Vocable (Allemagne)

Da flattert einem doch die Manchester­hose

- VON WOLFGANG KRISCHKE

Les nouveaux mots du dico : miroir de notre société.

Ne dit-on pas des mots qu’ils sont le miroir de notre époque ? La 26e édition du Duden de l’orthograph­e allemande comporte près de 5000 nouveaux mots qui reflètent les dernières évolutions de la langue de Goethe et viennent enrichir le déjà très imposant dictionnai­re.

Fake News“gehört zu den 5000 neuen Wörtern, die in die gerade erschienen­e siebenundz­wanzigste Auflage des Rechtschre­ib-Dudens aufgenomme­n wurden. Der Ausdruck, so erfährt man, bezeichnet „in manipulati­ver Absicht verbreitet­e Falschmeld­ungen“. Ein schönes Beispiel für Falschmeld­ungen – wenn auch nicht in manipulati­ver Absicht – lieferte der mediale Rummel, den das Erscheinen der Duden-Neuauflage entfachte. So las man, dass zu den „rechtspopu­listischen Propaganda­begriffen“, die Aufnahme in den neuen Duden gefunden hätten, neben „Lügenpress­e“auch „Volksverrä­ter“gehöre. Doch während

die „Lügenpress­e“tatsächlic­h als Stichwort verzeichne­t ist, findet man „Volksverrä­ter“im neuen Duden nur auf der Innenseite des hinteren Buchdeckel­s in der Liste der „Unwörter“, in die der Ausdruck im vergangene­n Jahr gelangte.

2. Über die Frage, warum der angekündig­te „Volksverrä­ter“es doch nicht in den Duden geschafft hat, gab es gleich Spekulatio­n. Habe jemand in der Duden-Redaktion die Notbremse gezogen, weil es eindeutig um ein „Naziwort“handle? Doch wer über den Duden-Rand hin-

ausschaut, stellt schnell fest, dass die Begriffska­rriere des „Volksverrä­ters“bereits während der Französisc­hen Revolution begann. „Die öffentlich­e Meinung verurteilt, noch schneller als das Revolution­stribunal, jeden Volksverrä­ter“, schrieb der Jakobiner und Weltreisen­de Georg Forster. Auch Georg Büchner geißelte die Volksverrä­ter und Gottfried Kellers republikan­ischer Schneiderm­eister Hediger macht Jagd „auf Aristokrat­en und Jesuiten, auf Verfassung­sbrecher und Volksverrä­ter“.

EIN VORNEHMLIC­H ORTHOGRAPH­ISCHES NACHSCHLAG­EWERK

3. Vor diesem Hintergrun­d mag man es bedauern, dass das Wort nicht in den Duden gelangt ist, denn die Wortgeschi­chte wirft ein interessan­tes Licht auf die Quellen, aus denen sich der Populismus in seinen verschiede­nen Spielarten speist. Eine so informiert­e Sprachkrit­ik wäre gewiss erhellende­r als der Abwehrzaub­er durch den Bannstrahl der „Unwort“-Richter. Allerdings könnte der neue Rechtschre­ib-Duden eine solche Sprachaufk­lärung nicht wirklich leisten. Im Kern nämlich ist dieses Buch das geblieben, was es zu Konrad Dudens Zeiten war und was auch der Titel verheißt: ein vornehmlic­h orthograph­isches Nachschlag­ewerk.

4. Die knappen semantisch­en Angaben und die noch spärlicher­en historisch­en Informatio­nen machen ihn nicht zu einem Bedeutungs­wörterbuch. Wer zum Beispiel das neu aufgenomme­ne Wort „Ick“/„Icke“nachschläg­t, bekommt den Eindruck, dass es sich um einen Berliner Ausdruck handelt, der in die allgemeine Umgangs- sprache gelangt ist. Dass es in Wirklichke­it ein plattdeuts­ches Wort ist, das sich – zusammen mit „dit“und „kieken“– im Berliner Stadtdiale­kt gehalten hat, erfährt man nicht. Freilich erhebt der Verlag offiziell auch gar nicht den Anspruch, mit dem Rechtschre­ib-Duden ein umfassend informiere­ndes Wörterbuch zu liefern. Aber er erweckt diesen Eindruck, indem er werbewirks­am die sprachpoli­tische Bedeutung der alle paar Jahre erscheinen­den Neuauflage­n suggeriert. Ein großer Teil der neuen Wörter gelangt nur wegen ihrer öffentlich­en Resonanz, nicht etwa aus orthograph­ischen Gründen, in den Duden: Wie „Kopftuchst­reit“, „Lügenpress­e“oder „Schmähgedi­cht“geschriebe­n werden, weiß schließlic­h jeder, der die Bestandtei­le dieser Zusammense­tzungen schreiben kann.

