Popstar, Prophet, Provokateur
Popstar, prophète, provocateur
L’attribution du prix Nobel de littérature à l’autrichien Peter Handke a provoqué un tollé.
L’attribution du prix Nobel de littérature à l’autrichien Peter Handke a provoqué un tollé à cause de ses prises de position contestables en faveur des Serbes pendant la guerre en ex-Yougoslavie. Mais l’Académie défend son « choix évident ». Dans cet article de la FAZ, Hubert Spiegel tente de répondre à la question : Handke a-t-il mérité ce prix ?
Kein anderer deutschsprachiger Autor konnte in den sechziger und siebziger Jahren einen vergleichbaren Wirbel um seine Person entfachen, kein anderer sich später mit größerer Entschiedenheit als Öffentlichkeitsflüchtling und Eremit inszenieren, den sein literarischer Werdegang von den Provokationen und der Sprachskepsis der frühen Werke wie „Publikumsbeschimpfung“(1966) und „Kaspar“(1967) zu einer priesterlich zelebrierten Wortverehrung geführt hatte. Handke war Popstar, Prophet, Provokateur.
2. Verehrt wurden auch andere, Handke aber hatte eine Gemeinde. Zusammen mit Botho Strauß war er der bedeutendste Dramatiker seiner Generation. Kaum ein Autor kann es an Produktivität mit Handke aufnehmen, kaum einer erhielt mehr literarische Auszeichnungen, niemand hatte größeren
Kummer mit ihnen. Das Büchnerpreisgeld, das er schon 1973 erhalten hatte, gab er 1999 unter Theaterdonner zurück – Serbien und dem Kriegsverbrecher Milosevic zuliebe. Im Jahr 2006 geriet er ohne eigenes Zutun in ein unwürdiges Spektakel um den Düsseldorfer Heine-Preis, bis er schließlich in heillos verfahrener Situation das einzig Richtige tat und den Preis ablehnte. In Norwegen, wo er den Ibsen-Preis erhalten sollte, wurde er von Demonstranten als Faschist beschimpft. Das ist erst fünf Jahre her. Die hässlichen Szenen aus Oslo dürfte man in Stockholm kaum vergessen haben. Zu hoffen ist, dass sie sich nicht wiederholen werden.
MEHR NÄRRISCHER KINDSKOPF ALS WEISER NARR
3. Wie sein Landsmann Thomas Bernhard ist Handke ein Schriftsteller, für den Widerstand nicht nur eine politische Haltung be
deutet, sondern sehr viel mehr, nämlich eine künstlerisch notwendige Existenzweise. Wie den Büchern von Günter Grass, dem letzten Literaturnobelpreisträger des zwanzigsten Jahrhunderts, der als halbwüchsiges Mitglied der Waffen-SS am Zweiten Weltkrieg teilgenommen hatte, ist auch Handkes Werk die Sehnsucht nach der verlorenen Unschuld eingeschrieben, wenngleich auf völlig andere
Weise.
4. Handke, 1942 in Kärnten unweit der Grenze zu Slowenien geboren, hat dieser Sehnsucht in seinen Exerzitien der Wahrnehmung und der Beschwörung des poetischen Einverständnisses mit den Dingen Ausdruck verliehen, von „Die Lehre der Sainte-Victoire“(1980) über „Versuch über den geglückten Tag“(1991) bis zu den kontrovers diskutierten Prosawerken „Mein Jahr in der Niemandsbucht (1994) und „Der Bildverlust oder Durch die Sierra de Gredos“(2002).
5. Anders als der 2015 verstorbene Grass hat Handke, dem der Gestus des zornigen jungen Mannes noch jenseits der Siebzig zu Gebote steht, sich im öffentlichen Diskurs nie als moralische Autorität in Szene setzen wollen, sondern sich mehr in der Rolle des ungezogenen Kindes gefallen, dabei oft mehr närrischer Kindskopf als weiser Narr. Dass der Tonfall des Apodiktischen ihm behagt, zeigt sich immer wieder, mitunter auch an Kleinigkeiten, einem einzigen Wort, Frühäpfel zum Beispiel. Wer es in den Mund nehme, so Handke in dem 2010 erschienenen Prosaband „Immer noch Sturm“, der werde „nie ein Henker sein“.
Kindlich stolz ist Handkes Anspruch, der Hüter der Sprache zu sein.
DER HÜTER DER SPRACHE
6. In „Immer noch Sturm“spielt Handke mit Elementen aus Shakespeares „Lear“und versammelt seine Vorfahren, um sich die eigene Familiengeschichte als Traumgeschichte zu erzählen. Bei Shakespeare ist die Heide
Schauplatz des Schreckens: Lear gleitet in den Wahnsinn. Bei Handke ist die Heide ein Wunschtraumort. Dass hier, auf dem Kärntner Jaunfeld, die Sprache der slowenischen Minderheit einmal verboten war, dass unterdrückt wurde, wer sich der „falschen“Sprache bediente, gehört zum wohl unergründlichen Geflecht von Gründen persönlicher Natur, die Handke dazu geführt haben, über jedes vernünftige – und auch über jedes vertretbare – Maß hinaus im Jugoslawien-Krieg und danach die Sache der Serben zu verteidigen. Hier, im Kindheitsterrain, wo gegen Ende des Zweiten Weltkriegs noch blutige Partisanenkämpfe tobten, hat auch Handkes des öfteren aufflammender Zorn gegen den deutschen Staat seine tiefsten Wurzeln.
7. Man sollte die Sache mit Hinweisen autobiographischer Natur aber auch nicht allzu sehr beschönigen: Dieser Nobelpreisträger ist, wenn er sich politisch äußert, nur sehr bedingt ernstzunehmen. Handke selbst scheint das mittlerweile wohl manchmal ganz ähnlich zu sehen. In der „Morawischen Nacht“aus dem Jahr 2008 schickt der vaterlos aufgewachsene Handke seinen Erzähler an das Grab des ihm unbekannten Vaters zum Zwiegespräch: „Deinen Vater los: der Freieste der Freien? Nicht doch, mein Lieber: keines-Vaters-Kind wird nie ein Erwachsener“.
GESPRÄCHSSTOFF FRAUENFIGUREN
8. Kindlich stolz ist Handkes Anspruch, der Hüter der Sprache zu sein, der Wächter der wahren Empfindungen, ein Unzeitgemäßer, in dessen Spätwerk plötzlich auch ganz unerwartete Töne auftauchen. Seit „Kali. Eine Vorwintergeschichte“(2007) und „Die morawische Nacht“wurde Handke ein wenig leichter, spielerischer, zuweilen sogar selbstironisch. Der früher oft gravitätisch tönende Hohepriester der erzählenden Prosa spielte nun auch mit Märchenklängen. Landschaften, die der Weitgereiste immer schon beschrieben hat, konnten nun Züge des Mythischen annehmen. 9. Viel ist in den letzten Wochen gerätselt worden über die Strategie, die dem Stockholmer Doppelschlag, der ein Befreiungsschlag werden musste, zugrundeliegen würde. Für welches Signal würde die Akademie sich entscheiden? Würde sie zu den alten Bahnen zurückkehren oder deutlich machen, dass sie nach dem existenzbedrohenden Skandal um sexuelle Belästigung und Korruption einen radikalen Neuanfang anstrebe? Über die Frauenfiguren in Handkes Werk, man denke nur an „Don Juan (erzählt von ihm selbst)“aus dem Jahr 2004, dürfte in den kommenden Wochen vor der Preisverleihung noch gesprochen werden. Das sollte auch interessanter sein, als Handkes Serbien-Irrwege immer und immer wieder abzuschreiten.