Das Notenspiel der bösen Gene
La mélodie des tumeurs
Des chercheurs transposent certaines informations génétiques en son. Le travail de détective du médecin se transforme en mission d’acousticien. La mélodie d’une tumeur cancéreuse ou d’une protéine infectée pourrait nous renseigner sur l’implication d’un gène dans une pathologie.
Krebs, das ist für uns das Chaos im Körper. Ein gefährliches, monströses Wuchern. Tatsächlich sind viele Krebszellen zerstörerische Untermieter im eigenen Leib, destruktiv von Anfang an: Mutationen in den Genen, ob ererbt oder erworben durch den Kontakt mit krebserzeugenden Mitteln, bringen die Zellen auf die schiefe Bahn – bis sie sich am Ende, angestoßen oftmals durch eine epigenetische Fehlsteuerung, unkontrolliert vermehren. Ein schicksalhafter Prozess, ein molekularer Amoklauf. 2. Und doch ist es dieser zerstörerische Prozess, der inzwischen seine eigene Begleitmusik hervorbringt. In einigen Krebslaboren der Welt haben sich Wissenschaftler daran gemacht, die fatalen molekularen Vorgänge in den Krebszellen auf ungewöhnliche Art zu visualisieren – auf Notenblättern nämlich. Musiknoten, die am Ende als „Tumormusik“vertont und abspielbar sind.
VOM EPIGENOM ZUM MUSIKGENOM
3. „Ich verbinde damit die Hoffnung, dass die Epigenetik öffentlich endlich stärker wahrgenommen wird“, sagt David Brocks vom Deutschen Krebs for schungs-zentrum
2. inzwischen aujourd’hui / die Begleitmusik la musique de fond, d’accompagnement / hervorbringen produire / das Krebslabor(s/e) le laboratoire de recherche sur le cancer / sich daran machen, zu se mettre à / der Vorgang(¨e) le processus / auf ungewöhnliche Art de façon inhabituelle / das Notenblatt(¨er) la partition / nämlich à savoir / vertonen mettre en musique / abspielbar sein pouvoir être joué. 3. verbinden(a,u) associer / öffentlich par le public / wahr-nehmen percevoir / die Krebsforschung la recherche sur le cancer / in Heidelberg. Der 28jährige arbeitet gerade an seiner Doktorarbeit über Kreb-srisi-kofak-toren. Das Muster der epigenetischen Markierungen lässt Rückschlüsse darüber zu, wie gefährdet die Zellen sind, einen zellulären Amoklauf in den Krebs einzuleiten. Die Informationen, welche Gene aus- und angeschaltet sind, welche Gene zu wenig oder zu stark aktiviert sind, liefern dazu einen binären Code, den sich Brocks für sein Vertonungs-projekt zunutze gemacht hat.
4. Angefangen hat das Projekt mit einer flapsigen Bemerkung während einer Konferenzpause vor gut einem Jahr. Danach hat sich der Bioinformatiker zwei Wochen lang hingesetzt, sich mit der Programmierspra-
gerade en ce moment / die Doktorarbeit la thèse de doctorat / das Muster le modèle / die Markierung le marqueur / zu-lassen autoriser / der Rückschluss(¨e) la conclusion / gefährdet sein être menacé, en danger / ein-leiten déclencher / aus-schalten déconnecter / an-schalten connecter / liefern fournir / zunutze machen exploiter. 4. flapsig grossier, incongru / die Bemerkung la remarque / danach par la suite / sich hin-setzen s’asseoir /
Java vertraut gemacht, und einen eigenen siebenstelligen Code entwickelt, um den Grad der Methylierung von Genen zu kodieren und damit ein tonales Universum von bis zu 128 unterschiedlich kombinierbaren Noten zu schaffen.
5. Das Epigenom wird so zum Musikgenom. Im Falle des menschlichen Erbguts umfasst dies gut sieben Millionen Noten. In der Zeitschrift „Clinical Epigenetics“hat Brocks nun zudem demonstriert, wie völlig anders – melodisch gesehen – gesundes Prostatagewebe in seiner Computer-musikbox „klingt“,v erg lichen jedenfalls mit denfehlregu lier tenZel le ne in es Pros tatakreb s-Patienteno der mit„ na iven“S ta mmzell en.
