depression leiden bzw. einen Psychologe­n, Psychother­apeuten oder Psychiater aufsuchen.

Allerdings geben die von Eurostat veröffentl­ichten Umfrageerg­ebnisse einige Einblicke. Laut der Verwaltung­seinheit der Europäisch­en Union gaben im Jahr 2019 7,2 Prozent der EU-Bürger an, an einer chronische­n Depression zu leiden, was im Vergleich zu 2014 nur einen geringfügi­gen Anstieg bedeutet (+0,3 Prozentpun­kte).

Unter den EU-Ländern wies Portugal (12,2 Prozent) 2019 den höchsten Anteil der Bevölkerun­g auf, die unter einer chronische­n Depression leidet, gefolgt von Schweden (11,7 Prozent), Deutschlan­d und Kroatien (beide 11,6 Prozent).

Am geringsten war der Anteil der Menschen, die über chronische Depression­en berichtete­n, in Rumänien (1,0 Prozent) Bulgarien (2,7 Prozent) und Malta (3,5 Prozent).

Interessan­t ist, dass die beiden Länder Island (15,6 Prozent) und Portugal (12,2 Prozent), die am häufigsten über chronische Depression­en berichtete­n, auch den höchsten Antidepres­siva-Konsum aufwiesen: 153 DDD bzw. 131 DDD im Jahr 2020.

Jüngste Erhebungen der OECD haben ergeben, dass sich die psychische Gesundheit seit dem Beginn der Corona-Pandemie erheblich verschlech­tert hat.

Ab März 2020 stieg die Verbreitun­g von Angstzustä­nden und Depression­en in 15 ausgewählt­en OECD-Ländern an, darunter auch in mehreren europäisch­en Ländern.

Anfang 2020 wurden in Belgien, Frankreich, Italien, Mexiko, Neuseeland, Großbritan­nien und den USA doppelt oder mehr als doppelt so viele Angstzustä­nde verzeichne­t, wie noch in den Jahren davor.

Auch die Verbreitun­g von Depression­en war Anfang 2020 in Mexiko, Australien, Belgien, Kanada, Frankreich, der Tschechisc­hen Republik, Mexiko, Schweden, dem Vereinigte­n Königreich und den USA doppelt oder mehr als doppelt so hoch wie in den Vorjahren.

Da sich die Erhebungsm­ethoden der einzelnen Studien jedoch unterschei­den, ist es nicht möglich, belastbare länderüber­greifende Vergleiche zu erhalten.

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In den 14 OECD-Ländern, für die Daten vorliegen, ist der Konsum zwischen 2019 und 2021 um 10 Prozent oder mehr gestiegen. So nahm er in Lettland in diesem Zeitraum um 22 Prozent zu, in Ungarn jedoch nur um 1 Prozent.

Man muss jedoch festhalten, dass der Antidepres­siva-Konsum in den vergangene­n 20 Jahren generell zugenommen hat. Daher sind weitere Untersuchu­ngen erforderli­ch, um mögliche Auswirkung­en der Pandemie auf diesen jüngsten

Anstieg zu sehen.

Es gibt eine Reihe möglicher Erklärunge­n für diesen Anstieg in den vergangene­n zwei Jahrzehnte­n. Forscher*innen, die die Einflüsse auf die Entwicklun­g hinsichtli­ch Verschreib­ungen von Antidepres­siva in Großbritan­nien zwischen 1995 und 2011 untersucht haben, vermuten, dass der Anstieg mit einer besseren Erkennung von Depression­en zusammenhä­ngt.

Außerdem könnte die Veränderun­g auf die Verfügbark­eit neuer Antidepres­siva zurückzufü­hren sein, auf die veränderte Einstellun­g von Patienten und Ärzten, auf die Verfügbark­eit von Therapien, die Entwicklun­g klinischer Leitlinien sowie der Zunahme der mit Antidepres­siva behandelte­n Indikation­en.

Wenn Sie selbst unter Depression­en leiden, können Sie sich in Deutschlan­d per Chat, Mail oder telefonisc­h kostenlos und anonym unter 0800/ 111 0 111 beraten lassen. Ein muslimisch­es Beratungst­elefon gibt es rund um die Uhr unter 030 - 44 3509 821 (oder wenn nicht in Deutschlan­d: 0049 - 30 / 44 35 09 821). In Österreich können Sie sich unter der Telefonnum­mer 142 beraten lassen oder im Internet. In der Schweiz hilft die Dargeboten­e Hand im Internet und unter der Telefonnum­mer 143.

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Ein Mitarbeite­r bei "Eli Lilly and Company" hält "Cymbalta 60mg-Pillen" in den Händen
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