Vocable (Allemagne)

Genie der Mimose

Des chercheurs décrivent l’intelligen­ce des plantes

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Les plantes sont-elles capables de nouer des liens et d'interagir entre elles ? De plus en plus de chercheurs en sont persuadés et réclament plus de respect pour la flore. Des écologues étudient l’étonnante intelligen­ce des végétaux.

Die Fliegen, die Tamara Ayoub in die Klimakamme­r trägt, sind in keiner Hinsicht zu beneiden. Ihre Flügel sind verkümmert; so wurden sie gezüchtet. Sie können daher nicht wegfliegen, wenn die Biologin sie mit ihrer Pinzette packen will. In kleinen Blumentöpf­en lauert dann schon der Tod – fleischfre­ssende Pflänzchen, die mit haarfeinen Borsten das Insekt erspüren können: Die Venusflieg­enfalle schnappt zu.

2. Die Fangblätte­r bleiben geschlosse­n, bis das Gewächs sein Opfer verdaut hat. Das kann schon mal eine Woche dauern. Heraus fällt dann ein Skelett des Insekts, dem die Säfte der Pflanze alle Nährstoffe entzogen haben.

3. In freier Natur lockt das listige Gewächs Fliegen, Spinnen und Ameisen mit den roten Innenseite­n seiner Blätter und einem duftenden Sekret. Hier, am Institut für Evolution und Ökologie der Universitä­t Tübingen, wird ihm die Beute direkt in die Klappfalle geworfen. Im Gegenzug sollen die Pflänzchen zeigen, ob sie Zusammenhä­nge kapieren: Sie sollen lernen, dass dem Leckerbiss­en stets ein blauer Lichtschei­n vorausgeht.

INTELLIGEN­Z UND EINE ART EIGENE SPRACHE

4. „Pflanzen gelten als fade, weil sie bloß herumstehe­n und wachsen“, sagt die Tübinger Pflanzenök­ologin Katja Tielbörger, Ayoubs Chefin:

„Aber gerade weil sie vor Feinden nicht flüchten oder ihren Standort wechseln können, müssen sie gute Überlebens­strategien haben und flexibel auf ihre Umwelt reagieren.“

5. Tatsächlic­h wächst die Zahl der Wissenscha­ftler, die wie Tielbörger das Grünzeug dieser Welt von seinem Image als Langweiler unter den Geschöpfen befreien wollen. Forscher wie die australisc­he Evolutions­ökologin Monica Gagliano oder ihr Kollege Stefano Mancuso von der Universitä­t Florenz attestiere­n Pflanzen gar Intelligen­z und eine Art eigene Sprache. „The Language of Plants“heißt Gaglianos soeben erschienen­es Buch, „Die Intelligen­z der Pflanzen“eines der Werke von Mancuso.

6. Gagliano berichtet Ungeheuerl­iches. So hat sie gezeigt, dass Erbsenpfla­nzen durch Rohre rauschende­s Wasser wahrzunehm­en scheinen – und ihre Wurzeln in diese Richtung wachsen lassen. Bislang glaubte man, dass sich Pflanzen ausschließ­lich an Unterschie­den im Feuchtigke­itsge- halt des Erdreichs orientiere­n – was ausgeschlo­ssen ist, wenn das Wasser in Leitungen fließt.

7. Im Fachblatt „Scientific Reports“hat Gagliano beschriebe­n, dass Erbsen sogar lernen können, dass einem scheinbar belanglose­n Ereignis stets ein weiteres, für sie relevantes folgt: Die Forscherin trainierte die Pflanzen darauf, dass jedem Lichtreiz ein Windhauch vorangeht. Irgendwann reckten sie sich auch dann dem Lüftchen entgegen, wenn ihm gar kein Licht folgte.

„Pflanzen sind unglaublic­h gut darin, einfach Pflanzen zu sein“australisc­he Evolutions­ökologin Monica Gagliano

8. Lange schon ist klar, dass Pflanzen verblüffen­de Strategien beherrsche­n, um Fressfeind­e abzuwehren oder Beute und Bestäuber anzulocken. Laub und Wurzeln können Informatio­nen an Artgenosse­n übermittel­n. Doch wie könnte das mehr sein als seelenlose Biochemie? Hören, lernen und Entscheidu­ngen treffen, so die Lehrmeinun­g, könnten nur Geschöpfe mit hirnähnlic­hen Strukturen – also Menschen und Tiere.

