„Bald kommt der schwarze Mann zu dir“
M le Maudit : l’oeuvre incontournable de Fritz Lang
Réalisé en 1931 à la veille de la prise de pouvoir par les nazis,
M le Maudit est le premier film parlant de Fritz Lang. Il montre l’hystérie collective dans une ville suite à une série de meurtres d’enfants. Günther Haller du quotidien autrichien « Die Presse » nous remémore cet incontournable classique du cinéma à l’occasion de la sortie en DVD d’une version restaurée du film.
Fritz Lang war schon berühmt als Stummfilmregisseur, als er 1930 an seinem ersten Tonfilm zu arbeiten begann. Er hatte dafür zusammen mit seiner Frau Thea von Harbou Informationen zu zeitgenössischen Serienmördern zusammengetragen. Die Erinnerung an Fritz Haarmann war noch frisch: Er wurde 1924 gefasst und in einem Sensationsprozess wegen siebenfachen Mordes verurteilt und hingerichtet. Das flackerte nun wieder auf, als ein neuer Serienmörder, Peter Kürten, Ende der 20-er Jahre die Stadt Düsseldorf achtzehn Monate lang in Atem hielt. Als Langs Drehbuch fertig war, war er noch nicht gefasst, bei der Premiere war er bereits zum Tode verurteilt. Der Film besaß also eine ungeheure Aktualität.
2. Kurz vor den Dreharbeiten kursierte eine Pressenotiz: Langs neuer Film habe den Arbeitstitel „Mörder unter uns“. Der Regisseur erhielt Drohbriefe und keinen Zutritt zum Studio. Verzweifelt fragte er den Produktionschef: „Aber woher diese unverständliche Verschwörung gegen einen Film über den Düsseldorfer Kindermörder Kürten?“Der sichtlich erleichterte Studioboss händigte ihm sofort die Schlüssel aus. Lang verstand jetzt. Er hatte zuvor das versteckte Parteiabzeichen am Revers des
Mannes gesehen. „Mörder unter uns“: Die Nationalsozialisten fürchteten, sie seien gemeint.
KINDER UND MÜLLTONNEN
3. „M“wurde am 11. Mai 1931 im Ufa-Palast am Zoo in Berlin uraufgeführt. Die Aufführung dauerte 117 Minuten. Mit einem Gongschlag beginnt der Film, noch ist die Leinwand leer. Die Zuschauer erkannten den Ton sofort: Damit wurde im Radio zur vollen Stunde die nächste Sendung angekündigt. Der Tonfilm, ein neues Medium, grüßt das andere noch neue Medium. Dann der Singsang eines Kindes, es ist ein Auszählvers: „Warte, warte, nur ein Weilchen ...“Lang lenkt in seinem ersten Tonfilm die Aufmerksamkeit also gleich auf die Tonspur. Das Kunstmittel wird sich ständig wiederholen: Der Regisseur spielt den Ton gegen das Bild aus. Man hört zuerst etwas und sieht es später.
Der Regisseur spielt den Ton gegen das Bild aus. Man hört zuerst etwas und sieht es später.
4. Acht Minuten dauert dann das Vorspiel. Es baut einen städtischen Raum auf, Kinder, spielend zwischen Abfalltonnen, ärmlich gekleidet und unbeaufsichtigt. Ein Raum, in dem die Katastrophe vorprogrammiert scheint. Man hört ihren makabren Auszählvers: „Bald kommt der schwarze Mann zu dir. Mit dem kleinen Hackebeilchen macht er Schabefleisch aus dir. Du bist raus!“Das Kind, das ausscheidet, tritt zurück, ahmt den Mörder nach, der in dieser Stadt überall Gesprächsstoff ist.
5. Die Kinder sprechen das aus, was in der Luft liegt. Eine der Mütter plärrt dazwischen, die Kinder sollten aufhören mit dem „verdammten Mörderlied“. Im Spiel nehmen sie das vorweg, was gleich passieren wird. Frau Beckmann, deren Tochter Elsie das erste Opfer wird, antwortet: „Solang man sie noch singen hört.“Wenn es still wird, ist es unheimlich. Hört man Kinder, leben sie noch. Wieder spielt Lang also mit dem Thema Hören und Ton.
DIE STILLE BEDEUTET TOD
6. Ein Schatten, wohl der Schatten des Verbrechers, fällt unheilschwanger auf eine der Litfaßsäulen, er fällt genau auf den Steckbrief, der dort hängt. Man hört zuerst die Stimme des Mörders, er spricht das Mädchen Elsie an, noch bevor der Kinobesucher den Schauspieler Peter Lorre zu Gesicht bekommt. Das Vorspiel endet damit, dass man im leeren Treppenhaus die Mutter „Elsie“rufen hört, man sieht den unbenutzten Teller, den Ball und den Luftballon des Kindes. Elsie wurde ermordet.
