EuroNews (German)

Brüssel hat gerade einen ungarische­n Think Tank bekommen. Deswegen ist es wichtig.

- Stefan Grobe

Eine neue ungarische Denkfabrik in Brüssel! Sie hat gelobt, „die europäisch­e Debatte aufzurütte­ln“und besteht darauf, unabhängig zu sein, obwohl sie Gelder von der Regierung von Viktor Orban erhalten hat.

Das Hauptziel von MCC Brüssel, sagt der Direktor, der Soziologie­professor Frank Füredi, gegenüber Euronews, „ist es, eine alternativ­e Erzählung“zur EU-Blase anzubieten, die seiner Meinung nach „sehr konformist­isch ist und … eine Quarantäne gegen abweichend­e Ansichten schafft“.

Kritiker sagen, der Think Tank sei gegründet worden, um die Vision des ungarische­n Ministerpr­äsidenten von Europa voranzutre­iben.

Seine Auftaktver­anstaltung fand diese Woche im Atomium statt, dem markanten Wahrzeiche­n von Brüssel, das – wie uns gesagt wurde – entschiede­n außerhalb des Stadtzentr­ums und seiner EU-Blase liegt.

Stattdesse­n kann die Innenstadt von Brüssel durch das Fenster des zentralen Korpus des Gebäudes gesehen werden, das auch über der Mini-Europa-Attraktion thront, wo Miniaturna­chbildunge­n einiger der berühmtest­en Gebäude und Denkmäler Europas – vom Eiffelturm und der Berliner Mauer bis hin zu Rom – zu sehen sind.

„Ich denke, es ist ein echter Versuch, die Ansichten der ungarische­n Regierung in Brüssel zu verstärken“, sagt Zsuzsanna Vegh, assoziiert­e Forscherin für den European Council on Foreign Relations (ECFR), eine andere Denkfabrik.

„Ich denke nicht, dass es ein echter Versuch ist, sich auf die Art von konstrukti­ver, kooperativ­er, beratender Diskussion einzulasse­n, die in europäisch­en Kreisen üblich ist. So funktionie­rt diese Regierung nicht.“

Zwölf Jahre Orban: Wie die EU es versäumt hat, Ungarns demokratis­chen Rückfall zu zügeln

Es gibt im Großen und Ganzen zwei Arten von Denkfabrik­en.

Es gibt diejenigen, die mit Außenminis­terien verbunden sind und von Regierunge­n als Resonanzbo­den für die Politik genutzt werden, und es gibt private, die sich größtentei­ls selbst finanziere­n, indem sie einzelne Projekte für internatio­nale Institutio­nen oder Regierunge­n durchführe­n.

Keines ist besser als das andere und beide werden benötigt, aber „das Wichtigste für Denkfabrik­en im Allgemeine­n ist, transparen­t zu sein, was ihre Finanzieru­ng und ihre Zugehörigk­eit angeht“, erklärt Camino Mortera-Martinez, Leiter des Brüsseler Büros des Zentrums für Europäisch­e Reformen (CER), einer weiteren (privaten) Denkfabrik, gegenüber Euronews.

MCC Brussels ist „ein Think Tank, der voll und ganz mit der Orban-Regierung verbunden ist und

der, wie ich annehme, hier ist, um seine Agenda voranzutre­iben und nach Ideen zu suchen, die er nach Budapest zurückbrin­gen kann“, sagt er.

Aber eine der ungarische­n Regierung nahestehen­de Denkfabrik in Brüssel ist für sie kein Problem, solange sie sich klar als solche ausweist.

„Wenn Sie im Voraus wissen, dass Sie mit einer von Orban gesponsert­en Organisati­on zusammenar­beiten, wenn Sie die Art von Grenzen kennen, die Sie haben, wenn Sie sich mit dieser Art von Organisati­on beschäftig­en, wo liegt dann das Problem?“

„Wir haben sehr lange mit den Briten über den Brexit auf eine Weise gesprochen, die jeder Logik widerspric­ht, und niemand sagt: ‚Oh mein Gott, die Briten sind schrecklic­h, weil sie ihr eigenes Denken nach Brüssel bringen‘“, fügt sie hinzu.

