Das zerrissene Band
Des enfants placés de force à l’adoption par le régime : la sombre réalité de la RDA
Pendant des années, les autorités de RDA ont retiré leurs enfants à des opposants politiques et forcé ceux-ci à les confier à l’adoption pour qu'ils soient élevés suivant les idéaux socialistes. Jusqu’à aujourd’hui, les victimes de ce système se battent pour être reconnues en tant que telles et retrouver leur famille. Cette enquête du Spiegel retrace l’histoire d’Uwe Mai, retiré à ses parents en 1961 alors qu’il était âgé de six ans.
Wenn Uwe Mai an seine Kindheit denkt, dann sieht er die Saale. In einem sanften Bogen floss sie an seinem Elternhaus in Calbe südlich von Magdeburg vorbei. Er musste nur über die Straße sausen, dann eine Treppe runter, und schon war er am Wasser. Jeden Tag, erzählt Mai, habe er mit seinem kleinen Bruder Thomas am Fluss gespielt. Der Vater war Hüttenarbeiter, die Mutter Busschaffnerin.
2. Doch dann kam jener Tag Anfang 1961, an dem die DDR ihm seine Eltern nahm. Sein Bruder und er hätten wie immer am Fluss gespielt, da habe jemand gerufen: „Kommt schnell nach Haus!“In der Küche hätten
1. der Bogen(¨) la courbe, le coude / an einer Sache vorbei-fließen(o,o) couler devant qqch / südlich von au sud de / über etw sausen traverser qqch à toute allure / eine Treppe runter(-gehen) descendre un escalier / der Hüttenarbeiter l’ouvrier métallurgiste / die Busschaffnerin la contrôleuse de bus.
2. die DDR la RDA / rufen(ie,u) crier / fremde Männer gestanden, in Mänteln. Der Vater saß auf einem Stuhl und weinte. „Mutti ist weg“, sagte er, „ich kann euch hier nicht mehr ernähren, ihr müsst erst mal ins Heim.“
3. Er war sechs Jahre alt damals, sein kleiner Bruder drei. Alles ging ziemlich schnell. Eine Frau, wohl vom Jugendamt, sei auch da gewesen, sie habe ihre Sachen gepackt und sie ins Kinderheim nach Schönebeck gebracht. Nur Herbert, der größere Bruder, durfte bleiben.
4. Wo war seine Mutter? Was war passiert? Im Heim habe ihm eine Erzieherin später zugeflüstert: „Deine Mutter ist mit einem Kollegen in den Westen abgehauen.“Es sei die einzige Information gewesen, die er bekommen habe. Ob sie stimmte, weiß er bis heute nicht.
EINE GROSSE LEERSTELLE
5. Uwe Mai, 64, lebt in Strausberg bei Berlin. Es ist nicht so, dass sein Leben gescheitert wäre. Mai ist verheiratet, er hat eine große Familie, er war Offizier bei der Armee und arbeitete später bei einem Bauelementehersteller. Seit vorigem Jahr ist er in Rente.
6. Und doch gibt es da diese große Leerstelle. Er hat seine Mutter, den Vater, die Brüder nie wiedergesehen. Die DDR-Behörden suchten eine neue Familie für ihn aus, die ihn adoptierte, und aus Uwe Hampl wurde Uwe Mai.
7. Es gibt etliche ehemalige DDR-Familien, deren Leben so zerrissen wurde. Unliebsamen Bürgern wurden ihre Kinder genommen, aus politischen Gründen. Man wollte sie bestrafen „für renitentes Verhalten“, sagt die Berliner Juristin Marie-Luise Warnecke, 39, die schon lange zum Thema forscht. Zugleich sollte die sozialistische Erziehung der Kinder sichergestellt werden. Als Adoptiveltern wurden linientreue Paare ausgesucht, die „für die Interessen der Arbeiter- und Bauernmacht“eintraten, wie es die DDRJugendhilfeverordnung forderte.
„SIGNIFIKANTE FORSCHUNGSLÜCKE“
8. 1975 enthüllte der SPIEGEL, dass es in der DDR neben regulären Adoptionen im Sinne des Kindeswohls auch politisch motivierte Zwangsadoptionen gab. Damals ging es um Paare, die bei Fluchtversuchen erwischt und dann von ihren Kindern getrennt wurden. Nach der Wende wurden mehr und mehr Einzelfälle bekannt. 9. Doch bis heute, fast 30 Jahre nach dem Mauerfall, ist die Willkür nicht aufgearbeitet. Erst im Frühjahr 2018 hat das Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam eine Vorstudie dazu abgeschlossen, die Autoren sprechen von einer „signifikanten Forschungslücke“.
10. Auf „mindestens mehrere Hundert“schätzen sie die politisch motivierten Zwangsadoptionen, es gibt aber keine belastbaren Zahlen. Deshalb soll nun eine Hauptstudie die wahre Dimension klären. Für die Betroffenen wird es höchste Zeit. Sie warten auf Antworten und auf Anerkennung ihres Leids.
