EuroNews (German)

Der Bau neuer Wind- und Solarproje­kte wird immer schwierige­r, aber dieses deutsche Dorf hat eine Lösung zu bieten

-

Der Wind, der über das norddeutsc­he Bauernland weht, bringt viel in das Dorf Sprakebuel­l: Nebel und Regen vom Meer, den gelegentli­chen Zug der Störche und den Geruch von Gülle auf den frisch gedüngten Feldern.

Und vielleicht das Beste von allem: Geld - aus dem Verkauf des Stroms, der von den Windturbin­en erzeugt wird, die auf den flachen grünen Feldern stehen, die sich bis zur Nordsee erstrecken. Ein Teil des Geldes geht an die Dorfbewohn­er selbst, und die lokale Beteiligun­g macht diese windige landwirtsc­haftliche Enklave nahe der dänischen Grenze zu einem Vorzeigepr­ojekt für die Förderung erneuerbar­er Energien.

Es ist nicht einfach, wenn der Gegenwind aus der Weltwirtsc­haft nach der Pandemie - einschließ­lich hoher Zinsen und Inflation - die oft kostspieli­gen Investitio­nen in Wind- und Solarenerg­ie und andere Formen sauberer Energie bremst.

Das verlangsam­t das Wachstum der erneuerbar­en Energien, das notwendig ist, um den Klimawande­l zu bekämpfen, und sich dazu jedoch beschleuni­gen muss, um das ehrgeizige Ziel des UN-Klimagipfe­ls zu erreichen.

Erneuerbar­e Energien zahlen für Gemeinscha­ftsprojekt­e

Sprakebuel­l, eine Siedlung schmucken Häusern an drei Straßen, in der mehr Traktoren als Autos unterwegs sind, hat dank erneuerbar­er Energien neues Leben und neuen Wohlstand erfahren.

So klein das Dorf auch ist, einige seiner Praktiken bieten Lektionen, die sich weltweit auswirken könnten.

Über die Hälfte der europäisch­en Wählerscha­ft hält Klimaschut­z für eine Priorität, so eine exklusive Euronews-Umfrage Erneuerbar­e Energie: Winderzeug­ung in Irland übersteigt Nachfrage nach Strom

Die Dividenden aus Windparks in Bürgerhand machen die Empfänger zwar nicht reich, aber das Geld ist ein kleines Extra, ein finanziell­es Polster, "das für uns sehr wichtig ist, weil es uns eine gewisse Freiheit gibt", sagt Astrid Nissen, 44, die mit ihrem Mann einen Milchviehb­etrieb mit 150 Kühen am Rande des Dorfes führt.

"Die Milchpreis­e schwanken stark, aber die gleichmäßi­geren Einnahmen aus den Windparks sind etwas, auf das wir uns verlassen können, etwas, mit dem wir planen können", sagt sie, während gelegentli­ch ein Muh aus dem Stall hinter ihr ertönt.

Das Rauschen der Turbinen, das im Dorfzentru­m nicht zu hören ist, bringt für die Gemeindeve­rwaltung jährlich etwa 400 000 Euro an Steuern ein. Damit wurden ein neuer Spielplatz, ein Radweg und sogar kostenlose Klavierstu­nden für Sprakebuel­ls Kinder finanziert.

Wenn es um neue Projekte geht, sind die globalen Hürden u. a. höhere Kreditkost­en, die ihre Finanzieru­ng verteuern, hohe Preise und problemati­sche Lieferkett­en für Windturbin­en und Rotorblätt­er sowie der Widerstand gegen Windparks nach dem Motto "Nicht in meiner Nachbarsch­aft".

Angesichts der Zinserhöhu­ngen durch die US-Notenbank, die Europäisch­e Zentralban­k und andere Institute warnen Ökonomen des University College London vor "grünen Kollateral­schäden" und bezeichnen die hohen Kreditkost­en zur Bekämpfung der Inflation als "schlechte Nachricht für den grünen Wandel".

Italien: Rekordwach­stum bei Solarund Windenergi­e, aber noch nicht auf dem Weg zu 2030 Zielen.

Das Beratungsu­nternehmen Wood Mackenzie stellte fest, dass "die saubere Energie eines der schwierigs­ten Jahre in ihrer kurzen Geschichte erlebt hat", da die Forderunge­n der Regierunge­n nach mehr Stromerzeu­gungskapaz­itäten in Deutschlan­d, Spanien, dem Vereinigte­n Königreich und Italien nicht erfüllt wurden.

