Vocable (Allemagne)

Frankreich­s grenzenlos­e Literatur

Littératur­e française sans frontières

- VON SANDRA KEGEL

Le français invité d’honneur de la Foire internatio­nale du livre de Francfort.

Cette année, la Foire du livre de Francfort accueille son voisin français comme pays invité d’honneur. Mais la France a décidé d’étendre l’invitation à tous les auteurs écrivant dans la langue de Molière. Venus du Canada, d’Inde, d’Algérie et d’ailleurs, ils porteront haut les couleurs du français, du 11 au 15 octobre à Francfort.

Unter den vierzig Mitglieder­n der Akademie ist er der einzige Farbige; und nach dem 2001 verstorben­en Senegalese­n Léopold Sédar Senghor überhaupt erst derzwei te in der fa stfünfh un dertjährig en Historie derGesells ch aft.Darauf aber will Dany Laferrière sich nicht reduzieren lassen, sondern als französisc­her Schriftste­ller gelesen werden, nicht als Autor einer bestimmten Hautfarbe, auch wenn seine

Bücher nicht zu trennen sind von der wechselvol­len Geschichte Haitis, jenem Land, das nach seinem Unabhängig­keitskampf gegen Napoleon 1804 die erste schwarze Republik der Welt gründete.

2. Nicht zuletzt aufgrund der kolonialen Vergangenh­eit wird die Literatur Frankreich­s maßgeblich von den Rändern beeinfluss­t, durch Autoren wie Laferrière oder Patrick Chamoiseau, Amin Maalouf oder Boualem Sansal. Der Literaturb­etrieb aber ist trotzdem die längste Zeit eine geschlosse­ne Veranstalt­ung in Saint-Germain-des-Prés geblieben, wie der kongolesis­che Autor Alain Mabanckou nicht müde wird zu kritisiere­n. Auch deshalb war Laferrière­s Berufung in die Akademie das späte Signal einer längst überfällig­en Öffnung. Vom Triumph der Sprache über die Nationalit­ät sprach damals die Historiker­in und ständige Sekretärin Hélène

Carrère d’Encausse, die Heimat nicht zwischen Landesgren­zen, sondern in der Sprache verortete.

DER GAST ALS GASTGEBER

3. Daran muss Paul de Sinety gedacht haben, als er, noch von Präsident Hollande, dazu bestimmt wurde, den französisc­hen Gastlandau­ftritt der diesjährig­en Frankfurte­r Bu ch messezuent­werf en. Denn der Litera turwis sens ch aftler un de hem aligeKul turbeauftr­ag te an der Botschaft in Marokk oh at die Einladung aus Frankfurt zum Anlass genommen, um seinerseit­s eine Einladung auszusprec­hen. Und so wird sich nicht etwa das litera ris cheFrankre­i ch auf der Frank fur te rMessepräs entier en, sonderndie fr anzö si schsp ra chigeWelt der Litera tur.Da mit hat Si net yd as national st aatlic han gelege ne Gastlandko­nzept so charmant wie subversiv unterwande­rt. Gemäß dem französisc­hen Wort „hôte“, das sowohl Gast als auch Gastgeber bedeutet, versteht sich der Eingeladen­e seinerseit­s als Einladende­r.

4. Eine Sprache könne man nicht besitzen, meinte schon Derrida, schon gar nicht eine Nation. Und so wie Französisc­h in mehr als achtzig Nationen von mehr als 220 Millionen Menschen gesprochen wird, ob als Mutteroder Wahlsprach­e, stammt eine Vielzahl der 134 Autorinnen und Autoren der Messedeleg­ation nicht aus Frankreich, sondern aus der Schweiz und aus Luxemburg, aus Kanada und Algerien, aus Haiti, Kongo, aus Iran, Kambodscha, Indien – insgesamt sechzehn Nationen werden im französisc­hen Pavillon vertreten sein. 5. Alain Mabanckou hatte unlängst auf einer Frankfurte­r Tagung erläutert, warum er sich nicht mit Frankreich, wohl aber mit der Freiheit identifizi­ere, die ihm die französisc­he Sprache eröffnet habe. Sie habe ihn gelehrt, „nein“zu sagen. Für eine Sprache brauche man keinen Pass und keinen Grenzüberg­ang, „man kann auch illegal eintreten“. Für den Autor und Lehrer am renommiert­en Collège de France, der ebenfalls zum Messe-Team gehört, kann die französisc­he Literatur deshalb auch gar nicht dankbar genug sein für die Verse, die Schriftste­ller aus anderen Regionen in das regelverse­ssene literarisc­he Frankreich einschmugg­elten. Wo die Franzosen nur Synonyme hätten, brächten sie den Lärm und die Bilder der afrikanisc­hen Sprachen mit.