„Das Leben lässt sich nicht zurückdrehen, wir haben unsere Kinder nicht aufwachsen sehen.“Andreas Laake
11. „Viele von uns sind krank geworden, leiden Qualen“, sagt Andreas Laake, 58. Der Leipziger wurde 1984 von der DDR-Küstengrenzbrigade gestoppt, als er mit seiner schwangeren Frau Ilona versuchte, im Schlauchboot über die Ostsee zu fliehen. Laake nahm, wie er sagt, alle Schuld auf sich und kam in Haft. Als das Kind geboren war, durfte er es noch nicht einmal sehen, ein Gericht entzog ihm einfach die Erziehungsrechte. Wohl unter Druck gab seine Frau es zur Adoption frei.
12. Andreas Laake fand seinen Sohn – nach 29 Jahren. „Das Leben lässt sich nicht zurück
drehen“, sagt er, „wir haben unsere Kinder nicht aufwachsen sehen.“Nun sucht er weiter für andere. Laake hat einen Verein gegründet, „Gestohlene Kinder der DDR“. Mehr als 1700 Betroffene gehören ihm an.
„UND PLÖTZLICH HIESS ES: FÜR IMMER“
13. Im Kinderheim in Schönebeck fragte Uwe im Frühjahr 1961 immer wieder, wann sie denn zurück nach Hause dürften. Eine Antwort habe er nicht bekommen. Stattdessen habe sich eines Tages im Zimmer der Heimleiterin ein Ehepaar vorgestellt, das ihn zweimal zur Probe mit nach Hause nahm. „Und plötzlich hieß es: für immer“, erzählt Mai.
14. Der Vater war Abteilungsleiter beim Rat der Stadt Egeln. Er sei aktives SED-Mitglied gewesen, erzählt Mai, die Mutter Verwaltungsleiterin, zuständig für Kinderkrippen. „Insgesamt“, sagt er, „hatte ich wohl noch Glück.“
15. Das Familiengesetzbuch der DDR schrieb vor, dass Eltern ihre Kinder „zu aktiven Erbauern des Sozialismus“zu erziehen hatten. Dieses Gesetz habe „Tür und Tor geöffnet“, um abweichendes Verhalten von Eltern zu sanktionieren, sagt die Juristin Warnecke. Eltern konnten ihre Kinder wegen des Vorwurfs „staatsfeindlicher Hetze“verlieren. Ein politischer Grund konnte auch eine „nicht sozialistische Lebensweise“sein; das traf diejenigen, die etwa in Kirchenkreisen aktiv waren, der „Pflicht zur Arbeit“nicht genügten oder Frauen mit häufig wechselnden Partnern und vielen Kindern.
16. Manche Kinder wüssten gar nicht, dass sie zwangsadoptiert seien, sagt Laake vom Verein „Gestohlene Kinder der DDR“, denn es gibt keine Aufklärungspflicht. Selbst Kindern kann der Blick in ihre Akten beschränkt werden.
17. In einer Petition fordert der Verein nun eine Informationspflicht, eine öffentliche Clearingstelle, die Fälle aufklären kann, und staatliche Ermittlungen. Vielfach, fürchtet nicht nur Laake, seien Akten schon vernichtet worden.
18. Mit der Petition hat er es geschafft, den Bundestag für das Thema zu interessieren. Im Juni lud der Petitionsausschuss zu einer Expertenanhörung. In der Unionsfraktion heißt es, man berate derzeit mit der SPD über einen Entschließungsantrag. Es gehe darum, den „lange verdrängten Teil der DDR-Geschichte rechtlich und politisch aufarbeiten zu können“, sagt der Ausschussvorsitzende Marian Wendt (CDU). „Dazu gehört eine mögliche Rehabilitierung und Entschädigung von Eltern und Kindern als politische Opfer.“
19. Auch Mai hat lange gebraucht, bis er sich auf die Suche nach seiner Geschichte machte. In Heimforen fragte er vergebens nach seinem kleinen Bruder. Sein Vater, wurde ihm zugetragen, sei gestorben. Dann kam seine Tochter Nadin mit der Idee, einen Stammbaum zu erstellen.
20. Auf einige Überraschungen sind sie schon gestoßen: Mai kam 1954 womöglich im Gefängnis zur Welt, die Mutter könnte also schon früher mit dem Regime in Konflikt geraten sein. „Vielleicht hat sie sich am Aufstand 1953 oder an den Demos zum Jahrestag 1954 beteiligt“, fragt sich Mai. Er weiß nun, dass seine Mutter 1988 in Bonn gestorben ist. Also wäre sie tatsächlich im Westen angekommen, aber unter welchen Umständen? Und er weiß, dass seine Brüder tot sind.
21. Wenn es Frühjahr wird, will Mai nach Calbe fahren, wo sein Elternhaus stand. Vielleicht wird er ein paar flache Steine in die Saale werfen, so wie er es damals getan hat, als er noch Hampl hieß und nichts davon ahnte, wie seine Kindheit enden sollte.