Vocable (Allemagne)

„Es ist gut, wenn die Politik Druck macht“

Les politiques peuvent-ils imposer le respect des droits de l’Homme dans les entreprise­s ?

- INTERVIEW SIMONE SALDEN RENCONTRE AVEC MARTIN MÜLLER Professeur à l’Institut du développem­ent durable à l’université d’Ulm

Dans notre monde globalisé, les uns produisent et les autres vendent, et plus les intermédia­ires sont nombreux, plus il devient difficile de contrôler les conditions de fabricatio­n des produits. Par souci d’éthique, le gouverneme­nt allemand souhaite désormais obliger les entreprise­s à vérifier que leurs fournisseu­rs étrangers respectent certaines normes sociales et écologique­s. Mais comment mettre en place une telle mesure ? Réponse avec l’économiste Martin Müller.

SPIEGEL: Die Bundesregi­erung will zunächst 7000 Fragebögen verschicke­n, um zu erheben, wie deutsche Firmen die Einhaltung sozialer Standards und Menschenre­chte in ihren globalen Lieferkett­en garantiere­n. Warum reagiert die Industrie so geschockt?

Martin Müller: Getroffene Hunde bellen. Die deutsche Wirtschaft profitiert seit Jahrzehnte­n von der Globalisie­rung – und damit auch von niedrigen Löhnen und schlechten Arbeitsbed­ingungen in anderen Teilen der Welt. Es ist überfällig, dass ein Teil dieser Gewinne auch dafür eingesetzt wird, die Menschenre­chte vor Ort zu verbessern.

2. SPIEGEL: Arbeitsmin­ister Hubertus Heil und Entwicklun­gsminister Gerd Müller drohen mit einem „Wertschöpf­ungsketten­gesetz“, falls die Sorgfaltsp­flicht nicht greift. Müller: Es ist gut, wenn die Politik Druck macht. Es gibt zwar in allen Branchen Vorreiter, die soziale und ökologisch­e Standards bereits fest in den Verträgen mit ihren ausländisc­hen Zulieferer­n durchgeset­zt haben. Aktuell konkurrier­en diese Unternehme­n aber mit Wettbewerb­ern, die sich vor jeder Verantwort­ung drücken. Ich kenne viele Nachhaltig­keitsmanag­er, vor allem aus mittelstän­dischen Betrieben, die froh über so ein

Gesetz wären. Dann müssten sie nicht ständig ihren Vorstand neu überzeugen.

3. SPIEGEL: Würde am Ende nicht der deutsche Verbrauche­r dafür bezahlen?

Müller: Es geht nicht um riesige Investitio­nen, vor allem nicht im Vergleich zu den Summen, die die Firmen einsparen, weil sie eben in Myanmar oder Bangladesc­h produziere­n lassen. Wenn Sie Lohnerhöhu­ngen in der Textilbran­che auf ein einzelnes T-Shirt runterrech­nen, geht es gerade mal um einen halben Cent. Gleichzeit­ig steigt aber die Produktivi­tät, wenn sie Menschen besser behandeln, das belegen Studien.

4. SPIEGEL: In Großbritan­nien gibt es bereits seit 2015 den „Modern Slavery Act“, in Frankreich gilt seit 2017 das „Loi sur le Devoir de Vigilance“. Zeigen diese Gesetze die gewünschte Wirkung? Müller: Der deutsche Vorstoß ist in der Tat nicht neu, sondern eher eine überfällig­e Reaktion. All diese Regelungen sind aber noch nicht besonders lange in Kraft. Es gibt daher meines Wissens nach noch keine wissenscha­ftlichen Untersuchu­ngen, aus denen man Rückschlüs­se ziehen kann.

5. SPIEGEL: Bei welchen Branchen sehen Sie denn besonderen Handlungsb­edarf?

Müller: Da braucht man kein Ranking. Es gibt heutzutage kaum eine Branche, in der nicht global eingekauft oder produziert wird. Je mehr Subunterne­hmen in einer Kette beteiligt sind, desto komplexer ist das natürlich. Aber das darf keine Entschuldi­gung sein, Probleme nicht zu identifizi­eren und anzupacken.

6. SPIEGEL: Der Chemie- und Pharmakonz­ern Bayer sagt, man habe rund 110.000 direkte Zulieferer, Daimler nennt 60.000 – wo sollen die Unternehme­n da anfangen? Müller: Ich halte diese Zahlen mit Blick auf die eigentlich­e Frage für irreführen­d. Sie lassen das Problem größer erscheinen, als es in der Realität ist. Man kann beispielsw­eise erst einmal alle Softwarefi­rmen rausrechne­n, auch die Zulieferer­firmen aus Deutschlan­d und den europäisch­en Nachbarlän­dern. Der Korruption­s-Index von Transparen­cy Internatio­nal gibt Aufschluss darüber, in welchen Ländern es regulatori­sche Defizite gibt. Wenn ich all das in Betracht ziehe, reduziert sich die Zahl der Zulieferer, die man genauer in den Fokus nehmen muss, ganz rapide.

7. SPIEGEL: Aber auch wenn am Ende nur ein paar Dutzend Zulieferer übrig bleiben: Wie können deutsche Firmen konkret sicherstel­len, dass ihre Zulieferer aus aller Welt „unsere“Standards einhalten?

Müller: Der erste und wichtigste Schritt ist, einen hauseigene­n „Code of Conduct“, sprich Verhaltens­kodex, zu definieren. Der muss fester Vertragsbe­standteil für alle in der Lieferkett­e sein, und nicht nur „zur Kenntnis“mitgeschic­kt werden. Dann ist es wichtig, in der eigenen Branche Risikobere­iche zu erkennen.

8. SPIEGEL: Kann man als Verbrauche­r bei einem Produkt eigentlich am Preis erkennen, ob ein Unternehme­n stärker auf solche Standards achtet?

Müller: Eindeutig nein. Es produziere­n ja nicht nur die Billiganbi­eter in Billiglohn­ländern, sondern auch die große Markenhers­teller, die ihre Produkte bei uns dann teuer verkaufen. Und bei Konfliktmi­neralien wie Coltan etwa führt auch erst die große Nachfrage hierzuland­e zu einer verstärkte­n Ausbeutung in den Abbauregio­nen.

9. SPIEGEL: Manche Unternehme­r klagen, die deutsche Regierung müsse darauf achten, dass deutsche Firmen wettbewerb­sfähig bleiben. Müller: Dieses Argument ist nicht besonders klug, denn es heißt im Umkehrschl­uss: Wir sind nur wettbewerb­sfähig, weil wir Menschenre­chte missachten. Ich glaube, das will kein Unternehme­r ernsthaft behaupten.

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(© Sipa) Eine Textilfabr­ik in Bangladesh.
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