7. Was passiert mit dem Mann, er heißt Hans Beckert, wenn er vom biederen Untermieter
zum Triebtäter wird? Lang schafft hier bewusst keine Klarheit. Ist der psychisch Gequälte krank oder einfach ein Krimineller? Vom Zuschauer wird eigene Erkenntnistätigkeit und emotionale Auseinandersetzung verlangt. Er selbst muss den Detektiv spielen, mit scharfem Auge Indizien sammeln, denn eindeutig ist gar nichts. Man sieht den Verdächtigen nie bei der Tat, wir sehen auch kein Opfer am Boden liegen. Die Kamera erfasst den Täter wie zufällig, wenn er herumflaniert und kleine Mädchen anspricht. Dann rollt auf einmal ein Ball, mit dem das
Kind spielte, allein ins Bild.
Die Stille bedeutet Tod.
„M“, DAS STIGMA
8. Der Film ist gesättigt mit Geschichte, er konfrontiert mit der allgemeinen Brutalisierung durch den Weltkrieg und der Haltlosigkeit in einer instabilen Gesellschaft, mit der proletarischen Hinterhoftristesse in der Zeit der Weimarer Republik, mit unterernährten alleinerziehenden Müttern, die schwere Waschkörbe schleppen, und ihren verwahrlosten Kindern. Die Väter fehlen, sie sind im Krieg geblieben. Der Massenmord des Krieges liegt als immer lauernde Gewalt unsichtbar unter der Nachkriegsgesellschaft und erscheint in der Gestalt von Serienmördern. „,M‘ macht die Unsichtbarkeit der Kriegserfahrung sichtbar“(Anton Kaes).
9. Lang zeigt, wie die Bevölkerung hysterisch auf die Mordserie reagiert, unschuldige Bürger verdächtigt, wie der Staatsapparat akribisch arbeitet und wie parallel dazu die organisierten Unterweltler, die sich durch die ständigen Polizeikontrollen in ihrer „Arbeit“gestört sehen, mit ihren eigenen Methoden den Mörder suchen.
10. Die Verbrecherorganisation ist effizienter. Sie entdeckt den Täter und markiert ihn, mit einem mit Kreide gezeichneten M auf dem Mantel. Ein blinder Bettler mit besonders geschultem Gehör wird ihn überführen, der Mörder pfeift ein charakteristisches Motiv aus Edvard Griegs „Peer Gynt“.
11. In einer Schnapsfabrik wird Beckert vor ein Femegericht der Unterwelt gestellt. Höhepunkt des Pseudoprozesses ist die Verteidigungsrede des Täters. Er sei von einer inneren Stimme zu seinen Taten angetrieben worden. Die Psychiatrie sei für ihn zuständig, nicht ein Gericht. Gefahr für den Rechtsstaat geht also nicht nur vom Täter aus, sondern auch von einem banditenhaften System, das rechtsstaatliche Grundlagen nicht anerkennt. Der Bandenchef trägt einen Ledermantel.
DIE UNVERMEIDBARKEIT DES ÜBELS
12. Der „ordentliche“Prozess wird nicht gezeigt. Man sieht zwar einige Sekunden lang einen Richter, doch wir hören das Urteil nicht. Der Zuschauer muss es selbst fällen. Er hatte ja genug Zeit, sich Gedanken zu machen. Einer der Zuseher war Joseph Goebbels, der in sein Tagebuch schrieb: „Abends mit Magda Film ,M‘ von Fritz Lang gesehen. Fabelhaft! Gegen die Humanitätsduselei. Für Todesstrafe! Gut gemacht. Lang wird einmal unser Regisseur.“
13. Die letzte Einstellung des Films zeigte aber keine Liquidation, sondern die Wehrufe der Mütter „Das macht unsere Kinder och nicht wieder lebendig! Man muss halt besser uffpassen uff de Kleenen ...“In diesen Klagen steckt eine ganz andere Interpretation, eher die von der Unvermeidbarkeit des Übels. Wir sind in den Jahren vor der nationalsozialistischen Machtergreifung. Fritz Lang fängt mit „M“die paranoide Stimmung dieser Zeit ein, die schwankt zwischen Anarchie und Autorität. Die Ängste der Massen verdichten sich zum Albtraum.