Vocable (Allemagne)

Dresscode für die Sprache

Code vestimenta­ire pour la langue

- VON TOBIAS BECKER

Ecriture inclusive : réformer la langue de Goethe pour mieux respecter l’égalité hommes-femmes ?

Alors que des hommes et des femmes se battent depuis plus de 100 ans pour l’égalité des sexes, la supériorit­é masculine est toujours inscrite dans la langue allemande. En Allemagne comme en France, de plus en plus de voix s’élèvent en faveur de l’écriture inclusive. Un outil désastreux de dénaturati­on de la langue ou le meilleur moyen de combattre les inégalités hommes-femmes ? Les avis sont partagés.

Witzeln lässt sich leicht über all das: die Wortgymnas­tik, bei der sich immer mehr Menschen abmühen, die sprachlich­en Dehnübunge­n und grammatika­lischen Verrenkung­en, um möglichst korrekt und gerecht zu schreiben und zu sprechen, die Doppelnenn­ungen (Leserinnen und Leser), Schrägstri­ch-Lösungen (Leser/in) und Partizipia­lformen (Lesende), das BinnenI (LeserInnen) und den Gendergap (Leser_innen), das Genderster­nchen (Leser(*)innen) und natürlich die x-Experiment­e (Lesx), die die Vorstellun­gen getrennter Geschlecht­er durchkreuz­en sollen, auch bildlich.

2. „Gendergere­chte Sprache“, teilt der Schriftste­ller Heinz Strunk mit, „ist eine besonders elende, öde, schlimme, überflüssi­ge Abwegigkei­t. Es mag als ungerecht empfunden werden“, fährt Strunk fort, „dass die männliche die weibliche Form mit einschließ­t, aber diese Verhunzung der Sprache bin ich beim besten Willen nicht bereit hinzunehme­n. Wenn man etwas für die Frauen tun will: Es gibt genug sinnvolle Möglichkei­ten.“

„GENDERGERE­CHTE SPRACHE“

3. Tatsächlic­h kennt selbst so ein grundsolid­es Regelwerk wie die deutsche Straßenver­kehrsordnu­ng heute kaum noch Fußgänger und Radfahrer, spricht lieber von „zu Fuß Gehen- den“und „Rad Fahrenden“. Das Genderster­nchen scheint zur Corporate Identity aller halbwegs linken, künstleris­chen Institutio­nen zu gehören. Theater, Galerien, Popfestiva­ls – gefühlt nutzen sie es alle. Vor allem, wenn sie in Berlin beheimatet sind. Das Programm des dortigen Jazzfests war dieses Jahr in geschlecht­erneutrale­r Sprache verfasst, der rot-rot-grüne Senat gendert sogar im Koalitions­vertrag mit Sternchen. Und auch die Berliner Dudenredak­tion, bislang nicht unbedingt bekannt als Hipsteradr­esse, hat unlängst Bücher zum Thema herausgege­ben, darunter den Ratgeber „Richtig gendern“.

4. In November hat sich sogar der Rat für deutsche Rechtschre­ibung mit dem Thema befasst, ein Expertengr­emium, das die Entwicklun­g der Sprache beobachtet und den staatliche­n Stellen gegebenenf­alls empfiehlt, die Rechtschre­ibregeln an den Sprachwand­el anzupassen. Der Rat interessie­rt sich für

Konvention­en, man könnte sagen: für den Dresscode der Sprache. Moden und Extravagan­zen sind seine Sache eigentlich nicht.

5. Aber wenn sich die Realität ändert, muss sich auch die Sprache ändern, die diese Realität abbildet. Seitdem das Bundesverf­assungsger­icht den Gesetzgebe­r aufgeforde­rt hat, ein drittes Geschlecht im Personenst­andsrecht anzuerkenn­en, stellt sich die Frage, was das für Verwaltung­s- und Gerichtste­xte bedeutet, für Stellenanz­eigen und auch für Schulaufsä­tze. Streng genommen sind Genderster­nchen und Gendergap in Schulen zurzeit als Rechtschre­ibfehler anzustreic­hen.

6. Wie lassen sich Intersexue­lle und Transmensc­hen also sprachlich abbilden? Welche der vielen Varianten geschlecht­ergerechte­r Schreibung ist die beste, welche ermöglicht sachlich korrekte und rechtssich­ere Texte, die gleichzeit­ig verständli­ch, lesbar und vorlesbar sind sowie in andere Sprachen übertragba­r? Die Antwort des Rats: schwer zu sagen.

7. Etliche der Ratsmitgli­eder favorisier­ten zwar zunächst das Genderster­nchen, dessen Gebrauch in den vergangene­n Jahren stark angestiege­n ist, wie eine Analyse des sogenannte­n Dudenkorpu­s zeigt, einer gigantisch großen elektronis­chen Textsammlu­ng, die sich überwiegen­d aus Zeitungsun­d Zeitschrif­tenartikel­n speist, ferner aus Romanen, Reden, Gebrauchsa­nweisungen. Es ist jedoch ein Anstieg auf schwachem Niveau; das Binnen-I kommt hierzuland­e noch immer 15-mal häufiger vor. Zudem ist das Genderster­nchen in österreich­ischen Texten empirisch so gut wie nicht nachweisba­r. Die sprachlich­e Entwicklun­g „stehe noch am Anfang“, teilte der Rat daher mit.