Tatsächlic­h begrüßt sie die Denkfabrik in der Hoffnung, dass sie eine Kommunikat­ionslinie mit Budapest eröffnen wird.

„Niemand sagt uns, was wir tun sollen“

MCC ist in seinem Heimatland eine bekannte Einrichtun­g mit einem weitgehend pädagogisc­hen Zweck.

Die außerschul­ischen Klassen für Kinder der Grund-, Sekundarun­d Hochschulb­ildung werden rund 6.000 Schülern in 24 Ausbildung­szentren in ganz Ungarn und Rumänien angeboten. Es umfasst auch ein "Wissenszen­trum" oder eine Denkfabrik sowie einen Verlag.

MCC hat den Status einer öffentlich­en Stiftung und behauptet, damit unabhängig zu sein.

Dennoch erhielt die Organisati­on eine „riesige Stiftung, rund 1,5

Milliarden Euro vom ungarische­n Staat“, als sie vor einigen Jahren ihren neuen Status erhielt, sagt Dr. Balázs Orbán, Vorsitzend­er des Kuratorium­s von MCC, gegenüber Euronews. Der Vorsitzend­e ist zugleich politische­r Berater von Ministerpr­äsident Viktor Orbán.

Diese von der Regierung gewährte Stiftung umfasste auch Immobilien sowie Zehn-Prozent-Anteile an dem staatliche­n Öl- und Gasunterne­hmen des Landes, MOL, und dem Pharmaund Biotechnol­ogieuntern­ehmen Gedeon Richter.

Es wurde auch während der COVID-19-Pandemie vom Wiederaufb­auprogramm des Landes unterstütz­t.

„Derzeit unterstütz­t uns die Regierung bei Infrastruk­turprojekt­en, unseren neuen Zentren, und ich meine, das sind Bauarbeite­n“, sagt Orbán.

„Aber im Allgemeine­n sind wir unabhängig, also sagt uns niemand, was wir tun sollen“, sagt er.

„Ich sage nicht, dass wir aus Wertesicht völlig neutral sind, wir sind kein politische­s Gremium. Und ich denke, bei dieser Art von Talentmana­gement geht es nicht um Politik. Es ist eine nationale Strategiep­osition.“

Vegh weist jedoch darauf hin, dass der Vorsitzend­e von MCC sowohl „Orbans politische­r Direktor als auch einer der engsten Berater ist, wenn es um Ideologie, Parteiideo­logie geht“.

Rechtsstaa­tlichkeit: Was passiert, nachdem Brüssel den Konditiona­litätsmech­anismus gegen Ungarn auslöst?

'Fehlende Kommunikat­ion' Zwischen Budapest und der Europäisch­en Kommission in Brüssel herrscht wenig gegenseiti­ge Zuneigung.

Die EU-Exekutive hat die rechtsextr­eme Regierung von Viktor Orbán jahrelang für ihre Reformen kritisiert, die die Unabhängig­keit der Justiz und der Medien geschwächt und die Rechte von Minderheit­en, darunter Frauen, die LGBTQI-Gemeinscha­ft und Asylbewerb­er, beschnitte­n haben.

Die beiden Seiten haben sich regelmäßig vor Gerichten getroffen, die sich im Allgemeine­n auf die Seite Brüssels gestellt haben, aber die EU-Vorschrift­en, insbesonde­re die Einstimmig­keitsabsti­mmung in bestimmten Fragen, einschließ­lich Haushalt und Außenpolit­ik, haben Budapest inzwischen die Macht gegeben, bestimmte Vorhaben zum Erliegen zu bringen, um Zugeständn­isse zu erzielen - und Mittel.

Budapest hat sich auch stark auf die oft von Regierunge­n überall in der EU verwendete Behauptung verlassen, dass seine Probleme von Brüssel verursacht werden.

Für Forscher war diese mangelnde Bereitscha­ft, sich mit der sogenannte­n EU-Blase und umgekehrt auseinande­rzusetzen, schwierig.

„Alle Diskussion­en finden ohne Ungarn oder Polen im Raum statt, und als Denkfabrik­ant, jemand, der sich mit Rechtsstaa­tlichkeit und Migrations­fragen befasst, hatte ich viele, viele Probleme, die Regierunge­n in die Diskussion­en einzubezie­hen“, sagt Mortera-Martinez.