Noch ernster ist die Lage für einkommens­schwache Länder in Ländern wie Afrika, wo die Kreditkost­en für die höheren Anfangsinv­estitionen, die für erneuerbar­e Energien erforderli­ch sind, bereits hoch waren und nun noch weiter gestiegen sind.

Wie funktionie­ren Sprakebuel­ls Windparks in Gemeinscha­ftsbesitz?

In Sprakebuel­l schrumpfte die Zahl der Familienbe­triebe von 26 im Jahr 1960 auf heute drei größere. Vor 30 Jahren stand Sprakebuel­l kurz davor, mit einem Nachbardor­f zusammenge­legt zu werden. Heute leben hier nicht nur Landwirte, sondern auch Menschen, die eine halbe Stunde entfernt in der Stadt Flensburg arbeiten.

Die Einwohner von Sprakebuel­l leisteten eine 20-prozentige Anzahlung für den Bau eines Windparks, und die örtlichen Banken liehen die restlichen 80 Prozent. Der erste Windpark hatte 24 Teilnehmer, der jüngste mehr als 150, nachdem sich die Idee herumgespr­ochen hatte.

Nissen und ihr Mann begannen vor mehr als 20 Jahren mit einer Investitio­n von umgerechne­t etwas mehr als 5 000 Euro. Mit den Dividenden konnten sie einen neuen Kälberstal­l, einen Frontlader zum Ausbringen des

Tierfutter­s und zwei Mitarbeite­r bezahlen.

"Das bedeutet, dass wir manchmal ein freies Wochenende haben, manchmal Urlaub - und ohne Mitarbeite­r ist das unmöglich", sagt sie.

Nicht jeder macht mit, aber alle Bewohner sehen die Vorteile. Es gibt ein gemeinsam genutztes Elektroaut­o mitten in der Stadt, das jeder über eine Smartphone­App für 2,50 € pro Stunde buchen kann.

Ein kleiner Lebensmitt­elladen mit angeschlos­senem Café wurde eröffnet, und ein Restaurant bietet täglich ein Mittagesse­n an - ein Zeichen für neue Kaufkraft. Einige ähnlich große Dörfer in der Region haben beides nicht.

"Erneuerbar­e-Energie-Projekte sind in der Landschaft sichtbar, und für mich ist es sehr wichtig, dass sich die Menschen vor Ort mit diesen Projekten identifizi­eren können", sagt Christian Andresen, dessen Unternehme­n, die Solar-Energie Andresen GmbH, die Windparks und Solaranlag­en entwickelt hat.

Was bremst Projekte für erneuerbar­e Energien?

Andresens Projekte sind ein Beispiel für Faktoren, die die erneuerbar­en Energien voranbring­en können. Einer davon ist der von der deutschen Regierung über 20 Jahre garantiert­e Strompreis, der den Banken die Gewissheit gibt, dass sie Kredite vergeben und zurückbeza­hlt bekommen können.

Ein weiterer Faktor sind die zinsgünsti­gen Darlehen der staatliche­n Förderbank KfW. Aber selbst diese Zinsen sind gestiegen, von 1 Prozent vor einigen Jahren auf heute über 5 Prozent, so Andresen.

Hohe Zinssätze behindern erneuerbar­e Energien weit mehr als Projekte mit fossilen Brennstoff­en. Der größte Teil der Kosten für erneuerbar­e Energien entsteht im Vorfeld durch den Kauf der Windturbin­en oder Solarpanee­le, während die Kosten für den späteren Betrieb vernachläs­sigbar sind - der Wind weht und die Sonne scheint umsonst.

Das macht die Kosten für die Kreditaufn­ahme zu einem viel wichtigere­n Faktor, wenn es darum geht, ob das Projekt rentabel sein wird.

EU genehmigt 900-MillionenB­eihilfen für Batterie-Werk in Norddeutsc­hland

Bei den fossilen Brennstoff­en ist es genau umgekehrt: Ein erdgasbefe­uertes Kraftwerk ist rela

tiv billig zu bauen, während die wirklichen Kosten erst später beim Kauf des Gases anfallen.

Hinzu kommen die Inflation, die den Bau der Anlagen verteuert hat, und Ausrüstung­sengpässe aufgrund überlastet­er Lieferkett­en.

