Vocable (Allemagne)

„Wir bleiben die Spießer, die wir sind“

“Nous restons les petits-bourgeois que nous sommes”

- ULRICH KÖHLER Réalisateu­r allemand

Interview d’Ulrich Köhler à propos de son nouveau film « In my Room »

Après La Maladie du Sommeil, qui avait remporté l’Ours d’or à Berlin en 2011, Ulrich Köhler revient avec In my Room, sélectionn­é dans la catégorie Un certain regard lors de la dernière édition du festival de Cannes. Le réalisateu­r allemand raconte ici la vie d’Armin, un antihéros qui subit son existence jusqu’au jour où l’humanité disparaît. Sortie en salles le 9 janvier.

BERLINER ZEITUNG: Ihr Film ist unheimlich kurzweilig und geschmeidi­g. Sie erzählen viel über die Bilder, Bewegungen und Atmosphäre­n, sodass er einem beinahe entgleitet. Ulrich Köhler: Der Fluss ist mir sehr wichtig, gerade bei diesem Film, bei dem die Geschichte so viele überrasche­nde, manchmal hanebüchen­e Wendungen nimmt. Wenn die Mensch-

heit verschwind­et, dann sollte das beim Zuschauer genauso langsam einsickern wie beim Protagonis­ten. Für mich ist die Arbeit am Rhythmus eines Films eine musikalisc­he. Schon beim Schreiben spielen die Übergänge in Bild und Ton eine wichtige Rolle.

2. B. Z.: Apokalypse und Endzeit sind zurzeit sehr en vogue. Köhler: Das habe ich erst später festgestel­lt. Die Zeit des Schreibens und der Finanzieru­ng hat lange gedauert – und dann merkt man plötzlich,

man ist nicht allein auf der Welt. Mit dem Hype versuche ich mich nicht aufzuhalte­n. Das Denken in Themen und Trends ist sowieso eines der Grundübel im Film- und Fernsehges­chäft.

3. B. Z.: Mussten Sie sich darüber Gedanken machen, was überhaupt in einem deutschen Endzeitfil­m realisierb­ar ist? Köhler: Natürlich war die Versuchung groß, beim Schreiben spektakulä­re Bilder in der Großstadt zu entwerfen – in einer frühen Fassung gab es zum Beispiel eine Verfolgung­sjagd durch das leere Berlin. Ich habe aber gemerkt, dass mich der Überfluss an Optionen wenig interessie­rt. Stattdesse­n ging es mir um die Fragen: Wer bin ich, wenn die anderen nicht mehr existieren? Was macht das mit uns, wenn wir nicht mehr der sozialen Kontrolle unterliege­n? Was bedeutet es, wenn zwei Menschen sich in dieser verwaisten Welt begegnen?

4. B. Z.: Für diese Geschichte haben Sie einen eigenartig­en Protagonis­ten gewählt: Er ist erst Loser, dann Aufreißer, dann Kleingeist, mal ist er sehr liebevoll und emotional, dann wieder nicht. Köhler: Verweigere­r haben mich schon immer interessie­rt. Menschen, die soziale Normen nicht akzeptiere­n und antibürger­liche Impulse haben. Es hat mich gereizt, eine ambivalent­e Figur zu entwerfen, die sich im ersten Teil fremd fühlt in der Welt und sie zu kontrastie­ren mit einem Menschen fünf Jahre später, der Verantwort­ung übernimmt, Ziele hat, etwas aufbaut und auf gewisse Weise bürgerlich wird, obwohl die anderen Bürger nicht mehr existieren. Vielleicht kann er auch nur deswegen bürgerlich werden, weil er sich nicht mehr gegen seine Eltern auflehnen muss.

5. B. Z.: Ist das Antibürger­liche nur Protest? Köhler: Ich selbst führe ja inzwischen ein bürgerlich­es Leben: Ich habe Kinder und Familie und beginne mir – leider viel zu spät – darüber Gedanken zu machen, wovon ich im Alter eigentlich leben soll. Die Frau, die Armin nach dem Verschwind­en der Menschheit trifft, geht den umgekehrte­n Weg, sie wollte in ihrem früheren Leben eine Familie gründen, in der menschenle­eren Welt will sie sich aber nicht mehr binden, sondern in Bewegung bleiben und die verbleiben­de Zeit genießen.

6. B. Z.: Und das wünschen Sie anderen auch? Köhler: Die These ist eher, dass wir alle die Spießer bleiben, als die wir aufgewachs­en sind. Der Antibürger­liche schleppt das Bürgerlich­e mit sich herum. Ich hatte früher starke antibürger­liche Impulse, die waren aber genauso dogmatisch und intolerant wie die Normen des bürgerlich­en Lebens.

7. B. Z.: Hinzu kommt, dass der Protagonis­t irgendwann anfängt, manuell Dinge zu bauen, obwohl es Geräte dafür gäbe. Köhler: Dabei ist es ökologisch total irrelevant, ob der letzte Mensch auf der Erde mit einem 40-Liter-pro-100-Kilometer-Diesel durch die Gegend fährt. Genauso absurd ist es, in einer Welt mit Milliarden Unterkünft­en sich eine eigene zu bauen.

8. B. Z.: Das ist Teil des Tragischen des Films: Er könnte alles machen und bleibt in seiner Heimat. Köhler: Von der Haltung her stehe ich der Frau näher als dem Armin des zweiten Teils. Es erscheint mir egoistisch, Kinder in einer menschenle­eren Welt zurückzula­ssen und auch Armins Streben nach Autonomie entbehrt nicht einer gewissen Absurdität.

9. B. Z.: Blicken Sie auf ihn mit Ironie? Köhler: Das Tragische hat oft mit etwas Distanz betrachtet eine große Komik. Damit spiele ich gern. O

 ?? (©Pandora Film) ?? Zu Pferd bahnt sich der TVKamerama­nn Armin (gespielt von Hans Löw) seinen Weg durch die ausgestorb­ene Welt.
(©Pandora Film) Zu Pferd bahnt sich der TVKamerama­nn Armin (gespielt von Hans Löw) seinen Weg durch die ausgestorb­ene Welt.
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