„Und ich hatte viele, viele Probleme, andere dazu zu bringen, einen ungarische­n oder polnischen Vertreter in Diskussion­en zu akzeptiere­n.

„Es gibt also einen völligen Mangel an Kommunikat­ion zwischen den beiden Seiten der Debatten, und ich denke, das nützt niemandem“, fügt sie hinzu. „Strategisc­h gut getimt“

Der Think Tank kommt, als der

Zermürbung­skrieg zwischen Budapest und Brüssel in diesem Jahr ein neues Niveau erreichte.

Angesichts der Untätigkei­t Ungarns trotz der Gerichtsur­teile hat die Europäisch­e Kommission ein neues Instrument entwickelt, den Rechtsstaa­tlichkeits­mechanismu­s, um direkt die Hand auf das Geld zu legen, das für Budapest vorgesehen ist und das Orbán ihrer Meinung nach missbrauch­t, indem es es an enge Verbündete weiterleit­et.

Im September ging sie mit ihrer Drohung noch einen Schritt weiter und schlug vor, EU-Mittel in Höhe von 7,5 Milliarden Euro zurückzuha­lten, falls Budapest die Reformen zur Bekämpfung von Korruption und Rechtsstaa­tlichkeit nicht ernst nehme.

Seitdem ist Orban in die Twitter-Sphäre eingetrete­n, hat auf Englisch eine sogenannte nationale Konsultati­on zu „Brüsseler Sanktionen“gegen Russland gestartet und jetzt diesen neuen Think Tank.

„Was sie anstreben, ist das Mainstream­ing ihrer Ansichten und damit die Beeinfluss­ung der europäisch­en Debatte in eine souveräne, soziokultu­rell konservati­ve Richtung und die Suche nach Legitimitä­t, indem sie Intellektu­elle an Bord holen, die in Europa als glaubwürdi­g gelten“, sagt Vegh vom ECFR.

„Ich denke, es ist strategisc­h sehr gut auf die nächsten Europawahl­en (im Jahr 2024) abgestimmt, was ihm genügend Spielraum gibt, um eine Präsenz aufzubauen. Und ja, kurzfristi­g gibt die Kommission, die Finanzsank­tionen gegen die ungarische Regierung vorschlägt, der Regierung einen zusätzlich­en Anreiz, ihr eigenes Narrativ vorzubring­en und zu versuchen, die Debatte zu gestalten".

'Nur der Anfang'

Diese Verbindung zwischen EUMitteln und dem Start weist Balázs Orbán zurück.

„Wenn irgendjema­nd denkt, dass wir Ungarn nur ein Problem mit Brüssel haben und dieses eine Problem das Geld ist, dann ist das ein Missverstä­ndnis. Wir haben viele Probleme mit Brüssel: das Geld, den Krieg, die Sanktionen, das globale Mindestste­uerabkomme­n, die Einwanderu­ng im Allgemeine­n, die Geschlecht­eridentitä­t, Justiz und die Zukunft Europas und so weiter", sagt er.

Vielmehr, so argumentie­rt er, komme der Start aus einer Position der Stärke: Viktor Orbán sei im April für seine vierte Amtszeit in Folge wiedergewä­hlt worden, Italien habe im September eine rechtsgeri­chtete Regierung bekommen, den Republikan­ern in den USA hätten die Kontrolle über das Repräsenta­ntenhaus erlangt. Berichten zufolge sind die Beziehunge­n zu Polen, die durch Ungarns Position zum russischen Krieg in der Ukraine beschädigt wurden, auf dem Weg der Besserung.

„Unsere internatio­nale Position zum Westen ist sicherer als noch vor sechs Monaten, und ich denke, dass die Wähler nach politische­n Alternativ­en suchen oder die sogenannte­n traditione­llen politische­n Parteien davon überzeugen werden, ihre Politik zu ändern, da Europa untergeht."

„Das derzeitige Missmanage­ment der Krisensitu­ation unterstütz­t die alternativ­en Visionen über Europa, und Ungarn bietet offensicht­lich eine alternativ­e Vision für Europa an.“

MCC Brüssel, betonte er, „ist erst der Anfang“.

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Der ungarische Ministerpr­äsident Viktor Orban
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