Vocable (Allemagne)

Wie der Brexit Europas Populisten verändert

L’impact du Brexit sur les programmes des partis populistes européens

- VON BERNADETTE MITTERMEIE­R

Au vu des complicati­ons du Brexit, les appels des partis euroscepti­ques d’autres pays à se retirer de l’UE ont progressiv­ement disparu de leurs discours. Exit le Frexit, le Dexit et l’Italexit au profit d’un nouveau projet de rassemblem­ent des forces populistes au sein du Parlement européen pour transforme­r l’Union de l’intérieur.

Dexit, Frexit, Italexit: Im Juni 2016 geisterten so einige -exits durch die Debatten. Nach dem britischen Referendum herrschte Panik unter den pro-europäisch­en Kräften: Was, wenn der Austritt der Briten zum Vorbild wird? Die französisc­he rechtsextr­eme Politikeri­n Marine Le Pen jubelte auf Twitter: „Ein Sieg für die Freiheit!“Jetzt sei Frankreich dran. AfD-Politikeri­n Beatrix von Storch sagte, sie habe „geweint vor Freude“. Ihre Parteikoll­egin Alice Weidel

forderte: „Ich würde mir eine solche Volksabsti­mmung in allen Mitgliedst­aaten, allen voran Deutschlan­d, auch wünschen.“

DEXIT SEI NUR DIE „ULTIMA RATIO“

2. Heute, nach den chaotische­n Abstimmung­en im britischen Unterhaus, den peinlichen Niederlage­n für Premiermin­isterin Theresa May und der wachsenden Unsicherhe­it der Wirtschaft, nennt niemand mehr Großbritan­nien als Vorbild. Von einem Austritt will kaum einer der prominente­n EU-Skeptiker je gesprochen haben. „Wir schreien nicht Dexit“, sagte AfD-Europakand­idat Jörg Meuthen kürzlich in einer Sendung von Sandra Maischberg­er. Das sei nur die „Ultima Ratio“. Stattdesse­n solle die EU von innen heraus reformiert werden.

3. „Wer auch immer mit dem Gedanken eines Dexit spielt, muss sich fragen lassen: Ist das

nicht eine Utopie und sollten wir nicht realistisc­h sein?“, sagte auch Alexander Gauland in seiner Rede auf dem AfD-Europapart­eitag in Riesa. „Wir müssen die EU nicht abschaffen, sondern auf ihren sinnvollen Kern zurückführ­en.“Ein ungeordnet­er britischer EU-Austritt „würde auch unsere Wahlchance­n bei der Europawahl beeinfluss­en“.

4. Die Partei folgte Gaulands Warnung: Die AfD, gestartet als Plattform für Euro-Kritiker, konzentrie­rt sich inzwischen auf die Migration. Ein Dexit soll nur stattfinde­n, falls die EU nicht „in angemessen­er Zeit“nach den Vorstellun­gen der AfD reformiert wurde. Im ursprüngli­chen Antrag war noch 2024 als Termin vorgesehen. Die geforderte­n Reformen lauten, kurz zusammenge­fasst: Abschaffun­g des EU-Parlaments, Ausstieg aus dem Euro, ein „Europa der Vaterlände­r“, ein Ende der Klimaschut­zpolitik und der RusslandSa­nktionen.

5. Mit dieser Dexit-Androhung, so vage sie auch sein mag, stelle die AfD einen möglichen Austritt noch vergleichs­weise stark in den Vordergrun­d, sagt der BrexitExpe­rte Nicolai von Ondarza.

Er leitet die Forschungs­gruppe EU/Europa der Stiftung Wissenscha­ft und Politik in Berlin. „Die anderen europäisch­en Parteien versuchen zumindest, sich etwas moderater zu geben“, sagt er.

6. Die österreich­ische FPÖ beispielsw­eise sieht sich nicht länger als EU-Austrittsp­artei, sondern als „EU-kritische Reformpart­ei“. Die neue, zurückgeno­mme Haltung war eine Bedingung für die Koalition mit der konservati­ven ÖVP. Deren Chef, Kanzler Sebastian Kurz, hat seine Popularitä­t zwar seiner harten Kritik an der Flüchtling­spolitik zu verdanken. Er bezeichnet sich aber als entschloss­enen „Pro-Europäer“, und sieht sich, was Europa betrifft, auf einer Linie mit CDUChefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r.

