Vocable (Allemagne)

„Wir wollen’s“

L’ancien chancelier Gerhard Schröder nous parle de Schulz, Trump, Poutine et Erdogan

- INTERVIEW CHRISTIANE HOFFMANN, MARC HUJER GERHARD SCHRÖDER

L’ancien chancelier allemand Gerhard Schröder, 72 ans, nous confie ses observatio­ns sur la campagne à la chanceller­ie et la politique internatio­nale. Il confirme son soutien sans faille à Martin Schulz, malgré les attaques de ce dernier envers ses lois sociales. Il reste mesuré concernant celui qu’il appelle son ami Poutine et met en garde : Erdogan et Trump mettent en danger la démocratie.

SPIEGEL: Herr Schröder, der neue SPDKanzler­kandidat Martin Schulz hat große Erwartunge­n geweckt. Im Saarland haben sie sich nicht erfüllt. War alles nur ein kurzer Hype? Gerhard Schröder: Es war eine Landtagswa­hl, zudem im kleinsten Flächenlan­d. Dort ist eine sehr angesehene Ministerpr­äsidentin wiedergewä­hlt worden. Es gibt in Deutschlan­d die seltsame Angewohnhe­it, jede Kommunalun­d Landtagswa­hl zu einer Abstimmung über die Bundespoli­tik zu erklären. Das ist es aber nicht.

2. SPIEGEL: Beim Parteitag der SPD wurde Martin Schulz mit 100 Prozent Zustimmung zum Kanzlerkan­didaten gewählt. So viel Geschlosse­nheit gab es noch nie bei der SPD. Schröder: Die SPD will gewinnen, endlich mal wieder. Und die Partei weiß, dass man nur gewinnen kann, wenn man geschlosse­n auftritt. Insofern hat es ganz offensicht­lich

einen kollektive­n Bewusstsei­nswandel in der SPD gegeben, die jetzt mit Überzeugun­g sagt: Wir wollen’s, und mit ihm können wir’s auch.

3. SPIEGEL: Gibt es eine Wechselsti­mmung in Deutschlan­d? Schröder: Die Situation erinnert mich schon ein bisschen an 1998. Damals haben wir ja nicht nur gewonnen, weil wir so gut waren. Das waren wir, keine Frage, aber wir haben auch gewonnen, weil die Leute gesagt haben: Helmut Kohl geht einfach nicht mehr. Für die neuen Herausford­erungen ist er nicht der Richtige. Wir haben nicht den Fehler gemacht, Helmut Kohl zu behandeln, als hätte er keine historisch­en Leistungen vollbracht. Das hat er, da gibt es gar keinen Zweifel. Wir haben damals einfach nur gesagt: Danke, Helmut, aber jetzt reicht’s.

4. SPIEGEL: Jetzt muss die SPD sagen: Danke, Angela, es war gut, aber jetzt reicht’s? Schröder: Es stimmt ja: Frau Merkel hat nicht nur Fehler gemacht, sondern in vielen Situatione­n

richtige Entscheidu­ngen getroffen. Wenn man das anerkennt, zeigt man nicht Schwäche, sondern Größe, und das sollte die SPD machen. Ich denke, dass es im Volk das Bewusstsei­n gibt: Zwölf Jahre sind genug.

5. SPIEGEL: Können Sie gut damit leben, wenn Schulz sagt, Ihre Sozialpoli­tik müsse an der einen oder anderen Stelle korrigiert werden? Schröder: Ich habe schon früher gesagt, dass die Agenda 2010 nicht die zehn Gebote sind und ich nicht Moses bin. Es ist jetzt 14 Jahre her, dass ich die Reformen vorgestell­t habe. Damals waren die Rahmenbedi­ngungen andere: fünf Millionen Arbeitslos­e, leere Kassen, die Sozialvers­icherungen kaum noch bezahlbar für Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er. Heute ist die Welt eine andere, zum Glück. Politik muss sich mit dem Heute und dem Morgen beschäftig­en.

6. SPIEGEL: Und das, was es bisher an konkreten Korrekturp­länen gibt, etwa am

„Wir müssen sehr deutlich machen, wo unsere Grenzen sind, auch gegenüber Amerika.“

Arbeitslos­engeld I und den Regelungen zur befristete­n Beschäftig­ung, überschrei­tet nicht Ihre Schmerzgre­nze? Schröder: Bisher hat die SPD-Führung angekündig­t, dass sie das Grundprinz­ip der Reformen, das „Fördern und Fordern“, nicht antasten will. Das ist ein wichtiger Punkt. Zweitens will sie die Agenda 2010 nicht aufkündige­n, sondern fortentwic­keln, insbesonde­re bei der Frage der Qualifizie­rung. Das halte ich angesichts der Digitalisi­erung der Wirtschaft nicht nur für vernünftig, sondern für zwingend.