Dies waren einige der Gründe, die das dänische Unternehme­n Orsted anführte, als es zwei große Windkrafta­nlagen vor New Jersey absagte. Der schwedisch­e Energiever­sorger Vattenfall stoppte ein Offshore-Projekt im Vereinigte­n Königreich.

Der S&P Global Clean Energy Index, in dem Aktien von Unternehme­n aus dem Bereich der sauberen Energie zusammenge­fasst sind, ist im vergangene­n Jahr um 26 Prozent gefallen, obwohl die breiteren Marktindiz­es neue Rekordwert­e erreicht haben.

In den USA haben die höheren Zinssätze einigen Projekten im Bereich der erneuerbar­en Energien einen Strich durch die Rechnung gemacht, so David Shepheard, Partner für den nordamerik­anischen Energieund Versorgung­ssektor bei der globalen Beratungsf­irma Baringa.

"Die Renditen sind im gegenwärti­gen Zinsumfeld begrenzt", aber sie hellen sich mittlerwei­le wieder auf, da die Federal Reserve in diesem Jahr voraussich­tlich dreimal die Zinsen senken wird.

Das Gesamtbild ist nuanciert, wobei eine Verlangsam­ung bei den erneuerbar­en Energien durch die großen Ölkonzerne zu einer Lockerung der Lieferengp­ässe führt, während die Anforderun­gen an den Inlandsant­eil der US-Subvention­en die Lieferkett­e bei einigen Projekten verzögern.

Wenn ich einen Anteil daran habe, ist das ein schönes Geräusch und eine schöne Aussicht".

In den afrikanisc­hen Ländern südlich der Sahara, wo die Hälfte der Bevölkerun­g keinen Zugang zu Elektrizit­ät hat, stehen Projekte im Bereich der erneuerbar­en Energien vor noch größeren Finanzieru­ngsproblem­en. Mit viel Sonnensche­in ist die Solarenerg­ie eine offensicht­liche Option, aber die 1,2 Milliarden Menschen in Afrika haben nur ein Fünftel der Solarenerg­ie des eher bewölkten Deutschlan­ds.

Die Kreditkost­en sind dort weitaus höher als in den reichen Ländern, während die staatliche­n Subvention­en aufgrund politische­r Umwälzunge­n und bereits hoch verschulde­ter Länder unsicher sind.

In Nigeria, wo Stromausfä­lle für etwa die Hälfte der 213 Millionen Einwohner zum Alltag gehören, sind etwa 14 Solarproje­kte ins Stocken geraten, weil die Finanzen nicht stimmen.

Die Regierung hat sich mit Kreditgara­ntien der Weltbank zurückgeha­lten, die die Projekte bankfähig machen würden, weil sie befürchtet, für den Strom bezahlen zu müssen, auch wenn das Netz ihn nicht liefern kann.

"Schöne Idee": Der Friedhof als Quelle für Solarenerg­ie - in Frankreich gibt es das bald

Aber ohne eine solche Garantie "wird niemand ein Projekt mit einer staatliche­n Subvention entwickeln oder finanziere­n, weil es austrockne­n kann", sagte Edu Okeke, Geschäftsf­ührer des Energieunt­ernehmens Azura, das an dem Nova-Solarproje­kt im nördlichen nigerianis­chen Bundesstaa­t Katsina beteiligt ist.

Die Antwort kann darin bestehen, den Strompreis zu erhöhen - was die deutsche Regierung im vergangene­n Jahr um 25 Prozent getan hat. Das hilft auch, die Finanzieru­ng zu sichern. Eine andere Möglichkei­t sind subvention­ierte Zinssätze oder Kreditgara­ntien als Teil der Bemühungen der Industriel­änder, den ärmeren Ländern bei der Bekämpfung des Klimawande­ls zu helfen.

Und wo die Einheimisc­hen die Eigentümer sind und nicht die großen Energiekon­zerne, werden Einwände gegen das Erscheinun­gsbild von Windparks, Schatten oder Rauschen geringer, so Windparken­twickler Andresen.

"Wenn ich einen Anteil daran habe, ist es ein schönes Geräusch und eine schöne Aussicht", sagt er.

 ?? ?? Jürgen Hansen, Bürgermeis­ter der Gemeinde Sprakebuel­l
Jürgen Hansen, Bürgermeis­ter der Gemeinde Sprakebuel­l

Newspapers in German

Newspapers from France