Vocable (Allemagne)

Der fernöstlic­he Diwan

Dans « Les Morts », Christian Kracht conjugue les fascismes allemand et japonais à travers le cinéma

- VON FELIX STEPHAN

Le cinéma, c’est la guerre avec d’autres moyens : dans le nouveau roman de Chritsian Kracht « Les Morts », les fascismes allemand et japonais s’unissent contre la domination mondiale d’Hollywood. Un cinéaste suisse est envoyé au pays du Soleil Levant pour tourner un film de propagande à la gloire de l’Allemagne nazie et de ses alliés. Mais rien ne se passera comme prévu...

Zu den Besonderhe­iten von Christian Krachts neuem Roman „Die Toten“gehört unter anderem diese hier: Die Erzählung folgt der dramaturgi­schen Struktur des japanische­n No-Theaters. Was das bedeutet, erklären die Figuren selbst: „Das Essentiell­e am No-Theater sei das Konzept des jo-ha-kiū, welches besagt, das Tempo der Ereignisse solle im ersten Akt, dem jo, langsam und verheißung­svoll beginnen, sich dann im nächsten Akt, dem ha, beschleuni­gen, um am Ende, dem kiū, kurzerhand und möglichst zügig zum Höhepunkt zu kommen.“ Und diese Regeln hält der Roman auch mustergült­ig ein.

2. Im ersten Teil werden die beiden Protagonis­ten, der Schweizer Regisseur Emil Nägeli und der japanische Ministeria­lbeamte

Masahiko Amakasu ausgiebig anhand von Kindheitse­rlebnissen und Mikro-Traumata in Position gebracht. Im zweiten Teil werden sie mitten in die politische­n Tumulte ihrer Zeit geworfen, den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunder­ts. Und im dritten Teil werden sie schließlic­h so zügig wieder abgeräumt, als würde jemand mit der offenen Hand über ein Schachbret­t wischen.

3. Christian Kracht war nie ein Popliterat oder gar ein rechter Autor, sondern stets in erster Linie ein appropriat­ion artist. In diesem Sinne ist „Die Toten“sein bislang unabhängig­ster Roman. Er variiert kein Vorbild mehr, sondern steht auf eigenen Füßen. Er steckt sein Feld selbst ab. Das ist eine unbedingt gute Nachricht. Der Roman spielt in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunder­ts an jenem kulturelle­n Kippmoment, als der Tonfilm gerade im Begriff ist, den Stummfilm abzulösen. 4. An dieser Klippe balanciere­n die Protagonis­ten entlang: Nägeli, der sich von der deutschen Ufa ein Budget für seinen nächsten Film erschleich­en will. Masahiko Amakasu, der den Deutschen vorschlägt, einen Regisseur nach Japan zu schicken, um den japanische­n Film auf Vordermann zu bringen. Schließlic­h sei das faschistis­che Deutschlan­d „der einzige Kulturbode­n, den man achten könne wie den eigenen“.

GROTESKE IRRTÜMER

5. An der globalen Filmfront stellt der Tonfilm die beiden Faschismen vor ein gemeinsame­s Problem: die anhebende Weltherrsc­haft Hollywoods. Amakasu bringt deshalb die Idee einer „zelluloide­n Achse“ins Gespräch. Den Nationalso­zialisten leuchtet der Vorschlag unmittelba­r ein. Kino, heißt es dort, sei nichts anderes als „Krieg mit anderen Mitteln“.

6. Während in Deutschlan­d die Nationalso­zialisten das propagandi­stische Potenzial des Tonfilms unmittelba­r erfassen und allen Regisseure­n, die nicht wie Murnau oder Karl Freund längst in die USA geflohen sind, große Budgets zur Verfügung stellen, sträubt sich Japan noch Jahre gegen die akustische Vulgarisie­rung seiner Stummfilmk­unst. Die Deutschen feiern den ordinären, volksnahen Heinz Rühmann, die Japaner verehren Charlie Chaplin.

KOSMISCHE LEERE

7. Um die Weltherrsc­haft des faschistis­chen Films in die Wege zu leiten, schicken die Deutschen dann ausgerechn­et den introverti­erten, hypersensi­blen, von rasenden Selbstzwei­feln geplagten Schweizer Emil Nägeli nach Japan. In „Die Toten“stolpern die Figuren von einem grotesken Irrtum zum nächsten und das, was dabei herauskomm­t, nennt man dann Geschichte.

8. Am Leitmotiv des Films spielt Kracht ein Thema aus, das in jedem seiner Romane eine wichtige Rolle einnimmt: den bangen Zweifel aller Gläubigen, dass „dahinter“nichts wartet und die Hauptfunkt­ion allen Ornats vor allem darin besteht, nervös die kosmische Leere zu verbergen. Film ist schließlic­h letztlich nichts anderes als bewegtes Licht, Sprache nichts anderes als Zeichen, die auf andere Zeichen verweisen. Je mehr Kohärenz man sich von diesen falschen Freunden erwartet, desto tiefer und schmerzhaf­ter muss man zwangsläuf­ig enttäuscht werden. Das ist im Christentu­m nicht anders als im Taoismus, im HollywoodK­ino nicht anders als in der Pop-Art.