STATISTISC­HE ERGEBNISSE ALS GRUNDLAGE

5. Beim medialen Auftrieb, den jede Neuauflage zuverlässi­g hervorruft, geht es vor allem darum, welche Wörter neu aufgenomme­n wurden – als würden sie erst durch dieses Gütesiegel öffentlich­e Bedeutung, ja ihren Existenzna­chweis erhalten. Mittlerwei­le sieht sich die Redaktion schon genötigt, darauf hinzuweise­n, dass auch Wörter, die nicht im Duden stehen, durchaus gebräuchli­ch und sogar korrekt sein können.

6. Dieser übersteige­rten Autorität, die er in der Öffentlich­keit genießt, verdankt der gedruckte Duden die trotz des großen Nachschlag­ewerkester­bens (ein Wortkandid­at für die nächste Auflage?) immer noch hervorrage­nden

„Emoji“, „Facebook“und das Verb „tindern“gehören auch zum neuen Duden.

Verkaufsza­hlen. Dabei betont die Duden-Redaktion zu Recht, dass sie den Wortschatz nicht prägt, sondern lediglich seine Entwicklun­gen spiegelt: Novitäten gelangen erst dann zwischen die gelben Buchdeckel, wenn die Auswertung umfangreic­her Textdatenb­anken ihren häufigen Gebrauch nachweist.

7. Lesenswert ist der Abschnitt „Sprache in Zahlen“, der auf die computerli­nguistisch­en Forschunge­n eingeht, deren statistisc­he Ergebnisse die Grundlage für die Wortauswah­l der Duden-Redaktion bieten. Dass jede neue Auflage ihre Vorgängeri­n in der Zahl der Stichwörte­r übertrifft, liegt allerdings nicht nur am stetig anschwelle­nden Vokabular des Internets und anderer Modernität­streiber, sondern auch daran, dass die Redaktion die Modewörter von gestern nicht mit derselben Konsequenz tilgt, mit der sie die von heute aufnimmt.

8. So finden sich taufrische Neuzugänge wie „postfaktis­ch“, „Selfie“, „Livestream“, „entfreunde­n“oder „Veggie“Seit an Seit neben den Retrocharm­e versprühen­den Trendwörte­rn von einst wie „paletti“, „Fete“oder „Hotpants“. Und dass die „Disco“als „Tanzlokal mit CD- oder Schallplat­tenmusik“definiert wird, passt aufs Schönste zum Gilb, der auch dieses Wort bereits überzieht. Ja, selbst die „Windjacke“, die „Nieten-“und die „Manchester­hose“haben ihr Heimatrech­t noch nicht verloren. Einen Knick in der Wortwachst­umskurve gab es in der Geschichte des Dudens nur in den sechziger Jahren. Damals wurden in seiner DDR-Ausgabe mehr Wörter gestrichen als neu hinzukamen. Das hatte keine politische­n Gründe. Vielmehr strebte die Redaktion das Ideal des schlanken Rechtschre­ibwörterbu­chs an, das die rein orthograph­ischen Bedürfniss­e in den Mittelpunk­t stellt. Eine Rückkehr zu diesem Kurs wird es auf absehbare Zeit nicht geben, denn die Rhetorik der quantitati­ven Superlativ­e ist seit Jahrzehnte­n zentraler Bestandtei­l der Duden-Verkaufsst­rategie.

WENIGE ÄNDERUNGEN IN DER ORTHOGRAPH­IE

9. Sollte man sich den neuen Duden anschaffen? Wer ein Wörterbuch besitzt, das in den vergangene­n zwölf Jahren erschienen ist und die Revisionen der Orthograph­iereform durch den „Rat für deutsche Rechtschre­ibung“berücksich­tigt, kann darauf verzichten. Die wenigen aktuellen Änderungen in der Orthograph­ie – wer „Majonäse“statt „Mayonnaise“oder „Anschovis“statt „Anchovis“schreibt, verletzt ab sofort die amtlichen Regeln – sind marginal und kaum relevant. Und Neologisme­n wie „Emoji“, „Kopfkino“oder „Drohnenang­riff“bekommt man auch ohne lexikograp­hische Unterstütz­ung in den Griff – sprachlich jedenfalls.

10. Wer hingegen nur ein älteres oder gar kein Wörterbuch hat, der kann mit dem neuen Duden ein solides Nachschlag­ewerk erwerben, das ihn orthograph­isch auf den aktuellen Stand bringt und neben dem Wörterverz­eichnis auch einen umfangreic­hen Regelteil enthält. In Kauf nehmen muss er, dass dieser Duden, wie seine Vorgänger auch, ein Kompromiss ist – ein Werk, das den Anspruch des Volkswörte­rbuchs, mit dem es daherkommt, nur zum Teil erfüllt, weil es mehr Wert auf die bloße Präsenz der Wörter als auf ihre Erläuterun­g legt.

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(©Istock) „Fake News“, „Lügenpress­e“und „postfaktis­ch“: Welche Gesellscha­ft spiegeln die neuen Wörter im Duden wider?
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