VERÄNDERUNGEN IM ERBGUT SINNLICH ERFAHRBAR MACHEN
6. Für Brocks steht bei den akustischen Analysen allerdings die Melodie keineswegs im Vordergrund, auch nicht die Anwendbarkeit des Verfahrens im medizinischen Alltag. Er ist musikalisch weder hoch ambitioniert, noch beschäftigt ihn als Forscher der praktische Nutzen der Krebsmelodien. Ihn beschäftigt die Epigenetik selbst. Er sieht sich mit seinen musikalischen Genen auch eher in einer jungen wissen-schaftlichen Tradition. Eine, die sich vorgenommen hat, wichtige, fürs Auge aber leider kaum zu dechiffrierende Veränderungen im Erbgut möglichst plastisch darzustellen und damit sinnlich erfahrbar zu machen.
sich mit etw vertraut machen se familiariser avec qqch / siebenstellig à sept chiffres / entwickeln développer / der Grad le degré / die Methylierung la méthylation / damit partant / schaffen(u,a) créer. 5. im Falle + gén. dans le cas de / menschlich humain / das Erbgut le patrimoine génétique / umfassen comprendre / die Zeitschrift la revue / zudem de surcroît / das Prostatagewebe le tissu prostatique / klingen(a,u) sonner / verglichen mit par comparaison avec / jedenfalls en tout cas / fehlreguliert mal régulé / die Stammzelle la cellule souche. 6. im Vorgergrund stehen être prioritaire / keineswegs nullement / die Anwendbarkeit la possibilité d’application / das Verfahren le procédé / der Alltag le quotidien / jdn beschäftigen occuper, intéresser qqn / der Nutzen le profit, l’intérêt / sich etw vor-nehmen entreprendre qqch / leider malheureusement / möglichst plastisch le plus concrètement possible / dar-stellen représenter / sinnlich erfahrbar machen rendre perceptible par les sens. 7. Einer, der sich schon bald von den ersten Krebsmelodien inspirieren ließ, war Martin Staege. Der Genforscher spielt selbst Klavier und Spinett. Sein Ansatz allerdings, den er sich 2008 zusammen mit einem Göttinger Kollegen ausdachte, um die Erbkrankheit ALS zu studieren, war kein musikalischer, sondern ein wissen-schaft-licher. Die Zellen aus dem Blut von Patienten sollen musikalisch interpretiert werden. Ausgangspunkt sind bei ihm vor allem die Genex-pressions-profile der Krebszellen. Mit Hilfe von Genchips, den Microarrays, die sich dazu eignen, die Aktivität der einzelnen Gene exakt zu messen, werden klassis-cher-weise bunte Farbgrafiken, „Heat maps“, erzeugt. Je mehr RNA-Kopien von dem jeweiligen Gen erzeugt werden, desto aktiver das Gen und umso rötlicher die Karte. In Staeges Labor werden die Zahlenkolonnen, die von den Genchips erzeugt werden, nicht nur in neue Farben, sondern auch in Töne umgewandelt. Die Höhe und die Länge der Töne spiegelt dabei jeweils die Aktivität: Hohe lange Töne für stark hoch regulierte Gene, tiefe kurze Töne für eine schwache Genaktivität.
„TUMORMUSIK“
8. Die Hoffnung, dass man durch den Vergleich der Gen-Melodien die entscheidenden Unterschiede zwischen gesund und krank heraushören kann, hat sich bislang noch nicht erfüllt. „Zumindest kann man es derzeit als Hilfsinstrument für Sehgeche schädigte nehmen, um Unterschiede wahrnehmbar zu machen“, sagt Staege. Doch die Hoffnung auf einen stärkeren klinischen Nutzen gibt er nicht auf.
9. Momentan neigt der Hobbymusiker ohnehin dazu, die künstlerischen Aspekte und den Auf-merksam-keitswert der „musikalischen Gene“heraus-zustellen. Und auch wenn von Künstler-Profis leicht angezweifelt werden könnte, ob es sich bei seinen Gena-kustiks-tücken wirklich um Musik handelt – der „Kunst-charakter“der Vertonung sei durchaus zu erkennen: „Mit der Geninformation könnten beispielsweise ‚Modellmelodien‘ generiert werden, eine Art Klangstandard für das Humangenom, mit dem künftig auf Basis der Genprofile individuelle Melodien für jeden Menschen erzeugt werden könnten. Tatsächlich sind viele von Staeges vertonten Genprofilen inzwischen in öffentlichen Musik-Datenbanken wie dem „International Music Score Library Project“abges-peichert – und unter der Rubrik „Tumor-musik“gebüh-ren-frei abrufbar.
wahrnehmbar perceptible / auf-geben abandonner. 9. dazu neigen, zu tendre à / ohnehin de toute façon / künstlerisch artistique / der Aufmerk-samkeit-swert l’impact, l’intérêt / heraus-stellen mettre en évidence / der Künstler l’artiste / der Profi(e) le professionnel / etw an-zweifeln mettre qqch en doute / durchaus tout à fait / erkennen(a,a) reconnaître / der Klangstandard la norme musicale / künftig à l’avenir / inzwischen à présent / öffentlich public / die Datenbank la banque de données / abspeichern sauvegarder / gebührenfrei gratuit / abrufbar sein pouvoir être consulté.