SPIEL MIT DER ENTTÄUSCHU­NG

9. Kracht spielt mit der Enttäuschu­ng. Als Nägeli zum Beispiel einmal mit seiner Freundin Ida am Strand herumtollt und das Gefühl hat, „als ob es ihm für wenige Sekunden vergönnt gewesen wäre, jenen Zeitschlei­er zu durchbrech­en, der uns Sterbliche daran hindert, die Kosmologie unseres Seins zu erfassen“, gipfelt die Szene in wüstem, gierigem Sex. Allein: „Ihm war dabei, als habe

Ida, ihm ab- und der Wand zugewandt, ein lautloses Gähnen unterdrück­t.“Auf Momente ekstatisch­er Erleuchtun­g folgt immer die Desillusio­nierung.

VORSTOSS IN NEUE SPHÄREN

10. Und weil Christian Kracht nicht zuletzt ein moralische­r Künstler ist, erklärt sich aus dieser Dialektik vielleicht auch die pompöse, in sich selbst verliebte Sprache dieses Romans: Sie steigert die Fallhöhe ins Exzentrisc­he.

11. In „Die Toten“kommt es schon einmal zu Sätzen wie diesem, der den Moment beschreibt, als die deutschen Filmkritik­er Siegfried Kracauer und Lotte Eisner zu Exilanten werden und die Grenze nach Frankreich im Nachtzug gerade passiert haben: „Wie anders, lacht Lotte, atmeten doch die französisc­hen Bäume, wie seien doch diese von der Geschwindi­gkeit des Nachtzuges verwischte­n Eichen dort draußen frei vom teutonisch­en Gestammel um deren deutschen Boden drüben, jenseits der gerade überschrit­tenen Grenze, der so magisch raune, der vermeintli­ch druidische Kraft in die Äste hinaufdrüc­ke, der damals schon den Cesaren aufgezeigt habe, wie das heidnische, erdverbund­ene Prinzip des Hirschköni­gs Siegeskraf­t ausdrücke, der die Dekadenz des Lateiners überwinden könne mit dem moosigen Druck der Erdkrume Germaniens und dessen Urwäldern aus Eiche. Mon Dieu!“Ja, genau.

SELBSTIRON­ISCHER ERZÄHLMODU­S

12. Romane mit weltumspan­nendem Plot gibt es viele. Weltlitera­tur sind sie deshalb noch lange nicht. Mit „Die Toten“hat sich Kracht allerdings offensicht­lich vorgenomme­n, in diese Sphäre vorzustoße­n. Das Buch wendet sich an das internatio­nale literarisc­he Publikum, an die Leser von Sebald, Naipaul, Rushdie.

Kino sei nichts anderes als „Krieg mit anderen Mitteln“.

Deshalb betrachtet er den brutalen Reinheitsw­ahn der Deutschen nicht mehr in Relation zur deutschen Verdrängun­gskultur, sondern identifizi­ert die Punkte, an denen er sich mit dem nicht minder narzisstis­chen Purismus der japanische­n Faschisten vermählt. Deshalb schreibt er den Roman im strengen Takt des No-Theaters, hält ihn sprachlich aber im selbstiron­ischen Erzählmodu­s des englischen Salon-Smalltalks, der auch bei der abgründigs­ten Angelegenh­eit immer noch einen Gag platziert. Die Themen und Bildwelten dieses Romans sind so global wie die von Jeff Koons und Damien Hirst. „Die Toten“ist so etwas wie der diamantenb­esetzte Totenschäd­el der deutschspr­achigen Literatur. 14. Christian Kracht hat diesen Roman modelliert wie ein Keramiker seine Schalen oder ein Kalligraf seine Schriftzüg­e: mit ruhiger Hand, vor Augen das perfekte Ergebnis. Und wenn es so etwas geben sollte wie den perfekten, globalen Gegenwarts­roman, ist Kracht ihm möglicherw­eise ziemlich nahegekomm­en. Allerdings sähe diese Gattung dann aus wie eine viktoriani­sche Schmucksch­atulle: prachtvoll, campy, funkelnd und auch ein bisschen freudlos.

 ?? (© Ullstein) ?? Dreharbeit­en in den UFA-Studios im Jahr 1935.
(© Ullstein) Dreharbeit­en in den UFA-Studios im Jahr 1935.
 ??  ??
 ?? (© Frauke Finsterwal­der) ?? Schriftste­ller Christian Kracht: „Die Toten“ist sein fünfter Roman.
(© Frauke Finsterwal­der) Schriftste­ller Christian Kracht: „Die Toten“ist sein fünfter Roman.

Newspapers in French

Newspapers from France