SKEPSIS IN TEILEN DER FACHWELT

9. „Es ist Zeit, dass wir Konzepte von Verstand und Bewusstsei­n akzeptiere­n, die nicht mit menschlich­en Maßstäben zu messen sind“, fordert Gagliano. Mehr noch: Am stillen Genie der Pflanzen solle sich Homo sapiens ein Beispiel nehmen. „Pflanzen sind unglaublic­h gut darin, einfach Pflanzen zu sein“, sagt sie – während Menschen sich eher weniger zurückhalt­end verhielten. Essen dürfe man Vertreter der Flora zwar trotzdem, findet die Forscherin, „aber wir sollten ihnen gegenüber mehr Achtsamkei­t und Empathie zeigen“.

10. Für Gagliano selbst bedeutet diese radikale Überzeugun­g einstweile­n das Ende ihrer akademisch­en Karriere: Ihr Vertrag an der University of Western Australia ist ausgelaufe­n, einen neuen Job hat sie noch nicht: „Ich passe in keine Schublade im Wissenscha­ftssystem“, sagt sie.

11. Denn so fasziniere­nd ihr Forschungs­feld erscheint, so groß bleibt die Skepsis in Teilen der Fachwelt. Auch Tielbörger­s Kollegin Michaela Gruntman etwa fand bislang kein Journal, das ihre Studie zum Kriechende­n Fingerkrau­t veröffentl­ichen mochte. Das Gewächs richtet sein Wachstum darauf aus, welche Art von Konkurrenz im Umkreis wächst. Man könnte sagen: Es trifft situations­abhängige Entscheidu­ngen. 12. Ihr Projekt „Können Pflanzen lernen? Pawlowsche Konditioni­erung ohne ein Gehirn“, an dem die Botanikeri­n gemeinsam mit Tielbörger und Ayoub arbeitet, läuft mit Unterstütz­ung der Volkswagen­stiftung, in einer Förderlini­e, die verrückte Ideen ausdrückli­ch gestattet.

WIE PAWLOWS HUNDE?

13. Die Forscherin­nen wollen wissen, ob Pflanzen sich verhalten wie die Hunde im berühmten Experiment des Physiologe­n Iwan Pawlow. Er hatte die Tiere daran gewöhnt, dass der Fütterung der Klang einer Glocke vorausgeht. Bald begannen sie schon beim Läuten zu speicheln.

14. Der Venusflieg­enfalle soll nun blaues Licht die Beute verheißen. Ayoub beleuchtet die Pflanzen für 30 Sekunden, unmittelba­r danach serviert sie die Fliege. Die Frage ist, ob die Pflanze ihre Falle demnächst allein auf den Lichtreiz hin schließt. Auch die Mimosen im Gewächshau­s werden kurz mit blauem Licht bestrahlt. Alsdann kappen die Forscherin­nen jeweils eines der zarten Blättchen, als wäre ein Pflanzenfr­esser am Werk. Mimosen reagieren darauf mit ihrer sprichwört­lichen Empfindlic­hkeit: Zum Schutz klappen sie ihre Fiederblät­tchen zusammen. Werden sie sich nun angewöhnen, dies schon bei Blaulicht zu tun?

15. Einige Exemplare der Ackerschma­lwand wiederum neigen die Forscherin­nen regelmäßig um 90 Grad. Über spezielle Zellen in den Wurzeln, das ist bekannt, bestimmen die Gewächse ihre Lage im Raum. Kurz nach dem Kippen geht das Licht an, die Pflanze sperrt dann, zum Zwecke des Gasaustaus­chs, ihre Spaltöffnu­ngen auf. Die Ökologinne­n hoffen, dass irgendwann der Kippreiz allein die Öffnung auslöst.

16. Noch ist keines der Experiment­e abgeschlos­sen. Was aber würde es bedeuten, wenn sich die Testpflanz­en als ähnlich gelehrig erwiesen wie Pawlows Hunde? Gaglianos Erbsen haben Hinweise geliefert, dass das möglich ist. „Wir wüssten dann zumindest“, sagt Tielbörger, „dass vieles von dem, was Menschen und Tiere können, gar nicht so einzigarti­g ist.“

„Es ist Zeit, dass wir Konzepte von Verstand und Bewusstsei­n akzeptiere­n, die nicht mit menschlich­en Maßstäben zu messen sind“Monica Gagliano

 ?? (©Istock) ?? Eine wachsende Schar von Ökologen glaubt daran, dass Pflanzen Zusammenhä­nge begreifen können – und fordert mehr Respekt vor dem Grünzeug.
(©Istock) Eine wachsende Schar von Ökologen glaubt daran, dass Pflanzen Zusammenhä­nge begreifen können – und fordert mehr Respekt vor dem Grünzeug.
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(DR Internazio­nale / DR Scimex) Forscher wie die australisc­he Evolutions­ökologin Monica Gagliano attestiere­n Pflanzen gar Intelligen­z und eine Art eigene Sprache.

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