6. Die kulturelle Vielfalt aus der Vorstellun­g einer bewegliche­n Sprache, die selbst zum Schauplatz von Migration wird, wollen die Initiatore­n nicht zuletzt als Gegenentwu­rf zum dominieren­den angelsächs­ischen Modell verstanden wissen. Vielfalt zeigt sich zum einen in der Ausrichtun­g der französisc­hen Literatur selbst, die zurzeit so stark im Wandel begriffen ist wie die Gesellscha­ft des Landes auch. Die Autoren wenden sich ab von

der einst so dominieren­den Innerlichk­eit zugunsten einer Welthaltig­keit und eines Blicks auf die äußere Wirklichke­it, der oft ins Politische geht. Das beginnt mit Tabubrüche­n, etwa wenn Jérôme Ferrari den lange verschwieg­enen Algerien-Krieg zum Thema seiner Romane macht, und geht über eine epische Erzählung wie „Kompass“, in der Mathias Énard das wechselsei­tige Beziehungs­geflecht zwischen Orient und Okzident erforscht, bis zu den historisch­en Miniaturen Eric Vuillards, der anhand seiner Betrachtun­gen des Sturms auf die Bastille oder Buffalo Bills Erfindung des Wilden Westens immer auch von unserer Gegenwart erzählt.

POLYPHONIE DER STIMMEN

7. Vor allem bedeutet die Polyphonie der Stimmen, die nicht aus Paris, Lyon oder Marseille stammen, sondern aus Regionen jenseits von Frankreich, eine einzigarti­ge Vielfalt. Unter den mehr als tausend aktuellen Neuüberset­zungen sowie unter den Autoren, die zur Messe anreisen, sind es vor allem sie, die Interesse wecken: Kamel Daoud aus Algerien, Shumona Sinha aus Indien, Leila Slimani aus Marokko, Nancy Houston aus Kanada. Die 1981 in Rabat geborene Slimani lebt seit fünfzehn Jahren in Paris und bekam für ihren Roman „Chanson douce“2016 den Prix Goncourt. Im August erschien ihre verstörend­e Schauerges­chichte über falsch verstanden­e Emanzipati­on und Entfremdun­g im Pariser Bürgertum unter dem Titel „Dann schlaf auch Du“bei Luchterhan­d auf Deutsch. Die in Kalkutta groß gewordene Shumona Sinha, deren Roman „Erschlagt die Armen!“über die Unlebbarke­it des Asylsystem­s bei Nautilus auf Deutsch vorliegt, löst mit dem Erscheinen ihres Buchs noch größeres Aufsehen aus.

8. Die Vierundvie­rzigjährig­e ist dabei nicht die einzige unter den Autoren der Delegation, für die Französisc­h nicht die Mutterspra­che, sondern Langue préférée ist. Auch die aus Iran stammende Drehbuchau­torin Négar Djavadi hat mit „Désorienta­le“ein Romandebüt geschriebe­n, das die traumatisc­he Flucht ihrer Familie aus Teheran während der islamische­n Revolution auf Französisc­h erzählt.

9. Djavadi und Sinha stehen freilich in einer langen Tradition von Autoren wie Casanova, Beckett, Ionesco oder Kundera, die als Ausländer ebenfalls das Französisc­he zu ihrer literarisc­hen Wahlheimat erklärten. Das Zwiespälti­ge solcher Lebensents­cheidungen wird denn auch weniger von ihnen als von Autoren der sogenannte­n Frankophon­ie reflektier­t. Denn sie haben sich die Sprache nicht ausgesucht, sondern sie ist das Erbe einer aufgezwung­enen Macht. Für den in Graz lehrenden Kongolesen Fiston Mwanza Mujila etwa ist die Sprache der ehemaligen belgischen Kolonialhe­rren noch immer mit Macht verknüpft. Anderersei­ts hat der 1981 in Lubumbashi geborene Autor über das Französisc­he die Literatur für sich entdeckt. In seinem vor wenigen Monaten auch auf Deutsch erschienen­en Debüt „Tram 83“hat er die Sprache der einstigen Unterdrück­er in ein Instrument der Emanzipati­on umgemünzt.

10. Für andere wird die andere Sprache zu einer Möglichkei­t, vor sich selbst zu fliehen, oder auch zu einem Filter, um durch eine fremde Perspektiv­e der Welt tiefer nachspüren zu können. Für aufregende Bücher sind das nicht die schlechtes­ten Voraussetz­ungen.

Für eine Sprache brauche man keinen Pass und keinen Grenzüberg­ang, man kann auch illegal eintreten.

 ?? (©Fanny Dion) (©Public Senat) ?? Nancy Houston aus Kanada Leila Slimani aus Marokko
(©Fanny Dion) (©Public Senat) Nancy Houston aus Kanada Leila Slimani aus Marokko
 ?? (DR) ?? Kamel Daoud aus Algerien
(DR) Kamel Daoud aus Algerien
 ?? (©Patrice Normand) ?? Shumona Sinha aus Indien
(©Patrice Normand) Shumona Sinha aus Indien
 ?? (©Frankfurte­r Buchmesse) ?? Frankreich stellt das staatlich angelegte Gastlandko­nzept der Buchmesse auf den Kopf.
(©Frankfurte­r Buchmesse) Frankreich stellt das staatlich angelegte Gastlandko­nzept der Buchmesse auf den Kopf.
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in French

Newspapers from France