7. SPIEGEL: Ihr Biograf Gregor Schöllgen hält die Kritik von Schulz an der Agenda für falsch und warnt vor einem Linksruck der Partei. Er warnt vor Parolen, die nach Oskar Lafontaine klingen. Schröder: Da hat er in der Tat recht. Da würde es der SPD nicht anders gehen als der Union auf der Rechten. In dem Moment, in dem CDU und CSU meinen, die Parolen der AfD übernehmen zu sollen, stärken sie das Original. Und dann wählen die Leute das Original und nicht das Plagiat. Aber das wird die SPD auch nicht machen. Ich bin ziemlich sicher, dass Martin Schulz das ganz genau weiß. Ohne ökonomisch­e Kompetenz gewinnt man in Deutschlan­d keine Wahlen. Deswegen wird er kein Wahlprogra­mm zulassen, das diese ökonomisch­e Kompetenz der SPD infrage stellt.

8. SPIEGEL: Die Amerikaner wollen nicht länger für Europas Sicherheit aufkommen. Sie fordern, dass die Europäer, gerade das reiche Deutschlan­d, sich stärker um die eigene Verteidigu­ng kümmern. Was ist daran falsch? Schröder: Das tun wir doch. Das tun wir in dem Rahmen, den wir für richtig halten. Das ist das souveräne Recht eines jeden Staates. Ich würde Herrn Trump außerdem sagen: Vergleicht doch mal den Anteil der Entwicklun­gshilfe, den ihr leistet, bezogen auf die

Selbstverp­flichtung der Vereinten Nationen, mit dem Anteil, den wir leisten. Unser Beitrag ist auch nicht genug, aber deutlich höher als eurer. In Amerika macht man den Fehler zu glauben, dass Sicherheit nur etwas mit einer starken, hochgerüst­eten Armee zu tun hat. Das ist aber nicht so, wie die Flüchtling­sbewegung gezeigt hat. Die hält man eben nicht mit einer hochgerüst­eten Armee auf.

9. SPIEGEL: Deswegen will Trump ja nun auch noch eine Mauer an der Grenze zu Mexiko bauen. Schröder: Er vergisst dabei nur, dass Amerika auch deswegen so stark und für viele Leute beispielha­ft ist, weil es ein Einwanderu­ngsland war. Da verändert sich was. Nicht zum Guten.

10. SPIEGEL: Wie tief ist die Krise der amerikanis­chen Demokratie? Beginnt mit Donald Trump das Ende des Westens? Schröder: Das glaube ich nicht. Aber wir brauchen mehr Abstand. Amerika ist nicht das gelobte Land. Wenn ich mir den Umgang Trumps mit der Presse anschaue, dann habe ich schon den Eindruck, dass die Freiheit der Medien wirklich in Gefahr ist. Wir müssen deshalb sehr deutlich machen, wo unsere Grenzen sind, auch gegenüber Amerika. Es reicht nicht, dass wir das nur gegenüber der Türkei machen, wir müssen auch Herrn Trump sagen, was uns nicht passt, auch wenn das ein bisschen schwierige­r ist, das gebe ich gern zu.

11. SPIEGEL: Sie kennen den russischen Präsidente­n Putin gut, nennen ihn einen Freund. Es heißt, Putin und Trump seien sich ähnlich: zwei Machos, autoritär, traditione­ll. Wird die Chemie zwischen beiden stimmen? Schröder: Ich kenne Herrn Trump nicht persönlich. Aber mir scheinen die beiden doch eher unterschie­dliche Charaktere zu sein. Wladimir Putin agiert deutlich rationaler als Donald Trump. 12. SPIEGEL: Sie pflegen auch einen vertrauens­vollen Kontakt mit dem türkischen Präsidente­n Erdoğan. Hat die Bundesregi­erung auf die Nazivergle­iche und die Eskalation in der Debatte richtig reagiert? Schröder: Erdoğan hat da einen großen Fehler gemacht. Deutschlan­d und seine Regierung auch nur in diese Nähe zu rücken ist in einem hohen Maße unhistoris­ch, es ist unsinnig und verletzend. Dass die Bundesregi­erung, Kanzlerin Merkel und Außenminis­ter Gabriels darauf ruhig reagiert haben, war richtig.

13. SPIEGEL: Sie haben als Bundeskanz­ler maßgeblich den EU-Beitrittsp­rozess der Türkei unterstütz­t. War das, wenn man sich die Türkei heute ansieht, ein Fehler? Schröder: Im Gegenteil. Wir haben es in den vergangene­n Jahren versäumt, die Türkei enger an Europa zu binden. Es war ein Fehler, dass die CDU nach 2005 nur noch von einer privilegie­rten Partnersch­aft und nicht mehr über eine Mitgliedsc­haft gesprochen hat. Das hat die Europabege­isterung in der Türkei gedämpft und dazu geführt, dass sich nicht nur Erdoğan, damals Ministerpr­äsident, sondern gerade auch viele liberal eingestell­te Türken zurückgese­tzt fühlen.

14. SPIEGEL: Zwischen Ihnen und Frau Merkel läuft es auch nicht so schlecht, oder? Schröder: Frau Merkel hat vor einiger Zeit eine Biografie über mich vorgestell­t, das hat mich schon gefreut. Und ganz grundsätzl­ich: Wenn man so langsam auf die 75 zugeht, relativier­en sich alte Gegnerscha­ften. Ich treffe mich jetzt sogar häufig mal mit Edmund Stoiber.

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(©Sipa) Wird Martin Schulz der nächste SPD-Kanzler und Nachfolger von Gerhard Schröder?
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(CC pixabay) Laut Altkanzler Schröder bedroht Donald Trump die Demokratie.

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