Die Frau des Jahrhunderts
Le nouveau roman de Bernhard Schlink, « Olga »
On se souvient de son premier best-seller « Le Liseur ». Dans son nouveau roman fleuve « Olga », Bernhard Schlink retrace le destin d’une femme « ordinaire » qui a traversé le XXe siècle et pris en main son destin. Véritable héroïne du quotidien, elle se démarque des hommes qui l’entourent par sa lucidité et son altruisme. Un roman aux accents féministes qui rend hommage aux femmes de l’ombre.
Ein neuer Roman von Bernhard Schlink ist immer ein Ereignis. „Olga“spannt einen Bogen vom späten 19. bis ins frühe 21. Jahrhundert. Im Mittelpunkt stehen zwei problematische deutsche Männer, die Helden sein wollen. Aber auch die Faszination Kolonialismus, politischer und moralischer Größenwahn spielen eine Rolle. Vor allem aber geht es um eine charismatische Frauenfigur, die dagegen aufbegehrt. Ein Gespräch über deutsche Dunkelheiten an einem winterlichen Nachmittag.
2. WELT: Lieber Herr Schlink, sind Sie jetzt auf Ihre alten Tage Feminist geworden? Bernhard Schlink: (lacht) Weil Olga viele positive Züge hat? Ich weiß nicht, ob ich darum schon ein Feminist bin. Mit Olga erinnere ich mich an eine Generation von Frauen, die unter ihren Fähigkeiten leben musste – an der Seite von Männern, die oft über ihren Fähigkeiten lebten.
3. WELT: Olga Rinke, deren Geburt noch ins späte 19. Jahrhundert fällt, stammt aus einfachen Verhältnissen. Sie wird dann das, was man damals Volksschullehrerin nannte. Sie ist intellektuell interessiert, darf aber noch nicht studieren, sondern durchläuft nur eine Ausbildung im „Lehrerinnenseminar”. Alles was darüber hinausgeht, bringt sie sich selber bei. Schlink: Genau. Sie gehört zu den Frauen, die wie meine Großmutter oder auch manche Sekretärin, die ich als Student und Assistent an der Universität erlebt habe, unter anderen Umständen gute Juristinnen, Germanistinnen, Publizistinnen geworden wären. Doch die patriarchalische Welt, in der sie lebten, behielt die Ausbildung und Entfaltung geistiger Fähigkeiten den Männern vor.
4. WELT: Aber da ist noch mehr. Olga versteht nicht nur etwas von Gedichten. Sie kann auch auf Menschen zugehen, sie verfügt über Selbstreflexion, Augenmaß, Vernunft, Empathie. Die Männer jedoch, an die sie gerät, vor allem der Gutsbesitzersohn Herbert, die große Liebe ihres Lebens, aber auch Eik, ihr gemeinsamer Sohn, zeichnen sich vor allem durch törichte Größenfantasien aus. Schlink: Ja, Herbert meldet sich zur Schutztruppe nach Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, beteiligt sich am Krieg gegen die Herero, ist fasziniert von der Wüste, der Weite, der Leere und fantasiert von den Wunderdingen, die die Deutschen dort vollbringen könnten. Später will er die Arktis erobern, bricht schlecht vorbereitet auf, scheitert und kommt um. Sein Sohn Eik wird in den Dreißigerjahren Mitglied der NSDAP und der SS und träumt von der Besiedlung des Gebietes zwischen Memel und Ural.
„Vielleicht geraten einem Schriftsteller die Frauen, die ihm wichtig sind, alle irgendwie ähnlich?“
5. WELT: Letztlich ist für Olga Bismarck an allem schuld. Er treibt die Erwerbung von Kolonien voran. Er übernimmt sich bei der Reichseinigung von 1871 durch die Einverleibung Elsass-Lothringens. Ist das nicht ein wenig summarisch gedacht? Schlink: Olga ist in allem, was über ihre Ausbildung am Lehrerinnenseminar hinausgeht, Autodidaktin. Autodidakten sind geneigt, summarisch zu denken und ein bestimmtes Ereignis oder eine bestimmte Person an allem schuld sein zu lassen. Olga vereinfacht und übertreibt und entstellt, findet aber zugleich immer wieder neuralgische Punkte. Das Pferd, auf das Bismarck Deutschland gesetzt hat, konnte Deutschland tatsächlich nicht reiten. Und Ferdinand, dem Icherzähler und gerne moralisierenden 1968er, attestiert sie: „Wer moralisch ist, will es groß haben.“
6. WELT: Kommen wir noch einmal zu Olga. Beim Lesen fühlt man sich doch manches Mal an Ihre Hanna Schmitz aus dem „Vorleser” erinnert. Sehen Sie eine strukturelle Ähnlichkeit? In beiden Romanen geht doch ein sensibler junger Mann „in die Schule der Frauen”. „Olga” lässt sich wie „Der Vorleser” als éducation sentimentale lesen. Männerfiguren, die der Komplementarität durch kluge, reife Frauen bedürfen, sind doch ein Markenzeichen von Ihnen, oder? Schlink: Vielleicht geraten einem Schriftsteller die Frauen, die ihm wichtig sind, alle irgendwie ähnlich? Bei Gottfried Keller oder Theodor Fontane, mit denen ich mich überhaupt nicht vergleichen will, die ich nur liebe, ist es so. Jedenfalls ist es eine schöne These. Sie bringt mich darauf, dass ich einmal über die Frauen meiner Kindheit schreiben sollte, die Großmütter und älteren Tanten, die Kinderärztin, die eine und andere Lehrerin, die Frau eines Kollegen meines Vaters und häufigen Gastes. Sie waren wichtig für mich, und ich denke glücklich und dankbar an sie.