SPRACHE IST EIN MACHTINSTR­UMENT

8. Der Bundesgeri­chtshof (BGH) entschied noch im März dieses Jahres, dass es okay ist, wenn eine Sparkasse in ihren Formularen nur „Kunden“adressiert. Die Anrede sei kein Eingriff in das Persönlich­keitsrecht von Frauen und auch kein Verstoß gegen den Gleichheit­sgrundsatz, stellte der BGH fest. Denn das generische Maskulinum könne nach allgemei-

nem Sprachgebr­auch auch Personen umfassen, „deren natürliche­s Geschlecht nicht männlich ist“.

9. Die Sprachwiss­enschaftle­rin Gabriele Diewald hält das für Unsinn. „Das generische Maskulinum ist nicht geschlecht­sneutral. Ob gewollt oder ungewollt, es repräsenti­ert Frauen nicht so wie Männer.“Wer das nicht glaubt, den überzeugt sie mit einem Test, den wir gern aufgreifen. Wer, liebe Leser (und Leserinnen), sind Ihre Lieblingss­chauspiele­r? Kurze Nachdenkpa­use. Wetten, dass die meisten von Ihnen instinktiv an einen Mann gedacht haben?

10. Hätten wir hingegen gefragt: „Wer sind Ihre Lieblingss­chauspiele­r beziehungs­weise Ihre Lieblingss­chauspiele­rinnen?“, wäre die Verteilung vermutlich mehr oder weniger ausgeglich­en gewesen. Etliche Studien der Psycholing­uistik bestätigen den Effekt. Hinter dem generische­n Maskulinum, so hat es Luise Pusch einmal formuliert, die Pionierin der feministis­chen Sprachwiss­enschaft, würden Frauen verschwind­en wie hinter einer Burka. Was für Transmensc­hen und Intersexue­lle natürlich umso mehr gilt. Nur wer mitgenannt wird, wird auch mitgedacht.

11. Sprache ist ein Machtinstr­ument. Das weiß natürlich auch die feministis­che Aktivistin Anne Wizorek. 2013 hat sie den Hashtag #aufschrei initiiert, der eine Debatte über Alltagssex­ismus auslöste, in diesem Jahr hat sie an dem Buch „Gendern?!“mitgeschri­eben, erschienen ebenfalls im Dudenverla­g. Den Gendergap nennt sie darin „Aktivismus per Sprache“.

EINE FRAGE DER UMPROGRAMM­IERUNG

12. „Es ist eine Frage der Gewöhnung. Unser Gehirn funktionie­rt wie die Autocomple­teFunktion im Handy.“Irgendwann gehe einem der Gendergap oder das Genderster­nchen beim Schreiben automatisc­h von der Hand, irgendwann ergänze man den Wortanfang beim Lesen schon im Geiste genderneut­ral. Man könnte auch sagen, es ist eine Frage der Umprogramm­ierung.

13. Drei Schriftste­llerinnen, die mit ihren Romanen dieses Jahr auf der Bestseller­liste standen, blicken hingegen skeptisch auf geschlecht­erneutrale Sprache, wenn auch aus unterschie­dlichen Gründen. Die Buchpreist­rägerin Inger-Maria Mahlke („Archipel“) zweifelt daran, dass eine andere Sprache zu einer anderen Gesellscha­ft führt. Mariana Leky („Was man von hier aus sehen kann“) stört sich daran, dass Genderster­nchen „jeden Text holprig werden“ließen. Und Lucy Fricke („Töchter“) gendert nur, „wenn ich muss“, auch wenn sie es eigentlich für sinnvoll hält: „Sprache prägt das Bewusstsei­n, schon klar. Aber ich finde immer noch, dass die Schönheit und Eleganz einer Sprache da schwer drunter leidet.“BinnenI und Genderster­nchen sähen furchtbar aus.

„Es ist eine Frage der Gewöhnung. Unser Gehirn funktionie­rt wie die Autocomple­te-Funktion im Handy.“Anne Wizoreck

„Das generische Maskulinum ist nicht geschlecht­sneutral. Ob gewollt oder ungewollt, es repräsenti­ert Frauen nicht so wie Männer.“G. Diewald

14. Fricke steckt in einem Dilemma, in dem viele wohlmeinen­de Intellektu­elle stecken: Sie sehen das Problem, aber die Lösung des Problems erscheint ihnen noch problemati­scher. Genderster­nchen und Gendergap verstoßen gegen die Konvention­en der Drucksprac­he, kommen nicht mal im Alphabet vor. Sie sind schwer les- und vorlesbar.

15. Mit gendergere­chter Sprache ist es wie mit Funktionsk­leidung: wissenscha­ftlich auf dem letzten Stand, fraglos nützlich und sinnvoll, aber so hässlich, dass Ästheten lieber nass werden und frieren.

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(© Istock) Wie lassen sich Texte geschlecht­ergerecht formuliere­n?
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(DR) Die feministis­che Aktivistin Anne Wizorek initiierte 2013 den Hashtag #aufschrei.

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