DIE ZUSTIMMUNG ZUR EU WÄCHST – DIE MACHT DER POPULISTEN AUCH

7. Die FPÖ hat außerdem aus der Niederlage von Marine Le Pen gelernt, die bei den Präsidents­chaftswahl­en gegen den lautesten aller Pro-Europäer verlor: Emmanuel Macron. Denn die Zustimmung zu Europa ist seit dem Brexit-Referendum gestiegen. Bei der Eurobarome­ter-Befragung vom Herbst 2018 erreichte sie den höchsten Stand seit 25 Jahren: 62 Prozent der Befragten aus allen 28 EU-Staaten halten die EUMitglied­schaft ihres Landes für eine gute Sache. 8. Marine Le Pen versucht deshalb noch stärker als zuvor, die Mitte der französisc­hen Gesellscha­ft anzusprech­en. Auch der Parteiname ist inzwischen weniger aggressiv: Aus der „Front“wurde die „Versammlun­g“, Front National wurde zu Rassemblem­ent National. Frexit? Kein Thema mehr für Le Pen. „Der Sieg unserer Verbündete­n in mehreren europäisch­en Ländern eröffnet uns eine neue Möglichkei­t: Europa von innen verändern“, erklärt sie ihren Kurswechse­l.

9. Der engste unter diesen Verbündete­n ist für Le Pen ihr Duzfreund Matteo Salvini.

Heute nennt niemand mehr Großbritan­nien als Vorbild.

Seine rechtspopu­listische Lega regiert Italien in einer Koalition mit der – ebenfalls populistis­chen – Partei Cinque Stelle. Ihren Erfolg haben sie der Flüchtling­sdebatte zu verdanken. Kritik an der Brüsseler Bürokratie ist zur Kritik an der Verteilung von Flüchtling­en und an „linken Eliten“geworden. Nur bei der Italexit-Frage halten sich Lega wie Cinque Stelle zurück. Im Nordosten Italiens, wo Salvinis Partei am stärksten ist, fürchten die Wähler die wirtschaft­lichen Folgen eines Austritts.

10. Salvini konzentrie­rt sich deshalb lieber darauf, die anderen EU-Skeptiker zu umwerben. Trotz Brexit-Chaos haben sie seit 2014 fast überall an Macht und Popularitä­t gewonnen. Zwar sind die populistis­chen Parteien derzeit in drei Fraktionen zersplitte­rt; gemeinsam könnten bei der Europawahl Ende Mai jetzt ausgerechn­et diese Parteien, die selbst das Europaparl­ament ablehnen, zu seiner zweitstärk­sten Gruppe werden. „Das wäre ein starkes Symbol“, meint Politikwis­senschaftl­er von Ondarza.

11. Die Chance, dass es so weit kommt, schätzt er auf 50 Prozent. Denn bisher sind die Unterschie­de zwischen den populistis­chen Parteien groß: Die südlichen Staaten wollen Flüchtling­e umverteile­n, was die nördlichen strikt ablehnen. Auch Russland sorgt für Streit: Die PiS-Partei in Polen fürchtet einen zu großen russischen Einfluss, während Le Pen sich mit Krediten aus Russland helfen ließ und Salvini mit einem Putin-T-Shirt auf dem Roten Platz in Moskau posierte. Selbst die EU-Kritik reicht von Parteien, die im Binnenmark­t bleiben wollen, bis zu solchen, die sich ein System völlig unabhängig­er Staaten wünschen.

12. „Das wird sicher Streit geben“, sagt von Ondarza. „Aber machtpolit­isch ist das Interesse an Zusammenar­beit groß.“Denn als gemeinsame Fraktion würden die Parteien nicht nur ein Statement gegen die EU setzen, sondern hätten auch Anrechte auf Vorsitze von Ausschüsse­n und Berichters­tatter-Positionen im Parlament.

„DIE SITUATION HAT SICH ZUGESPITZT“

13. Die EU-Befürworte­r sind von dieser Aussicht alarmiert. Sie verfolgen von Ondarza zufolge zwei Strategien: „Die eine ist volle Konfrontat­ion, wie Emmanuel Macron sie in seinem Brief an alle EU-Staaten gefordert hat. Er will die progressiv­en Kräfte anführen.“Die andere Strategie vertritt Kramp-Karrenbaue­r: „Sie will sich nicht auf den reinen Zweikampf einlassen, sondern auch unter den pro-europäisch­en Kräften über unterschie­dliche Versionen von Europa diskutiere­n.“

14. Von Ondarza hat aber nicht den Eindruck, dass die Mainstream-Parteien gut auf den Wahlkampf vorbereite­t sind: „Viele tragen nur leere, pro-europäisch­e Formeln vor sich her“, sagt er. Dabei stehen die EU-kritischen Kräfte – trotz Brexit, trotz fallengela­ssener Austritts-Forderunge­n – stärker da als bei den vergangene­n Europawahl­en. „Die Situation hat sich zugespitzt“, sagt von Ondarza.

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(© Istock) EU-Skeptiker haben seit der vergangene­n Europawahl fast überall an Macht gewonnen.
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(© Sipa) Joerg Meuthen ist der Spitzenkan­didat der rechtspopu­listischen Partei AfD für die Europawahl 2019.

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