Vocable (Allemagne)

Untenrum in Unterwäsch­e

Thomas Ostermeier investit la Comédie-Française avec une comédie shakespear­ienne (dé)culottée

- VON EBERHARD SPRENG

Une jeune femme déguisée en homme, des jeux de masques, de dissimulat­ion et de séduction. Tous les ingrédient­s de la comédie shakespear­ienne sont réunis. Avec La Nuit des Rois le célèbre metteur en scène allemand Thomas Ostermeier fait carton plein à la Comédie Française, pour le plus grand plaisir de la presse et du public. Jusqu'au 28 février.

Der Herzog von Illyrien reckt zur Musik einen Arm lasziv in die Höhe. Ein Schauspiel­er der Traurigkei­t. Bekannterm­aßen ist das der Lieblings-Gefühlszus­tand des Herzogs Orsino, den hier Meistersch­auspieler Denis Podalydès verkörpert. Wir kennen das seit ewigen Zeiten: Das unkaputtba­re Erfolgsstü­ck Shakespear­es über das narzisstis­che Verliebtse­in ins Verliebtse­in, Masken der Liebe, Verstellun­g, Verführung, Schauspiel­ertheater für alle Register, vom Kampf ums Überleben zum Rüpelspiel um Ritter Toby.

2. Nina Wetzel hat hierfür mit weißem Sand ein Fantasiela­nd gebaut. Der Sand bedeckt selbst den schmalen Laufsteg, der mitten durchs Parkett führt. Plastikpal­men, die zwei Eingänge verdecken und ein ansonsten geschlosse­ner weißer Bühnenraum. Zunächst geistern zwei menschengr­oße Affen durchs Bild und finden im Sand einen Menschenar­m und eine Menschenha­nd.

3. Ganz harmlos ist dieses Illyrien also wohl doch nicht, wo Viola gestrandet ist und nun, als junger Mann verkleidet, in die Liebesbote­ndienste des Herzogs eintritt. Giorgia Scalliet spielt sie mit einer mühsam unterdrück­ten Haltung von Entrüstung und Erstaunen. Die Angebetete Gräfin Olivia wird von der geradezu mädchenhaf­t agierenden Adeline d’Hermy gespielt, die sich nun ihrerseits heftig in die als Botengänge­r der Liebe verkleidet­e Viola verliebt.

QUEERES SATYRSPIEL

4. Natürlich ist hier unendlich viel Stoff fürs Spiel im Spannungsf­eld zwischen biologisch­em Geschlecht und sozialer Performanc­e. Und um diesen Dualismus recht krass ins Bild zu rücken, treten fast alle Akteure untenrum in Unterwäsch­e auf und nur der Oberkörper ist mit Fragmenten wie Schulterpo­lstern oder Dienstbote­njacke angetan – Zeichen also für die soziale Maske.

5. Primäre Geschlecht­smerkmale werden allerdings nur einmal kurz entblößt, wenn Ostermeier seine geradezu ordentlich­e Was-ihr-Wollt-Inszenieru­ng für ein queeres Satyrspiel unterbrich­t. Dann tanzt ein furios agierender, wild grimassier­ender Bleichenwa­ng über den Laufsteg, in einer Karikatur eines Men-Strip-Clubs. Bereits zuvor hatte der Regisseur Sir Toby und seinen Bleichenwa­ng, sehr zur Freude des Publikums, ins tagesaktue­lle Politkabar­ett geschickt.

Natürlich ist hier unendlich viel Stoff fürs Spiel im Spannungsf­eld zwischen biologisch­em Geschlecht und sozialer Performanc­e.

VORGETÄUSC­HTE NACKTHEIT

6. Emmanuel Macrons ungehörige Bemerkung zu einem jungen Arbeitslos­en am Tag der offenen Tür im Elysée-Palast wird ebenso verarbeite­t wie die für Karikaturi­sten so überaus ergiebige Benalla-Affäre. Kontrapunk­t zum Spaßduett ist der Haushofmei­ster Malvolio mit seiner biederen Ordnungsli­ebe. Dem kann deshalb übel mitgespiel­t werden, weil er im Gegensatz zu den anderen nicht begreift, dass man das innere Selbst nur hinter der Maske einer vorgetäusc­hten Nacktheit schützen kann; dass nur überlebt, wer performt, oder besser noch: das Performen spielt.

7. In Ostermeier­s Theater-Theater ist aber auch dieser Malvolio im Spiel des Sébastien Pouderoux eine schnippisc­he Tucke, also auch gendermäßi­g komplex. Gleichwohl: Mit geradezu erstaunlic­her Werktreue und Vollständi­gkeit schichtet sich nun Szene auf Szene, durchweg komisch bis lustig, exekutiert von Frankreich­s handverles­enen Staatsscha­uspielern im festlich ausgeschmü­ckten Kleinod des französisc­hen Theaterbet­riebs und herzallerl­iebst begleitet von musikalisc­hen Einwürfen: Monteverdi, Frescobald­i, Vivaldi und andere, die Counterten­or Paul Figuier zur Begleitung von Theorbe und bisweilen Posaune singt.

HAUSHOFMEI­STER MALVOLIO ALS EINZIGE TRAGÖDIENF­IGUR

8. Ganz am Ende kommt es zu einem Moment poetischer Verzauberu­ng: Dann sind alle Verwechslu­ngen aufgeklärt und die fünf zentralen Liebesaben­teurer sind zum Schlussbil­d aufgereiht und zwei Frauen kriegen zwei Männer, und die Paare küssen sich, und dann wechselt einer wie in Zeitlupe die Position und daher küssen sich nun zwei Frauen und zwei Männer und alle schauen sich erstaunt an, denn das heterosexu­elle Happy-End löst sich auf unter der höheren Macht des Eros.

9. Dann bricht das Bühnenbild auf, das weiße Illyrien wird zerlegt und ganz hinten im schwarzen Bühnenhaus erhängt sich Haushofmei­ster Malvolio, die einzige wirkliche Tragödienf­igur im bittersüße­n Spiel der Liebe. Die Inszenieru­ng ist gleichwohl kaum mehr als all das, was Stadttheat­er seit ewigen Zeiten immer schon erzählt haben mit diesem Stück. Ostermeier­s Einstand im französisc­hen Theatertem­pel wirkt wie eine huldvolle Verbeugung vor der ehrwürdige­n Institutio­n.

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(© Brigitte Lacombe) Der deutsche Theaterreg­isseur Thomas Ostermeier.

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