„So kann das Immunsystem die Krebszellen besser angreifen“
Lutte contre le cancer : l’immunothérapie à la loupe
Niels Halama est médecin-chef au Centre national des pathologies tumorales d’Heidelberg. Il nous parle de l’immunothérapie, des cas de cancers dans lesquels elle est efficace, de ses avantages par rapport à la chimiothérapie et de ses effets secondaires imprévisibles.
SPIEGEL: Der Nobelpreis für Medizin ging gerade an zwei Wissenschaftler, deren Arbeit zur Entwicklung neuartiger Medikamente geführt hat. Hat die Immuntherapie die Krebsmedizin revolutioniert? Niels Halama: Ich würde nicht so weit gehen, diese Therapien als Allheilmittel zu bezeichnen. Aber bei bestimmten Krebsarten – vor allem
metastasiertem schwarzem Hautkrebs, einer bestimmten Form von Lungenkrebs und mitunter Blasentumoren – haben die sogenannten Checkpoint-Inhibitoren die Behandlung in den letzten Jahren doch grundlegend verändert.
2. SPIEGEL: Wie wirken diese Mittel? Halama: Der Tumor zieht im Immunsystem Bremsen an, die Checkpoint-Inhibitoren wieder
lösen. So kann das Immunsystem die Krebszellen besser angreifen. Beim schwarzen Hautkrebs etwa können Checkpoint-Inhibitoren bei bis zu 60 Prozent der Patienten die Krankheit zurückdrängen, beim Lungenkrebs kann bei etwa 20 bis 30 Prozent der für die Behandlung geeigneten Patienten der Tumor kontrolliert werden. Das ist weit mehr, als frühere Therapien in diesen Fällen vermochten. Allerdings sind Therapien mit Checkpoint-Inhibitoren sehr kostspielig. Mitunter können da für wenige Mona-
te Therapiekosten im Wert eines Einfamilienhauses auflaufen.
3. SPIEGEL: Und was ist mit häufigen Krebsarten wie Brustkrebs, Darmkrebs oder Prostatakrebs? Halama: Etwa ein bis zwei Prozent der Darmkrebspatienten haben eine Mutation im Tumorgenom, die eine Behandlung mit CheckpointInhibitoren aussichtsreich macht. Noch allerdings ist diese Therapie in Deutschland nicht offiziell zugelassen. Für die vielen anderen Patienten versucht man, Kombinationen aus Checkpoint-Inhibitoren und anderen Medikamenten zu finden. Daran wird intensiv geforscht. Kürzlich veröffentlichte Daten zeigen, dass auch eine Chemotherapie bestimmten Patienten mit Magenkrebs besser helfen könnte, wenn sie gleichzeitig einen Checkpoint-Inhibitor einnehmen. Derzeit laufen mehr als 2000 Patientenstudien zu Immuntherapien, sicher werden in den nächsten Jahren deshalb noch weitere Anwendungsgebiete hinzukommen.
4. SPIEGEL: Immuntherapien sind allerdings auch gefürchtet für ihre mitunter unberechenbaren Nebenwirkungen. Wie gefährlich sind diese Mittel? Halama: Das war in der Tat neu für uns Onkologen: Anders als bei einer Chemotherapie, bei der viele Patienten an unerwünschten, aber meist gut beherrschbaren Nebenwirkungen leiden, vertragen die meisten Patienten Checkpoint-Inhibitoren sehr gut – einige wenige trifft es dann aber umso schlimmer. Sie zeigen eine Autoimmunreaktion, bei der beispielsweise die Darmschleimhaut oder Lungengewebe zerstört wird. Wenn andere Maßnahmen nicht helfen, muss die Therapie sofort abgebrochen werden, damit der Patient nicht stirbt. Weil die Heftigkeit dieser Reaktion, anders als bei einer Chemotherapie, nicht von der verabreichten Dosis abhängig ist, muss der behandelnde Arzt sehr genau aufpassen. Und wenn Checkpoint-Inhibitoren in Zukunft mit anderen Medikamenten kombiniert werden, könnten auch die Nebenwirkungen noch einmal häufiger und gefährlicher werden.
5. SPIEGEL: Was genau macht das Immunsystem mit dem Tumor? Halama: Diese komplexe Interaktion haben wir noch nicht komplett durchschaut; auch daran arbeiten viele Wissenschaftler und entwickeln immer neue Ideen, wie Immuntherapien noch mehr Patienten bei noch mehr Krebsarten noch besser helfen könnten. So könnte man versuchen, nicht nur das sogenannte erworbene Immunsystem zu aktivieren, sondern auch das angeborene. Ich bin sicher: In den nächsten zehn bis zwanzig Jahren wird sich auf diesem Gebiet sehr viel tun.